Frankfurter Pressegespräch anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, Teil 2/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Foto muß man sich genauer anschauen. Das Sensationelle sind nicht die vier Frauen. Das Sensationelle ist, daß sich hier vier Amtsträgerinnen versammelt haben, um eine Kooperationsvereinbarung zu unterzeichnen. Wann dürfen Frauen öffentlich arbeiten und repräsentieren? Meistens, wenn es schwierig ist.
Nicht die Zusammenarbeit wird schwierig werden, aber das Thema NATIONALSOZIALISMUS und die von den Deutschen verursachten Morde und sonstige Verbrechen an so vielen ihrer eigenen Bürger ist immer noch - und sogar unsäglicherweise gerade wieder - ein so gesellschaftlich nötiges wie für ein paar wenige Gestrige sie reizendes Thema. Der Tag des Pressegesprächs war gut gewählt, dann tags drauf fand die Kranzniederlegung am KZ-Denkmal an der Paulskirche statt. Weltexpresso hatte darüber berichtet.
Hier und heute ging es aber um die Erinnerungsstätte im Keller der Großmarkthalle, die von den Nazis zum Sammelplatz der aus Frankfurt entführten und in die KZs deportierten jüdischen Frankfurter mißbraucht wurde, die mit der Einweihung der EZB, der himmelhoch und gewaltig überbauten alten Großmarkthalle im Ostend, ebenfalls eingeweiht wurde.
Grauslich ist es dort und das abgebildete Foto vermittelt genau den Eindruck von Trostlosigkeit und Schäbigkeit, die die über 1000 dort zusammengepferchten Menschen sicher fühlten, die Schlimmes ahnten, aber noch nicht wußten, daß sie in den Tod abtransportiert wurden. Es waren insgesamt über 10 000, die von der GESTAPO geholt und ins Gas geschickt wurden, von denen gerade mal 176 überlebten. Wenn es so etwas wie eine Aura des Ortes gibt – und es gibt sie! - strahlt sie dieser Ort deutscher Schande aus. Es langt übrigens nicht, immer nur von den Nazis zu sprechen, was wir auch gerne tun. Es waren Deutsche und sie sprachen in deutschem Namen. Und die Schande liegt vor allem darin, daß die deutsche Bevölkerung sie gewähren ließ. Keine Diktatur kommt von alleine. Im aufgeklärten Mitteleuropa schon gar nicht.
Nun ist es wegen der immensen Sicherheitsmaßnahmen der EZB ungeheuer schwierig, das exterritoriale – die EZB ist Europa! – Gelände zu betreten. Daß dennoch schon über 5 000 Besucher in einem Jahr die Prozedur in Gang setzten und kamen – das geht nur über Führungen des Jüdischen Museums! - zeigt, daß es richtig war, aus dem Ort eine Gedenkstätte zu machen. Diese Führungen und noch mehr werden vom Pädagogischen Zentrum, das gemeinsam vom Jüdisches Museum und dem Fritz Bauer Institut an der Frankfurter Universität betrieben wird, betreut. Das 'und noch mehr' bezieht sich auf das, was auch die Kooperationsvereinbarung auszeichnet. Dazu gleich mehr.
Ein Wort noch zum Ort: Das Frankfurter Ostend wird – eigentlich erst seit der Ansiedlung der EZB und der Gedenkstätte – wieder als angestammter Ort der früheren Besiedelung von Juden in Frankfurt wahrgenommen. Es waren nach 1945 ja nicht nur keine Juden mehr da, auch die große Synagoge war zerstört worden. In der Nachkriegszeit hatte sich das großbürgerliche Westend mit der dortigen Synagoge stärker als Zentrum einer neuen Jüdischen Gemeinde entwickelt, weshalb im Westend auch das heutige jüdische Gemeindezentrum steht.
Aber wir kennen noch genug sich neu ansiedelnde Frankfurter jüdischen Glaubens, die die alten Tradition des Ostends als ihren Ort bewahrt haben und dort wohnen. Im Ostend und zwar buchstäblich gegenüber der EZB liegt auch das Abendgymnasium Frankfurt. Traditionell sind deren Schüler und Schülerinnen junge Menschen, die nicht den direkten Weg über die Gymnasien und Gesamtschulen zur Hochschulreife gingen, bzw. gehen konnten, sondern die, schon berufstätig und zu alt für den 'normalen' Schulbesuch, über das Abendgymnasium eine zweite Chance erhalten. Der Unterricht ist dieser Situation angepaßt und es muß einen nicht wundern, daß hier unter den Schülern besonders viele einen Migrationshintergrund besitzen. Man könnte also sagen, daß sowohl Ort, also Nähe zur EZB, wie auch die Art der Schule besonders gute Voraussetzungen für eine Bildungspartnerschaft aufweisen.
