Besuch einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge unter Begleitung des Hessischen Sozialministers Stefan Grüttner

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am kalten Wintermorgen des 20. Januar 2016 wurde es früh zur Wohltat für die Besucher, in die warme Flüchtlingsunterkunft in Offenbach eintreten zu können, um sich dort in die gegebene Situation einzufühlen. Die neugierig auf Erkundung ausgehenden Kinder der Flucht vermittelten den Eintretenden schnell den Eindruck gelebten Lebens im großen Saal des Aufenthalts, der auch Speisesaal ist; sich vorzustellen, dass sie mit den Erwachsenen vor Gewalt, Terror und Staatszerfall geflohen sind, zerreißt einem hier und da fast das Herz.

 

Die geflohenen Eltern und übrigen Angekommenen zeigen sich interessiert und aufgeschlossen ob der Eingetretenen. Wir sind als Begutachter/innen gekommen. Alle achten darauf, dass die Geflüchteten sich nicht wie Objekte des distanzlosen Angeschautwerdens vorkommen.

 

Am nahen Waschmaschinenraum wird kommuniziert, dass das Ministerium, vertreten durch seinen obersten Dienstherrn, eine vorurteilslos aufnahmebereite Haltung einnimmt – in allem, was erfordert ist. Es wird klar, dass offiziell jedes noch so kleine Detail der Lage, in die die Geflüchteten gelangt sind, als bestens zu regelnde Aufgabe verstanden wird. Die Atmosphäre ist seitens der Geflüchteten entspannt, besonders die Kinder sind geneigt, mit den Hereingekommenen Kontakt aufzunehmen und freundliche Blicke auszutauschen. Später werden wir das gerade erst 18 Tage zuvor geborene Baby mit Namen 'Nasim', das uns aus der Trage entgegenlächelt, in Augenschein nehmen.

 

Prägend über die gesamte Einrichtung hinweg sind die verschiedenen Projekte, die vor allem auch die Jugendlichen angehen, die zum Teil als allein reisende Minderjährige angekommen sind. Für diese sind von den insgesamt 42 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeiter Samariter Bundes - dem Träger der Erstaufnahmeeinrichtung – zwei ganz für die Jugendlichen verantwortlich. Ihre Arbeit ist 'Inobhutnahme' und Begleitung am Beginn des neuen Lebensabschnitts. Sie sind 'Social Worker'. Auch kommen 'Selbstmelder' an, melden sich in der Kommune, gehören keinem größeren Kontingent an.

 

 

Schnelldurchgang

 

In einem tickerartigen Schnelldurchgang möge an dieser Stelle so viel als möglich dem allgemeinen und speziellen Publikum vermittelt werden, damit die Sache nicht zu lang gerät, aber doch einiges rüberkommt. Es können leider nur Streiflichter sein: Gleich zu Anfang wird das Projektartige der Einrichtung betont. Es besteht in Gepflogenheiten, sozialen Projekten und eben auch in Deutschkursen. Einem gerade laufenden Kurs - im Kreisspiel mit integrierten Sprachübungen und unter Zuhilfenahme einer verschiebbaren Lernvorrichtung - wohnen wir später bei. Für das künftige Leben im neuen Land gilt der Refugee-Guide' - 'Eine Orientierunghilfe für das Leben in Deutschland' (auch herunterladbar unter www.Refugeeguide.de). Für das Haus prägend ist das Engagement nicht nur der 'ASBler', sondern auch der unermüdlich tätigen Ehrenamtlichen aus der Umgebung. Engagement gilt überhaupt als ein Urmotiv für das Betreiben der Einrichtung.

 

Nicht gar unwichtig: die Bewohner regeln das mit dem Waschen und der Waschmaschine, Bedienen und Einteilen, selbst. Eigenaktivität ist groß geschrieben. Die Einwohner haben das zunächst sehr deutsche In-Reih-und-Glied der Betten und Trennstoffe zwischen den Lagern individuell abgewandelt, dadurch einigermaßen wohnlich gemacht. Das verschafft dem einzelnen des Wohnens und Schlafens die individuelle Note, eine Privatsphäre bleibt gewahrt. Weitere Verbesserung ist in Arbeit. Zur Zeit bewohnen 460 Geflüchtete die Einrichtung. Für nochmal 500 Menschen sind in der Erstaufnahme/Außenstelle - mit dazugehöriger Ersterfassung - die Voraussetzungen schon zu sehen. Die Ankommenden werden aufgeteilt in Familien und in allein Gekommene (letztere nach Frauen und Männern getrennt), auch eine gewisse Trennung nach Herkunft ist üblich. Die Einrichtung untersteht voll und ganz der Stadt Offenbach als betreibende Kommune, das Land ist außen vor, trägt jedoch zur Finanzierung bei. Die Zeit der vorübergehenden Puffer, der Schulen und der Stätten, die im Katastrophenfall Nutzung fänden, ist vorbei.

