Nachdenklicher Neujahrsempfang der Stadt Frankfurt am 12. Januar, Teil 2/2

Notker Blechner

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - "Scheibchen für Scheibchen schneiden wir uns gegenseitig die Achtung und den Respekt ab", das zivilisatorische Fundament, das in den Nachkriegsjahren so mühsam aufgebaut wurde. Unter anderem die Angst vor Terror, autokratische Regimes, dem Dämon der Globalisierung und sozialem Abstieg treibe die Menschen in die Arme von Populisten und Nationalisten.



Derweil "haben wir, die eine offene Gesellschaft anstreben, ein Legoland gebaut und uns in einer Mittelschichtswelt eingerichtet", haderte Mika. "Für viele von uns", zitierte sie den scheidenden US-Präsident Barack Obama, "ist es sicherer geworden, uns in unsere eigenen Blasen zurückzuziehen, ob es unsere Nachbarschaft ist, der Campus der Universität, Religionsgemeinschaften oder Social-Media-Feeds." Mit unserem Elitedenken und urbanem Selbstverständnis haben wir uns die Mühe erspart uns umzusehen, kritisiert die FR-Chefredakteurin. "Wir sind offen für die weite Welt - doch ganz schön abgeschottet für unser näheres Umfeld."



Kampf um die offene Gesellschaft

"Wir haben uns geirrt", gab Mika selbstkritisch zu. Die freiheitliche Ordnung sei noch immer für eine große Mehrheit, aber längst nicht mehr für fast alle erstrebenswert. "Mit atemberaubender Schnelligkeit steuern wir auf eine heftige Kollision zwischen den Befürwortern und den Gegnern einer offenen Gesellschaft zu", warnte Mika.

Damit das nicht passiert, "müssen wir für Demokratie einstehen und aufstehen", forderte die Festrednerin. "Wegducken gilt nicht!" Hier verwies sie auf den Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der zu Jahresbeginn den frommen Wunsch äußerte, "dass die demokratischen Werte mit der gleichen Leidenschaft verteidigt werden wie manchmal die Einhaltung der Abstandsflächen eines Neubaus auf dem Nachbargrundstück".

Zum Schluss gab sich Mika fast pathetisch. Unsere offene Gesellschaft sei auch ein Geschenk. "Niemand soll es uns wegnehmen dürfen", forderte sie - und erntete großen Applaus.



Serbiens Generalkonsulin befürchtet "Kristallnacht"

Auch die Doyenne des konsularischen Corps, Aleksandra Djordjevic aus Serbien, warnte - mit etwas einfacheren Worten - vor der wachsenden rechten Szene in ganz Europa. Sie schüren Rassismus und Antisemitismus. Die Gesellschaften müssten die Entwicklung stoppen und sich den Populisten entgegenstellen und, "um nicht eine weitere Kristallnacht unvorstellbaren Ausmaßes erleben zu müssen", mahnte sie. Und zitierte zum Abschluss Bertolt Brecht.


Desinteresse außerhalb des Kaisersaals

Während im Kaisersaal rund 300 Gäste die Reden besorgt verfolgten, tummelten sich draußen in den Gängen und unten in den Römerhallen die übrigen eingeladenen Multiplikatoren der Stadt vor den aufgestellten Fernsehern, auf denen die Reden übertragen wurden. Dort freilich hielt sich das Interesse in Grenzen. Viele der Gäste ignorierten die nachdenklichen Vorträge und unterhielten sich mit Gleichgesinnten über die Erlebnisse zwischen den Jahren und dem nächsten Urlaub. Oder labten sich am Frankfurter Buffett mit Eiern, Kartoffeln, Würstchen und Grüner Soße. Kabarettist Bäppi la Belle sprach auf Facebook vom "Jahrestreffen der Frankfurter Freibiergesichter" - und musste sich dafür später entschuldigen.

Großes Tuschel-Thema im Römer war die geplante Verleihung der Ehrenbürgerschaft an die frühere OB Petra Roth. Über die Ängste von FR-Chefredakteurin Mika wurde indes kaum gesprochen. Die Hoffnung auf ein besseres neues Jahr wollten sich die Gäste nicht nehmen lassen…

Foto: Der vollgestopfte Kaisersaal während der Ansprachen (c) Redaktion