Die Kooperation, zu der sich die vier Institutionen bekannten, hat drei Bildungspartner. Auf der einen Seite das Jüdische Museum Frankfurt, das für alle Belange im Bereich jüdischen Lebens zuständig ist, das Fritz Bauer Institut, das im Namen des ehemaligen Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer Holocaustforschung betreibt und das Abendgymnasium Frankfurt. Die Vertreter dieser drei Institutionen haben diese Kooperationsvereinbarung unterschrieben, die die Zusammenarbeit zwischen zwei Stellen festschreibt: die zwischen dem Pädagogischen Zentrum und dem Abendgymnasium. Denn genau um diese Zusammenarbeit geht es.
Die Schule sucht abgesicherte Informationen, sucht Hilfestellungen für die tägliche Schulpraxis. Das Zentrum bietet Unterstützung für Unterrichtsreihen zum Thema Drittes Reich und die Folgen an sowie Fortbildung für Lehrer durch Workshops u.a. Auch für die Schüler werden Seminare angeboten und für alle Mitglieder der Schule gilt freier Eintritt für die Erinnerungsstätte EZB und das Jüdisches Museum und dessen pädagogische Angebote. Dies ist die fünfte Kooperation mit einer Schule, einschließlich einer Berufsschule sowie der Ricarda-Huch-Schule in Dreieich, wobei einem dabei auffällt, wie kaum beachtet Ricarda Huch heute ist, diese großartige Schriftstellerin und Humanistin, die 1947 im Taunus starb.
Sehr interessant war dann das Gespräch miteinander. Da auch Lehrer der Schule anwesend waren, wurden die naturgemäß danach gefragt, welchen Stellenwert die Aufarbeitung des Themas Nationalsozialismus in ihrem Unterricht habe und wie die Schüler und Schülerinnen dazu stünden. Die Schulleiterin Irene Kambas hatte dazu schon Grundsätzliches mitgeteilt, die Lehrer erzählten nun aus ihrem Unterricht, wobei dies so vielfältig ist, daß es hier den Rahmen sprengt. Es geht eben auch darum, ob der große Teil von Schülern mit Migrationshintergrund deutsche Geschichte, eben die der Nazidiktatur und Judenvergasung, sich dafür interessiert und ob sie jetzt als Deutsche sogar dies als Teil ihrer Geschichte ansehen. Weil in den letzten Jahren das Thema Flucht – man flieht immer vor etwas – das wichtigste politische Thema wurde, ergeben sich auch für das Thema Drittes Reich neue Aktualisierungen. Das geht nicht nur Schülern so. Das sieht man beispielsweise auch in den Deutschen Fernsehprogrammen.
Fotos:
1.Titel: von links nach rechts, Mirjam Wenzel, Ina Hartwig, Irene Kambas, Sophie Schmidt (c) Jüdisches Museum
2. Das zweite Foto ist auch im unten erwähnten Band über die Erinnerungsstätte zu sehen (c) Jüdisches Museum
Info:
2017 jähren sich die Deportationen aus dem Jahre 1942 zum 75. Mal. Daher bietet das Jüdische Museum an den Tagen, an denen Frankfurter Jüdinnen und Juden deportiert wurden, öffentliche Führungen über die Erinnerungsstätte an: Die Termine sind wie folgt: Montag, 8. Mai 2017, Mittwoch, 24. Mai 2017, Sonntag, 11. Juni 2017, Freitag, 18. August 2017, Freitag, 1. September 2017, Freitag 15. September, und Sonntag, 24. September. Die Führungen beginnen jeweils um 16.30 Uhr und um 18.00 Uhr, sonntags um 10:30 Uhr und um 12:00 Uhr.
Anmeldungen nimmt Christine Wern entgegen per
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Es gibt ein sehr informatives Buch:
Hrsg.: Raphael Gross und Felix Semmelroth, Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle. Die Deportation der Juden 1941-1945
Prestel 2016