von Lida Bach


„Mein Traum ist es die Schönheit der Frauen meines Landes zu repräsentieren.“, sagt die Titelfigur in einer frühen Szene, die das Epizentrum von Gerardo Naranjos erbarmungsloser Verbrechensstudie scheint. Für die 23-Jährige (Stephanie Sigman) erfüllt sich der Traum, der tatsächlich nicht einmal der ihre ist. Die paradigmatischen Worte, welche der Kandidatin in einer Schönheitskonkurrenz um den Titel der „Miss Bala“ die Leiter Jessica Berlanga (Irene Azuela) vorspricht, bezeugen sowohl die Dogmatik des mexikanischen Filmemachers als auch die Auslieferung seiner Protagonistin. 

 

Der eindringlich von Sigma verkörperte Tochter eines Kleiderverkäufers in Tijuana fehlt die Kontur einer Hauptfigur, denn Naranjos Gewaltepisode interessiert nicht der Gefühlszustand eines Menschen, sondern des Landes. „In der Tat: Das ist ein Ort voller Licht.“, ruft bei der Misswahl der Bühnenmoderator, als die verängstigte Kandidatin kaum ein Wort herausbringt. Sie schweigt, statt zum Schweigen gebracht zu werden. Diesen Grundsatz enthüllt die kalte Bestandsaufnahme als Gesellschaftsmentalität, erzwungen unter dem Terror allgegenwärtiger Korruption. In deren Räderwerk gerät die Titelfigur, weil sie nach einer Schießerei in einem Club ihre verschwundene Freundin sucht. „Ich habe einen Fehler gemacht.“, erkennt sie rasch. Da verschleppen sie schon der Bandenchef Lino Valdez (Noe Hernandez) und seine Männern in einem dunklen Auto. Die anonymen Fahrzeuge, welche die Protagonistin auflauern, dienen als Symbole omnipräsenter Bedrohung.

„Man weiß nie was in dem schwarzen Truck mit den verspiegelten Scheiben auf einen zu kommt.“, sagt der Regisseurs. Seine mit Mauricio Katz verfasste Story bezeichnet er als Exorzismus seiner eigenen Ängste. Sie alle kreisen um eine schicksalhafte Unwägbarkeit, die Gewalt und Staatswillkür ins Monströse gesteigert haben. Die Unberechenbarkeit der Ereignisse reduziert die junge Frau immer stärker zur passiven Beobachterin des eigenen Leidens, vor dessen öffentliche Schande sie sinnbildlich die Augen niederschlägt. Miss Bala mag Zurückhaltung kennen; „Miss Bala“ kennt nicht. Unbarmherzig setzen die kühlen Plansequenzen die von General Duarte (Miguel Couturier) verkörperte politische Verworfenheit mit Linos Kaltblütigkeit und die Bestechlichkeit des US-Kontaktmanns Jimmy (James Russo) mit der des Polizeispitzels Kike (Jose Yenque) gleich. Noch unbarmherziger verurteilt das Gangsterdrama seine Figur für deren zaghaftes Streben nach wirtschaftlicher Sicherheit.

„Das ist der schönste Tag eures Lebens.“, sagt Jessica, was der Kontext in zynischen Spott verkehrt. „Du musst öfter lächeln!“, mahnt sie die von Lino protegierte Siegerin der abgekarteten Schönheitskonkurrenz. Das Gefühl der Ohnmacht wird verdrängt durch die emotionale Gleichgültigkeit des nüchternen Kameraauges. Menschen haben in der Handlung nur einen Wert als Projektionsfläche für die Hoffnungen und den Hass der Öffentlichkeit. Die Fähigkeit, mit ein Mediengesicht einer realen Persönlichkeit zuzuordnen, scheint ihr abhanden gekommen zu sein. Der Name des Mädchens, das für die angebliche Prostitution ihres Äußeres verdammt, und für ihre darob erlittene Erniedrigung entsühnt wird, ist Laura. „Laura Guerrero“, sagt sie, die vorrangig der fiktive Nachname von der 2008 verhafteten „Miss Sinaloa“ Laura Zúñiga unterscheidet.

Ein Abweichen von der kollektiven Kapitulation vor einer Verbrechensmacht, die untrennbar mit der staatlichen verbunden ist, bringt ihrem Filmpendant die Krone der „Miss Bala“: ein Symbol des Triumphs von Schein über Sein, unter dem das zwiespältiges Gewaltdrama leidet.

Oneline: Die traurige Krönung einer machtlosen Königin im Angesicht der Brutalität.