Film.Werk.Schau: Zehnmal Helmut Qualtinger bei Hoanzl
von Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Helmut Qualtinger, sagt Ihnen das noch etwas? Dann sind Sie mit der Gnade der frühen Geburt ausgestattet, denn die bundesdeutsche Wirklichkeit von heute kennt zwar Kabarettisten, Komiker, Kleinkünstler, Kulturkommissare, Karaoke und Kellerkinder, aber ein Allroundtalent, wie es der 1928 geborene Qualtinger, Helmut aus Wien war, das gibt es nimmer. Und so hat unsere private statistische Umfrage unter jüngeren Deutschen ein vernichtendes Urteil über deren Zeitgeschichtskenntnisse offenbart, denn den schon 1986 am Leberleiden (Alkohol war im Spiel) Gestorbenen kannten sie nicht. Wir werden dagegen arbeiten und diese Filme sind erst der Anfang! Denn spricht man mit den sogenannten Zeitzeugen und fragt sie nach Qualtinger, so würden diese nicht die Filme, sondern zuvörderst seine Sketche wie den „Herrn Karl“ oder seine Lesungen wie Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ oder seine Couplets auf Schallplatten, heute auf CDs nennen.
„Der Papa wird’s schon richten“ ist so eine Moritat, die unsereiner sich so jedes halbe Jahr reinziehen muß, um über die miterlebten gesellschaftlichen oder persönlichen Ungerechtigkeiten durch Lachen wieder ins Reine zu kommen. Hören Sie es sich gleich an und vernehmen Sie, daß es eine Reaktion auf dieses Lied gab, das einen zeitaktuellen Hintergrund hatte. Der Nationalratspräsident, eben „der Papa“, der’s schon richten wird, mußte zurücktreten. Aber hier muß man ebenfalls der Gerechtigkeit wegen hinzufügen, daß Text und Melodie von Gerhard Bronner sind, dem alten Mitstreiter, zu dem man auch Georg Kreisler hinzurechnen muß, die im Nachkriegswien die Szene aufmischten. Aber da gab’s Reibereien und Eifersüchteleien und manch böses Wort, denn der Qualtinger, Helmut konnte auch ein ganz Böser sein und durchsetzungsfähig dazu und darum wird es ihm recht sein, daß er jetzt die einzige Hauptperson bleibt, es fürderhin nur noch um ihn geht, den Menschenimitator per se.
Wie wir darauf kommen? Das hat uns das kleine Heftchen gelehrt, das zu dem elegant in Schwarz-Gold und äußerst praktisch einfaltbaren Schuber mit den zehn Filmen hinzugehört. Das soll Qualtinger nämlich selbst gesagt haben: „Wenn ich eine Visitenkarte hätte, würde ‚Menschenimitator’ draufstehen.“ Und?, man denkt weiter. Hatte er keine? Und weiß mit einem Schlag, was wir uns heute mit der ganzen Kärtchenkultur – wie man sie sich überreicht, wie man sie verliert oder falsch einsortiert und auf jeden Fall in der Regel nicht wiederfindet oder auch nie wieder braucht – was wir uns also heute mit dieser Visitenkärtchenunkultur antun. Und allein daran haben Sie ein Beispiel erlebt, wie es unsereinen mit dem Qualtinger, Helmut immer wieder geht. Da ist ein Gedanke und dann denkt sich der in uns fort. Er war nämlich auch ein Gedankenpflanzer.
Und noch immer können wir mit den Filmen nicht anfangen, weil das ganzseitige Bild neben dem Vorwort uns so rührt. Das muß vor Mitte der Sechziger sein. Man sieht den großen, im Gesicht zugewachsenen und schon ziemlich fetten Kerl an der Hand seines kleinen Sohnes Christian mitten auf der Straße ins Nirgendwo. Qualtinger wirkt wie so ein richtiger Grantler, aber ein netter, er selbst hat Nestroys Ausspruch: „Die edelste Nation ist die Resignation“ gutgeheißen – wo einem sofort Andre Hellers „Was dem Hamburger seine Zimmermannstracht, ist dem Österreicher seine Niedertracht.“ einfällt, - und sein kleiner barfüßiger Sohn guckt skeptisch in die Linse, gar nicht kindlich, so als ob ihm schon klar sei, daß das schwierig werde mit dem Weg und dem Vater dazu. Ein Bild, aus dem man gleich ein Theaterstück produzieren möchte oder zumindest eine Kurzgeschichte niederschreiben.