 

Die Besiedlung der Anlage verändert sich stetig, der Begriff Transfer findet sich über einer Liste; sie deutet darauf hin, dass in eine andere Umgebung, entsprechend des erlangten Status, gewechselt wird. Innerhalb der Einrichtung gibt es verschiedene 'Anlaufstellen': einen 'Info-Point', eine Baby-Abteilung, den medizinischen Bereich, der eine Arztpraxis einschließt. Klinikum und Arztpraxen der Umgebung können auch in Betracht kommen. Die Ärztinnen und Ärzte des Hauses arbeiten ehrenamtlich nach Einteilungen, die in Pläne gefasst sind - gemäß ihrer Möglichkeiten. In der Einrichtung fanden selbstverständlich auch schon Geburten statt. Sanitäter und Krankenschwestern sind hauptberuflich tätig. Sprachlich bewegt man sich in der Einrichtung in unterschiedlichen Sprachkreisen wie u.a. arabisch, englisch, kurdisch, farsi oder paschtunisch.

 

Eine zentrale Anlaufstelle im Haus ist die ehrenamtlich geführte Kleiderkammer, die auf Spenden basiert. Sponsoring und Spenden aus der Bevölkerung tragen zum Betrieb der Einrichtung erheblich bei. Frau Evelyn Weiß ist die Ehrenamtskoordinatorin des ASB, Herr Thomas Lüth, der auch Rede und Antwort für den Arbeiter Samariter Bund stand, ist einer der umsichtigen Koordinatoren im Haus. Beiden dankte der Hessische Minister für Soziales und Integration stellvertretend für das herausragende Engagement. Kürzlich hat das Land Hessen 2,5 Millionen Euro für die Arbeit der Ehrenamtlichen freigegeben.

 

 

Menschen sind keine Fälle – Förderung muss im Vordergrund stehen

 

Das Haus macht ein 'Clearing'. Es stellt die besonderen Umstände der Person durch Befragung fest. Therapeuten, Ärzte und Sozialarbeiter geben Hilfestellung. Eine Frage kann auch lauten: wie ist ein einzelner Geflüchteter gekommen, vielleicht mit 'Tante, Onkel oder Großcousine', welches 'natürliche' Umfeld hat er womöglich? Eine ältere Frau, in traditionelle Garderobe gewandet, sticht aus der Umgebung heraus. Der wenig Kundige denkt sich, wie hat sie es bloß geschafft über einen so langen und gefährlichen Weg unversehrt anzukommen? Sie steht für alle: jeder Mensch ist ein verletzliches Individuum..

 

In Nähe des Bereichs 'Information' ('Info-Pointer') liegt die Zone 'Integration durch Lesen, Hören und Verstehen'. Hier findet gerade eine Lernstunde statt. „Wann ist Dein Geburtstag?“, wird reihum gefragt. Einer der Lernenden wird als 'sehr gut' eingestuft, aber: 'er traut sich nicht so'. Dolmetscher wie Sprachlehrerinnen arbeiten ehrenamtlich. Der Staat ist noch außen vor. Grund: der Status ist noch nicht geklärt, damit ist der Mensch noch nicht recht anerkannt. Es hängt von der Bleibeperspektive ab. Erst ein Daueraufenthalt öffnet den Zugang zum Sprachkurs. Ganz schräges Problem (mit den Asylgesetzen verbunden): Afghanistan wurde schnell mal zum sicheren Herkunftsland erklärt.

 

Folge: Einführung in die Sprache des aufnehmenden Landes wird noch nicht gewährt, zumindest nicht über die Arbeitsagentur. Also übernehmen Initiativen wie 'Teachers on the Road' ihren Part. Übrigens beträgt die Anerkennungsquote für Afghanistan immerhin 56-47 Prozent. Bedingung ist jedoch: 50. Das und ähnliches ist Behördenwahnsinn. Etwas zu Lernen ist eigentlich für alle wichtig, gleich woher sie kommen und unabhängig von ihrem Dauer- oder Begrenzungs-Status. So kommt es, dass die einen abgeholt werden, die anderen nicht. Ohnedies sind die Sprachkurse modular, daher flexibel zu handhaben..

