Museumsdirektorin Mirjam Wenzel über ihre Pläne für das Jüdische Museum Frankfurt
Anja Prechel und pia
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In Frankfurt geboren, im Hochtaunuskreis aufgewachsen, nach der Schule nach Israel, München und Berlin gezogen, ist Mirjam Wenzel nun zurückgekommen in die Stadt ihrer Jugend. Seit 1. Januar ist die promovierte Literaturwissenschaftlerin Direktorin des Jüdischen Museums.
Noch leitet sie ein Haus ohne Haus – das Museum Judengasse eröffnet am 20. März wieder, die Fertigstellung des Neubaus des Rothschild-Palais‘ ist für 2018 geplant. Diese Ortlosigkeit will Mirjam Wenzel gemeinsam mit ihrem Team als Chance nutzen, einen grundlegenden Erneuerungsprozess zu planen und zu gestalten. Dazu gehört auch, eine umfassende Onlinepräsenz aufzubauen.
Welcher war Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass Sie die neue Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt werden?
Meine Nominierung war ein längerer Prozess; den einen Moment, in dem ich einen ersten Gedanken zu meiner Zukunft hätte haben können, gab es leider nicht. Ich habe erst, als das Kulturdezernat die Pressemitteilung veröffentlichte, und die Neuigkeit in meinem Arbeitsumfeld bekannt wurde, realisiert: Das passiert jetzt wirklich.
Wie bewirbt man sich auf eine solche Position?
Das Kulturdezernat nahm Kontakt mit mir auf und ich dachte sofort: was für ein Traum! Nach einigen Überlegungen und ersten Gesprächen zog ich dann meine damalige Vorgesetzte Cilly Kugelmann, die Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, ins Vertrauen. Sie verdeutlichte mir: „Das ist die Chance deines Lebens.“ Erst dann habe ich eine schriftliche Bewerbung verfasst.
Diese Chance zu bekommen – eine logische Konsequenz oder eine glückliche Fügung?
Es ist bereits ein Privileg, beruflich dem nachgehen zu können, was einen persönlich interessiert und intellektuell beschäftigt. Hinzu kommen für mich nun die enormen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich nun am Jüdischen Museum bieten. Ich würde sagen: Ich habe in meinem bisherigen beruflichen Leben einiges richtig gemacht und darüberhinaus vor allem großes Glück gehabt.
Wie war Frankfurt, als Sie es verließen und wie sehen Sie die Stadt heute?
Frankfurt hat sich vollkommen verändert. Als Kind und Jugendliche habe ich die Stadt als groß, voll, laut und gefährlich erlebt. Heute frage ich mich, wie in Frankfurt eine derart urbane Verdichtung entstehen kann, obwohl die Stadt ja relativ klein und überschaubar ist. Selbst in der kurzen Zeit, in der ich nun hier lebe, bin ich manchen Menschen schon mehrfach zufällig begegnet. Ich erlebe Frankfurt als eine aufgeschlossene, freundliche, engagierte Stadt, in der offen und pointiert politisch diskutiert wird. Und es ist eine Stadt mit einer großen jüdischen Gemeinde, die seit den 1980er Jahren eine sehr aktive Rolle in der Stadtgesellschaft spielt. Auch das unterscheidet Frankfurt von den meisten anderen Städten – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.
Woher stammt Ihr Interesse an jüdischer Geschichte?
Ich bin nach der Schule nach Israel in den Kibbuz gegangen, lernte anschließend Hebräisch und setzte mich intensiv mit diesem herausfordernden Land auseinander. Ich habe eine Zeit lang in Tel Aviv gelebt und als Kuratorin insbesondere mit israelischen Künstlern zusammen gearbeitet. Später begann ich dann, mich immer mehr für die jüdische Geschichte und Gegenwart in der Diaspora zu interessieren – insbesondere für die reiche kulturelle Tradition in ihren verschiedenen Artikulationsformen. Judentum ist eine Kultur der Praxis. Im Vergleich zum Christentum geht es hier weniger darum, an was man glaubt, sondern vielmehr darum, wie man sein alltägliches Leben gestaltet, was man isst, mit wem man sich anfreundet, wie man erzieht und vieles mehr.
