Im Historischen Museum werden die Frankfurter zu Ausstellungsgestaltern
Siegrid Püschel und Anja Prechl
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Historische Museum der Stadt hat selbst schon so viel erlebt, daß man im Haus über sich selber gut eine Ausstellung machen könnte. In den Siebziger Jahren zudem galt es bundesweit als Hort der beginnenden Weltrevolution. Dabei klärte es nur über Geschichte auf. Das ein andermal. Jetzt geht es um das neue Konzept des Hauses, zu dem gehört, wenn wir richtig interpretieren, daß die öde Kleinschreibung abgeschafft und das Kürzel HMF Einzug hält.
Von Frankfurtern für Frankfurter: Für sein neues Ausstellungskonzept setzt das Historische Museum Frankfurt (HMF) verstärkt auf Partizipation. Wenn 2017 der Neubau eröffnet, werden die Bürger ein Stadtmuseum betreten, in dem sie nicht nur Besucher, sondern selbst Spezialisten für ihre Stadt und damit Ausstellungsmacher sind.
Welche Farbe hat Eschersheim? Was ist typisch für Seckbach? Was ist das größte Problem in der Innenstadt? Was macht Sindlingen liebenswert? Susanne Gesser und das „Frankfurt Jetzt!“-Team des Historischen Museums Frankfurt (HMF) wollen es wissen. Den ganzen Sommer über touren sie mit einem speziell für diesen Zweck angefertigten Lastenfahrrad durch die Stadtteile und stellen Fragen wie diese. Beantworten kann man sie bei Straßen- und Stadtteilfesten oder im Internet.
Antworten liefern Bauplan
Über 600 Fragebögen aus allen Ecken Frankfurts hat das Team bislang gesammelt. Die Antworten dienen als Bauplan für das 70 Quadratmeter große Frankfurt-Modell, das der niederländische Künstler Hermann Helle in den kommenden Monaten für die Dauerausstellung „Frankfurt Jetzt!“ anfertigen wird. Ab 2017 kann man es im Neubau des Historischen Museums sehen. Das Modell wird nicht bloß Modell sein, sondern auch eine digitale Ebene bekommen. Heißt: Es wird eine Art großes Tablet geben, auf dem sich die Besucher Fotos anschauen können, eine Hörmuschel mit typischen Geräuschen aus den Stadtteilen, eine Video- und eine Fotobox. Im kommenden Jahr sammelt das HMF die Beiträge dafür ein, bei, klar, den Menschen aus den Quartieren.
Orte, die den Alltag prägen
„Mit ‚Mein Frankfurt-Modell‘ wollen wir verdeutlichen, dass Frankfurt nicht nur aus dem gebauten, sondern auch aus dem erlebten Raum besteht. Römer, Dom und Fernsehturm kennt jeder“, sagt Susanne Gesser. „Aber sie reichen uns nicht.“ Neben den bekannten Wahrzeichen wird es in Mini-Frankfurt vieles zu entdecken geben – vielleicht den Abenteuerspielplatz im Riederwald, vielleicht das Müllheizkraftwerk in Heddernheim. Was genau, entscheiden die Antworten der Teilnehmer und Hermann Helle, der Künstler. Doch bereits jetzt lässt sich sagen: Es sind nicht nur die Vorzeigeplätze, die eine Stadt charakterisieren. Es sind vor allem auch die Orte, die den Alltag prägen.
Mit „Frankfurt Jetzt“ kreiert das HMF eine Ausstellung von Frankfurtern für Frankfurter. „Als entschieden wurde, dass das alte Museum abgerissen wird, wir alles ausräumen und anschließend wieder neu aufbauen werden, war klar: Der Neubau gibt uns die Gelegenheit, unsere gesamte Ausrichtung zu überdenken“, erzählt Susanne Gesser. Für sie als Kuratorin sei es eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt.
Zauberwort Partizipation
Seit 1992 arbeitet Susanne Gesser im HMF, seit 1998 ist sie Leiterin des Kindermuseums, seit 2006 verantwortet sie „Frankfurt Jetzt!“. Sie weiß: Besucher zieht man ins Museum, indem man sie einbezieht. Partizipation heißt das Zauberwort. „Das Historische Museum arbeitet seit den frühen 70er Jahren partizipativ“, erklärt sie.
Mit „Frankfurt Jetzt!“ geht das Haus 40 Jahre später wieder gezielt auf seine Benutzer zu. Das neue inhaltliche Konzept des HMF fußt auf der Frage, was ein zeitgemäßes Stadtmuseum im 21. Jahrhundert bieten muss. „Die Menschen wollen heute nicht mehr nur konsumieren, sie wollen mitbestimmen und bewerten“, erklärt Susanne Gesser. Ins neue HMF kommen die Frankfurter nicht mehr nur als Besucher, sie kommen als Spezialisten für ihre Stadt.