 

Das Eingehen auf die Bewohner ist das A & O. Schnell wurde klar: Deutsches Essen geht nicht, der Essenslieferant musste sich darauf einstellen. Ganz verschiedene Menschen sind angekommen. Inzwischen klappt es auch gut mit der Essensausgabe. Kinder in die Schlange schicken erwies sich als unproduktiv, die Erwachsenen halten sich besser an die Reihenfolge. Streitigkeiten werden gut beigelegt. Als schwierig anzusehen aber ist: enger Raum, eine große Zahl Unbekannter ist beisammen, der Lagerkoller kann eintreten, über Essen streiten schafft auch ein Ventil.- Ist Schlangen bilden überhaupt im Herkunftsland üblich? Verbesserungsvorschlag: dieser Einrichtung eine Innenfarbe geben.

 

Kulturelle Darbietungen werden von der Erstaufnahmeeinrichtung organisiert. Syrische Zither, Keyboard und Trommelgruppe waren schon zu hören. Theater ist geplant, die Bewohner werden einbezogen. Gruppentheater mit den Kindern bzw. für Kinder wird dann deutschsprachlich-integrierend gegeben. Musikdarbietung der Bewohner und musikalische Auftritte aus dem Ort finden statt. Originale Heimatinstrumente über Kontakte in die Stadt kommen auch zusammen. Die Musikschule Offenbach wird sich noch einbringen.

 

Die Firma Siemens bietet ihre offenen Lauftreffe an, Integration in die Betriebssportgruppe wird angeboten. Etwas ganz Besonderes sind die Gastmähler am Wochenende außerhalb. Sie gehen auf eine Initiative aus dem Ort zurück. Einzelne oder Gruppen sind eingeladen. Es entstehen aus den Kontakten u.a. Aktionen in Schach, Kinderbegegnung und Ausflügen. Auch wenn es zu Transfers (Verbringungen) kommt, kommt es nicht automatisch zur Unterbrechung oder Abbruch der Kontakte, sie bleiben möglichst erhalten.

 

Als Frage wurde gestellt: die Toiletten liegen außen, sind sie beheizt? Antwort war: Ja. Moscheen im Umkreis können erreicht werden, einen Gebetsraum gibt es nicht. Es sind nicht wenige Christen eingetroffen. Für sie hat St. Peter die Zuständigkeit, auch für die Weihnachtsmesse. Ganz große Sache auch: es gibt Patenkontakte und Gastfamilien.

 

Das beherbergende Gebäude heißt, einem früheren innerbetrieblichen Ausdruck folgend: 'Die Kantine'. Es ist die ehemalige Kantine des Unternehmens 'Dimetis – Integrierte Systemlösungen', das an dieser Stelle bis vor etwa 10 Jahren arbeitete. Es galt als sozial eingestellt. Als aber von einem fernen Schreibtisch aus die Order kam: Plattmachen - war es geschehen um Arbeit und Soziales. Es bekam den Daumen nach unten gezeigt. Wir sehen die Rolle der Ökonomie. Die einen verlieren Arbeit und soziale Sicherheit und stranden innergesellschaftlich, die anderen verlieren Haus und Heimat, weil sie zerstört sind oder durch wirtschaftliche Logik von globalen Konzernen in Unordnung gebracht.

 

In der Schweiz, in Dänemark und in Bayern werden die Geflüchteten gefilzt und müssen – Vorbild ist Hartz IV – ihre Wertsachen abgeben. Das sind Nazimethoden. Die Nazis waren besonders scharf auf die Habseligkeiten, die den Geschundenen teuer waren und als Handhabe für unterwegs dienten. Ort auch: Frankfurter Großmarkthalle 1941-1945. Sind die Menschen nicht schon genug 'gestraft'? Das wird nicht anerkannt, man entwürdigt sie.

 

Info:

Besuch einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Offenbach. Hessens Minister für Soziales und Integration, Stefan Grüttner (CDU) und der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne) informieren sich über die Arbeit der Ehrenamtlichen.