Udo Jürgens als Aufhänger einer deutschen Familiensaga in der ARD

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Kann gut sein, daß ohne Udo Jürgens gleichnamigen autobiographischen Roman, „Der Mann mit dem Fagott“ dieser Zweiteiler im Deutschen Fernsehen niemals entstanden wäre, was schade gewesen wäre. Denn dieser Fernsehfilm, dessen zweiter Teil heute Abend im Ersten läuft, ist richtig gut geeignet, uns anhand privater Schicksale dieser Familie Bockelmann auch den geschichtlichen Hintergrund vom Ende des 19. Jahrhundert bis heute nebenbei mitzuliefern.

 

Kein anderer deutschsprachige Sänger aus dem Unterhaltungsfach hat eine längere und erfolgreiche Karriere hinter sich als Udo Jürgens, der als Jürgen Udo Bockelmann am 30. September 1934 in Klagenfurt – er wird also heute 77 Jahre – geboren wurde. Der Fernsehfilm verschränkt nun die Geschichte seiner Familie mit seinem persönlichen Werdegang, was im ersten Teil ein wenig bemüht erscheint, dem Interesse am Film aber keinen Abbruch tut. Denn der Film ist spannend genug.

 

Sein Vater (Ulrich Noethen)  ist einer der fünf Söhne des Heinrich Bockelmann (Christian Berkel), der motiviert durch einen russischen Fagottspieler auf Bremens Straßen, mit dem er ins Gespräch über dessen Heimat kam, beschließt, nach Moskau zu übersiedeln. Zehn Jahre später ist er dort nicht nur ein erfolgreicher Banker mit dem Zaren als Kunden, sondern hat eine russische Frau und die besagten fünf Söhne. Allein die Weltlage ist gegen ihn. Denn der Erste Weltkrieg macht die deutschen Freunde, bis dahin stabile Aufbauer des russischen Zarenreiches, zu Feinden des Volkes.

 

Wie dieser jähe Wechsel in das mehr als großbürgerliche, ja feudale Leben der Familie in Moskau wie der Blitz einschlägt, ist eines der fesselnden Seherlebnisse. Spannend dann, wie Heinrich mit Klugheit und Chuzpe erst der Kriegsgefangenschaft im Ural und dann den Verfolgungen der beginnenden Russischen Revolution durch Arbeiterführer entgeht: sein Geld hilft dabei und es ist eine nette kleine Begebenheit am Rand der großen Weltgeschichte, daß mit dem Geld der Bank die Sozialisten ihre Revolution machen und den Bankdirektor laufen lassen, der sich über Schweden nach Deutschland retten wird (2. Teil).

 

Der Film ist wirklich ein Augenschmaus, was die Opulenz der Bilder in Moskau angeht, aber auch eine realistische Aussage über die dortigen Kriegsfolgen und die bittere Armut für die unterste Schicht dieser extremen Klassengesellschaft. Glaubwürdig, daß die Familie selbst mit ihren Bediensteten immer sehr menschlich umging und von diesen in der Not Hilfe erhielten. Das zeigt auch eine Szene der in den historischen Teil hineingeschnittenen Lebensgeschichte des Udo Jürgens. Er wird im Film als junger Mann und Anfänger sehr gut, wenngleich etwas verhalten von David Rott dargestellt. Dann aber sieht man den originalen Jürgens in Moskau, wo ihn der alte Russe vom Flughafen abholt, der in der Kriegszeit in Kärnten Zwangsarbeiter seiner Familie war und von dem er als Kind das Moto „Musik ist gut gegen Angst“ gehört hatte.

 

Österreich kam ins Spiel, weil Vater Heinrich seinem Zweitgeborenen das Schloß Ottmanach bei Magdalensberg geschenkt hatte, weshalb Jürgens auch in Klagenfurt geboren wurde, also Österreicher ist mit einer deutschen Familie, da die anderen vier Brüder in Deutschland blieben. Eindrucksvoll spielen die männlichen Darsteller, zu denen noch als Ältester der Brüder Erwin (Herbert Knaupp) als neues Familienoberhaupt gehört.

 

Wir wollen unbedingt dazu auffordern, sich heute abend im Ersten den Zweiten Teil anzuschauen, wobei sicher auch die Udo Jürgens Fans auf ihre Kosten kommen, vor allem aber all die, die wach durch die Jahrhunderte gehen. Nur eine Kritik wollen wir nicht verschweigen. Wir vermissen Werner Bockelmann, den dritten der Brüder. Von ihm, über den er im Buch auch schreibt, sagte Udo Jürgens im Gespräch mit Beckmann nach der Filmausstrahlung, er sei sein Lieblingsonkel gewesen, so intellektuell und moralisch integer ( Jürgens Vater dagegen war ein Nazi gewesen), habe aber in den Film nicht mehr hineingepaßt.

 

Wir hätten nichts gegen einen dritten Teil gehabt, denn durch das Weglassen des Werner Bockelmann wird eine wichtige bundesrepublikanische Variante dieser einst großbürgerlich konservativen Familie unterschlagen. Werner Bockelmann war nicht nur ein Linker, sondern von 1957 bis 1964 geachteter und sehr innovativer SPD-Oberbürgermeister von Frankfurt am Main. Er sollte 1968 Willy Brandts Außenminister werden und ist auf der Fahrt nach Berlin mit dem Auto tödlich verunglückt. Sein Fehlen in der Fernseh-Familiengeschichte der Bockelmanns stört uns.

 

Also: heute abend am 30. September „Der Mann mit dem Fagott“ im Ersten

 

Felicitas Schubert