„Mit Himbeergeist geht alles besser“, die erste DVD von 1960 ist schon Qualtingers neunter Film. Eigentlich wäre heute eine Zeit, wo man diese Geschichte neu gutfinden kann, wo nicht hochmoralisch, sondern saukomisch die Nazivergangenheit angesprochen wird; aufzuarbeiten wäre ein zu gewichtiges Wort. Wir staunten erst mal, wie gutaussehend wir O.W. Fischer, die Hauptperson Kalder, fanden und wie elegant. Der war uns als Schmachtfetzen in Erinnerung. So grausam urteilen junge Mädchen über Männer! Helmut Qualtinger dagegen, den sahen wir nie als Mann, den sahen wir als Naturgewalt, als Hinterfotzigen oder Querulanten, aber auch als eine Art Lieber Gott. Hier ist er nur der durch Nazitum neureiche Kunstsammler Reber, der auf die Frage Kalders zu einem Gemälde der drei Grazien: „Von Rubens“? antwortet: „Aber nein, kontert Reber, „vom Rothschild.“ Und das Gesicht dabei!
Die „Geschichten aus dem Wienerwald“ atmen fast den Theaterduft der Sechziger. Das ist eine Art des Spielens, des Sprechens, die nicht nur mit dem Schwarz-Weiß-Bild des Fernsehschirms einhergeht, sondern von der Bedeutung der Sprache sehr viel mehr getragen ist als heutige Schauspielerei. Natürlich geht es um Horvaths „Volksstück“ von 1931, das erst im Nachkriegswien zum Skandal wurde, waren doch die Dummheit und der Chauvinismus in Hochblüte. Horvath hatte gesagt: „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“ und knüpft damit an Brecht an: "Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie ungeheuer große Ausmaße annimmt." Und der Oskar des Helmut Qualtinger paßt wie die Faust aufs Auge. Der Vorteil des Mediums gegenüber der Bühne wird durch die Großaufnahmen herausgestellt, dieser Fleischermeister Oskar ist wirklich so ein Ausbund an Naivität, an gutem Willen, an primitiver Kleingeisterei, bis hinter der Biedermeiermaske der brutale Kerl zum Vorschein kommt und vernichtend zuschlägt. Faszinierend, wie Qualtinger dieser Oskar ist, wie schrecklich man ihn findend und wie mitleidserregend!
Wir haben sie alle angeschaut, alle zehn Filme und darunter war keiner, den wir hätten abschalten wollen, ach, geben wir es zu, wir hätten auch zwanzig Filme angeschaut. Natürlich braucht das seine Zeit, denn bei „Mann im Schatten“ von 1961 unter der Regie von Arthur Maria Rabenalt, konnte es bei dem gespannten Krimianschauen bleiben, aber schon „Biedermann und die Brandstifter“ von 1963 und dem Regisseur Helmuth Matiasek hat uns erst einmal dazu verleitet, diese Lehrstück ohne Lehre von Max Frisch in die Hand zu nehmen und erneut zu lesen. Qualtinger verkörpert Josef Schmitz, das ist der bullige Brandstifter, der ein Ringer ist. Und wie bei seinen anderen Rollen ist er auch hier derjenige, der durch Haltung und Worte deutlich zum Ausdruck bringt, was er will, sich erst lieb Kind machen, untertänig sein und dann den Kraftbolzen und Niedermetzler rauszuhängen und Gewalt anzuwenden.
„Lumpazivagabundus“ ist ein Märchen, wenigstens von heute her, das gilt für das Entstehungsjahr des satirischen Nestroystückes von 1833, das sich eine Zauberposse nennt, genauso wie für seine Verfilmung 1965. Man glaubt kaum, daß sich Gelder für diesen wunderbaren, aber auch unspektakulären Film fanden. Qualtinger ist der aufsässige und trinksüchtige Schuster, der weiß, daß im Wein Wahrheit steckt. Und da er wahrheitssuchend ist,… Diese Verfilmung hat uns gar zu gut gefallen und als wir den „Himbeerpflücker“ ansahen, da hatten wir noch Tage danach das Gefühl, wir müßten ein Unrecht wieder gut machen, auch wenn wir es nicht verursacht hatten. Eine Geschichte, die 1965 zeigt, daß die Nazizeit nicht vergangen ist und Verdrängtes in den Menschen rührt und sie Dinge sehen, die nicht da sind, aber die Schatten von ihren eigenen Sünden sind. Beeindruckend Qualtinger als Gastwirt Steißhäupl im „Weißen Lamm“, der Inbegriff des Biedermannes, der trinkt, damit er endlich die Wahrheit sagen kann, deretwegen er aber – da betrunken – nicht belangt wird.