Zurzeit sind Sie Direktorin ohne Museum. Vor welche Herausforderungen stellt Sie das?
Die momentane Ortlosigkeit bietet uns die Möglichkeit, einen grundlegenden Erneuerungsprozess zu planen und zu gestalten. Die Herausforderung ist natürlich, nach wie vor öffentlich präsent zu sein und nicht in Vergessenheit zu geraten. Im angloamerikanischen Raum ist es sehr unüblich, ein Museum zu schließen. Dort gilt: never close. In Europa gibt es dagegen prominente Beispiele, wie sich ein Museum während der Schließungszeit neu erfinden kann: Das Rijksmuseum in Amsterdam war zum Beispiel zehn Jahre lang geschlossen. In dieser Zeit ist es gelungen, das Haus neu zu definieren und eine grundlegend neue Online-Strategie zu entwickeln, die für Furore sorgte.
Es hat also auch Vorteile, kein Haus zu haben?
Eine Schließung bietet die Chance, eine Zäsur vorzunehmen, um präziser sagen und zeigen können, wer man sein möchte. Man kann ein neues Leitbild entwickeln, sich neue Konzepte überlegen und sich auf ein neues Corporate Design einigen. Eröffnet man das Haus dann wieder, ist es ein echter Neustart.
Das Jüdische Museum bleibt auch in den kommenden Monaten präsent, indem Sie im März das Museum Judengasse wiedereröffnen, mit anderen Häusern kooperieren, im August mit einem Pop-up-Museum in den Stadtraum gehen. Sie sind seit 1. Januar im Amt – inwieweit waren Sie in die Ideenfindung involviert?
Natürlich beschäftige ich mich nicht erst seit ein paar Wochen mit dem Jüdischen Museum Frankfurt. Ich war in den vergangenen Monaten in verschiedene Konzeptionsprozesse einbezogen und habe an vielen Terminen teilgenommen. Als ich anfing, wusste ich relativ genau, was die Überlegungen der Kollegen sind und an welchen Stellen bzw. mit welchen Projekten ich schon in diesem Jahr eigene Akzente setzen möchte. Das Pop-Up-Museum ist zum Beispiel eine Idee, die ich entwickelt habe.
Wie sehen Ihre Pläne für das neue Jüdische Museum aus?
Ich möchte das Haus gerne neu profilieren, indem ich die Entwicklungen der vergangen zwei Jahrzehnte, in denen sich jüdisches Leben in Deutschland durch den Zuzug von russischsprachigen Juden und Israelis entscheidend verändert hat, zum Ausgangspunkt des zukünftigen Programms mache.
Jüdisches Leben in Deutschland zeichnet sich heute durch eine große Diversität aus. In Anbetracht der gesellschaftlichen Vielfalt, die auch die Bevölkerung der Stadt Frankfurt prägt, gilt es deshalb zukünftig aktuelle Themen wie etwa Flucht oder grundlegende gesellschaftliche Fragen aufzugreifen, zum Beispiel die nach der Bedeutung von Religion in unserem säkularen Wertesystem. In pädagogischen Angeboten werden wir deshalb verstärkt die Verbindungen zwischen Judentum und Islam thematisieren und in Ausstellungen kulturhistorische Perspektiven entwickeln, die auch für Moslems interessant sind – etwa zum Thema Märtyrer. Darüberhinaus werden wir die Auswirkungen des Konflikts im Nahen Osten auf jüdisches Leben in Deutschland und Europa im Blick behalten – vor allem den Antisemitismus, von dem Juden sich zunehmend bedroht fühlen.
Welche Rolle kann ein Museum dabei spielen, Vorurteile und Rassismus abzubauen?
Ein Museum kann helfen, das Verstehen von anderen Kulturen, das Verstehen des Anderen im Eigenen zu fördern. Dazu sollte man alle Formen nutzen, in denen sich Kultur artikuliert. Mit Ausstellungen, in denen ja bekanntlich Objekte gezeigt und inszeniert werden, alleine kann es kaum gelingen, dieses Verstehen zu fördern. Es muss vielmehr darum gehen, Museen als lebendige Orte zu gestalten, an denen diskutiert, nachgedacht, zugehört und gestritten wird – also anregende und intensive Begegnungen mit anderen Menschen und Dingen stattfinden.