Seit vier Jahren erfolgreich
„Mein Frankfurt-Modell“ ist nicht das einzige und schon gar nicht das erste Projekt, an dem sich die Bürger beteiligen können. Mit der Ausstellungsreihe „Stadtlabor unterwegs“ geht das vierköpfige „Frankfurt Jetzt!“-Team seit 2011 in die Stadtteile. Erst ins Ostend, dann ins Stadionbad, später nach Ginnheim und in die Wallanlagen, zurzeit gastiert es im Gallus. Das „Stadtlabor“ lädt alle Bewohner des jeweiligen Viertels ein, sich mit Objekten, Filmen, Fotos, Führungen, Projekten, Märkten an den Ausstellungen zu beteiligen. Man kann sich auch einbringen, indem man bei der Organisation, der Raumsuche oder der Öffentlichkeitsarbeit hilft. Ein weiterer Bestandteil von „Frankfurt Jetzt!“ ist die „Bibliothek der Alten“, eine Installation der Künstlerin Sigrid Sigurdsson und gleichzeitig ein offenes Archiv, in der Erinnerungen von Frankfurtern gesammelt werden. Die „Bibliothek der Alten“ wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen und wird bis ins Jahr 2105 weitergeführt. Sie ist schon jetzt im Altbau des HMF zu sehen.
Experimente für den Neubau
„Diese Projekte bieten uns die Möglichkeit, zu experimentieren“, sagt Susanne Gesser. Wie in einem Trainingslager übt das HMF-Team partizipative Arbeit. „Wir haben in diesem Bereich keine Vorbilder“, sagt Susanne Gesser. „Also können wir nicht bis zur Eröffnung warten und hoffen, die Leute werden schon mitmachen. Wir müssen jetzt testen, ob unsere Ideen funktionieren.“
Partizipativ arbeiten hieße nicht weniger arbeiten. Zwar lieferten die Frankfurter Ideen und Beiträge, investierten Zeit. Aber 200 Leute oder mehr pro Projekt unter einen Hut zu bekommen, erfordere Kommunikationsgeschick, Organisation und Geduld. „Es ist eine Herausforderung“, sagt Susanne Gesser. Manchmal wünsche sie sich Tage, an denen weder das Telefon klingelt noch E-Mails eingehen. An denen sie am Schreibtisch sitzt, statt unterwegs zu sein.
Ein persönliches Gesicht
Andererseits: „In die Stadtteile zu gehen, gibt unserem Haus ein persönliches Gesicht. Die Leute kennen uns. Und wir kennen sie.“ Wie die Bürger die Mitmach-Projekte des HMF annehmen, sei erstaunlich: „Ich bin sehr glücklich, wie gut unsere Arbeit ankommt. Mit ‚Mein Frankfurt-Modell‘ können wir nicht einfach durch Frankfurt fahren und uns auf einem Supermarkt-Parkplatz postieren. Keiner würde bei uns stehenbleiben. Wir haben uns vorher mit Menschen aus den Stadtteilen in Verbindung gesetzt und nach Festen oder Aktionen gefragt, bei denen wir vorbeikommen können. Das hat sehr gut geklappt.“ Auch über die Reaktionen der Stadtlabor-Teilnehmer freut sich das Team immer wieder. „Es kommen Leute auf uns zu, die sagen: ‚Ich gehe gar nicht gern ins Museum. Aber was Sie hier machen, finde ich richtig gut‘.“
Ein Stadtmuseum für alle
Leute wie diese für ihr Stadtmuseum zu begeistern, ist das Ziel des partizipatorischen Ansatzes. „Wir wollen ein Haus für alle Frankfurter sein, egal wie alt, egal aus welchem Umfeld. Genauso aber auch ein Museum für Städtereisende und für Überseetouristen, die in kürzester Zeit etwas über Frankfurt erfahren wollen. Deswegen entwickeln wir unterschiedliche Formate für unterschiedliche Interessen und Besuchszeiten.“
Susanne Gesser, die in Hanau-Steinheim wohnt, hat durch diese Arbeit in den Quartieren ein viel detaillierteres Bild von Frankfurt bekommen. Es formt sich mehr und mehr. „Ich kenne Struktur und Örtlichkeiten der Stadt viel besser als früher. Frankfurt scheint aus vielen kleinen Dörfern zu bestehen, ist gleichzeitig eine kleine Metropole und lebt von den Gegensätzen. Es ist eine so lebendige Stadt. Dürfte ich nicht hier arbeiten, ich müsste herziehen.“
Foto: Teammitglied Franziska Mucha bei Sommertour zu 'Mein Frankfurt Modell“ © pia
Info:
Daten der Sommertour und den Online-Fragebogen von "Mein Frankfurt-Modell" findet man unter https://mein-frankfurt-modell.de/ .