In der „Hinrichtung“, einem Fernsehspiel von 1966 spielt Helmut Qualtinger den Scharfrichter Engels, dessen Tage vorbei sind, denn die Todesstrafe ist abgeschafft, aber da hat er und ein anderer Verbrecher eine Idee…Schön, die junge Erni Mangold auch wieder zu sehen, wobei dies die Filme über unterschlagen wurden, welches Vergnügen es ist, heute schon wieder Unbekannte, aber auch heute immer noch bekannte Schauspieler zu sehen. „Kurzer Prozeß“ ist ebenfalls ein Fernsehspiel, das dann als Film viel später reüssierte, und einen in die Provinz versetzen Bezirksinspektor Pokorny (Qualtinger) zeigt, der alle Hände zu tun hat, daß sich die Gesellschaft als so schäbig und bösartig entpuppt, wie man es eh ahnt. Und „Der Kulterer“ ist Kult für jeden Thomas Bernhard Fan. Was sich wie eine Berufsbezeichnung oder psychoanalytische Typenunterscheidung anhört, ist der Name des Franz Kulterer. Wie Qualtinger diesen Strafgefangenen gibt, der in der Einsamkeit seiner Zelle Gedichte zu schreiben beginnt und ein anderer wird, nein eigentlich ein eigener wird, denn noch nie zuvor hatte er von sich den Eindruck, jemand zu sein, und nun, nachdem er seine Strafe abgesessen hat, will er nicht mehr hinaus ins richtige Leben, weil er nicht mehr dichten zu können glaubt in der Freiheit, die ja nicht die Freiheit zu etwas, sondern die Freiheit von etwas ist. Hier die Freiheit von der Sinnhaftigkeit seiner Existenz im Gefängnis durch sein Schreiben.
Und den letzten, den zehnten Film, „Der Richter und sein Henker“, den müssen wir kaum vorstellen, denn der wird in der Regie von Maximilian Schell nach dem Roman von Friedrich Dürrenmatt immer wieder mal gezeigt. Er ist ein Vorzeigeprodukt von 1975und hält, was er verspricht und zeigt einen gut draufseienden Qualtinger, der aber urplötzlich nicht mehr in die Landschaft paßt und verschwindet. Bis zu seinem letzten Film, ausgerechnet „Im Namen der Rose“ vergehen noch 11 Jahre und 9 Filme. Ja, das wäre schön, die auch noch sehen zu dürfen und wir versprechen schon einmal, die dann bald zu rezensieren, denn sie müssen unters Volk gebracht werden, diese DVD's, die Hoanzl so formschön und inhaltreich auf den Markt brachte.
Was ist Hoanzl? Wir haben nachgeschaut und wissen jetzt, wir hätten fragen müssen: „Wer ist Hoanzl“, denn das ist richtig wer. Das ist Georg Hoanzl, der mutig – das sage wir dazu – eine Künstler-Agentur gegründet hat und sie so ausbauen konnte, daß heute – laut der www-Angabe 48 Leute bei ihm angestellt sind. Das sind unglaublich viele! Und wenn wir dann noch lesen, daß er mit Josef Hader anfing, den wir gerade auf der Berlinale mit seinem Knochenmann sahen, über den wir auch noch schreiben wollen, dann wissen wir: Wir kommen ins Geschäft, Herr Hoanzl. Ach, eigentlich sind wir es schon.
P.S. Dreimal sind wir ihm zufällig auf der Treppe begegnet, dem Helmut Qualtinger, und das war im Heiligenkreuzerhof im I. Bezirk, wo er eine Stiege höher als Professor Alois Kieslinger wohnte, den wir so gerne besuchten, weil er, der naturwissenschaftliche Steinefachmann auch der einzige war, der anhand der Steine Bauhütten und Bauzeiten kunsthistorisch erforschen konnte, eine Wissenschaft, die es nicht mehr gibt. Tot sind sie, alle tot.
Hoanzl/Der Standard/filmarchiv austria: Helmut Qualtinger, Film.Werk.Schau.
10 Hoanzl DVD’s von insgesamt 16 Stunden
Vertrieb: Hoanzl, Arbeitergasse 7, 1050 Wien
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