Wie wollen Sie dieses Verstehen fördern?
Man muss den Museumsbesuch als ein soziales Ereignis verstehen, das die Besucher dazu anregt, mitzudenken und sich einzubringen. Wir wollen zukünftig verstärkt mit unseren Besuchern in Dialog treten, während sie im Haus sind, und werden in unsere Ausstellungen Feedbackmöglichkeiten sowie partizipative und interaktive Elemente integrieren. Darüberhinaus werden im neuen Jüdischen Museum Konzerte, Lesungen, Theatervorführungen, Workshops mit Kindern und Diskussionsveranstaltungen für Erwachsene stattfinden. Und natürlich spielt auch das, was ich „das digitale Museum“ nenne, eine zentrale Rolle in der Kommunikation mit den Besuchern.
Wie werden Sie das digitale Museum nutzen?
Das digitale Museum ist nicht an die Stadt oder die Region gebunden. Es bietet uns die Möglichkeit, mit Online-Besuchern aus der ganzen Welt in Kontakt zu treten und ihnen die Themen des Hauses nahe zu bringen. Wir werden unsere Sammlung, sofern es rechtlich möglich ist, online zugänglich machen. Wenn jemand in Südkorea beim Browsen im Internet über ein Gemälde von Ludwig Meidner stolpert, soll er umgehend erfahren können, dass es auf der anderen Seite der Welt an einem ihm unbekannten Ort ein Ludwig Meidner-Archiv gibt. Und dass er dorthin fahren muss, wenn er das Gemälde im Original sehen will. Wir werden unseren Bildungsauftrag auf das Internet ausweiten, indem wir Objekte, die nicht selbsterklärend sind, erläutern: Wie und wann wird ein Chanukka-Leuchter benutzt? Wie wurde er angefertigt? Wie kam er ins Museum? Mit den Antworten auf solche und andere Fragen bringen wir die Dinge zum Sprechen.
Kann ein Museum ohne Online-Präsenz noch bestehen?
Ich finde, diese Frage stellt sich heute nicht mehr. In Anbetracht der Bedeutung, den Aufmerksamkeit als Ressource kulturellen Lebens innehat, geht es bei der Digitalisierung schlicht um Relevanz. Das Erlebnis eines Museums findet nicht mehr ausschließlich vor Ort statt. Es beginnt mit dem ersten Berührungspunkt im Internet und endet beim Browsen in den digitalen Vermittlungsangeboten, beim Stöbern in den Online-Sammlungen oder beim Lesen des Katalogs im Anschluss an den Museumsbesuch auf dem heimischen Sofa.
Der digitale Wandel hat dazu geführt, dass die Erwartungshaltung von Besuchern an Museen eine andere geworden ist: Heute wollen die Besucher sehen, was mit öffentlichen Geldern gesammelt, bewahrt und erschlossen wurde. Sie wollen mitreden, wenn es um Interpretationsfragen geht, und ihr Wissen mit anderen Besuchern teilen. Ich verstehe das digitale Spielfeld nicht als ein Marketinginstrument. Für mich geht es um einen tiefgreifenden sozialen Wandel, den Museen vollziehen müssen, indem sie sich intensiv den Besuchern online und vor Ort zuwenden.
Gerade in den Sozialen Medien tun Menschen oftmals ungefiltert ihr Meinung kund – wie wappnen Sie sich vor Entgleisungen?
Man braucht auf jeden Fall eine Netiquette (Verhaltensregeln für das Internet. Die Redaktion.) Gerade ein Jüdisches Museum muss öffentlich klarstellen, in welchem Ton über die Social-Media-Kanäle kommuniziert wird und dass es rassistischen oder antisemitischen Äußerungen keinerlei Plattform gibt. Solche Äußerungen werden gelöscht. Dafür braucht es ein intensives Monitoring.
Foto: pia (c) Stefan Maurer