f payan0Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Juli 2017, Teil 3

Filmheft

Paris (Weltexpresso) – Wie ist die Idee des “Untermieters” entstanden, um von einer Schwangerschaft zu erzählen?

Das ist etwas, das ich einfach gespürt habe. Ich habe mein erstes Kind erwartet und es fiel mir schwer, meinen Status als schwangere Frau zu begreifen. Ich habe den Kontakt zu meinem Baby hergestellt, indem ich es meinen Untermieter genannt habe, weil ich während der ersten Monate gefühlt habe, dass es da ein bereits sehr autonomes Leben in mir gab, das meinen Stundenplan nicht akzeptierte, das herumstrampelte, egal wann, das versucht, an die Wände zu schubsen. Kurz, ich fühlte mich bewohnt, im ursprünglichen Sinn des Wortes. Und ich sagte mir, dass ich wohl nicht die einzige bin, die jemals so gefühlt hat.


Resultierte daraus Ihre Lust am Schreiben?

Ganz offensichtlich hat diese Idee des Untermieters etwas in Gang gesetzt. Ich hatte während der Schwangerschaft schon viel zu dem Thema aufgeschrieben, aber das war sehr persönlich, zwischen dem Roman ohne Ende und dem intimen Tagebuch ... Aber ich muss gestehen, dass ich Gefallen fand an der Tätigkeit des Schreibens. Und so kam es, während ich eines Tages über eine Idee zu einem Kurzfilm nachdachte, ich mir sagte: Was wäre wenn? Wenn dieser Untermieter im Uterus einer Frau angekommen wäre, für die das nicht der richtige Zeitpunkt ist?

In diesem Moment war Nicole geboren, ebenso Jean-Pierre und diese ganze Familie. Ich kam wie selbstverständlich mit einer Geschichte nieder, ohne Schmerzen! Und je mehr ich an dieser Kurzgeschichte arbeitete, umso mehr spürte ich, wie sie sich nach allen Seiten ausdehnte, dass sie nicht lange kurz bleiben würde. Ich habe “Le Locataire” 2012 gedreht, und vier Jahre später wurde daraus ein abendfüllender Spielfilm: “Le petit locataire”, DAS UNERWARTETE GLÜCK DER FAMILIE PAYAN.


Ist diese Geschichte nicht dennoch autobiografisch?

Offensichtlich nicht, ich bin nicht 49, und das ist mir nicht zugestoßen. Aber heute ist mir bewusst, dass diese Geschichte von eigenen Erfahrungen genährt wurde, meiner Umgebung, meinen Beobachtungen. Ein Stück von mir steckt sicher in jeder meiner Figuren. Ich bin ebenso Nicole wie Arielle. Ich fühle mich sogar manchmal wie Jean-Pierre, und auch ein bisschen wie Mamilette. Kann man wirklich einen ersten Film schreiben und drehen, ohne alles hineinzustecken, was man ist? Auf jeden Fall wurde mir bei den Dreharbeiten bewusst, dass so viel Persönliches in diese Geschichte eingeflossen ist, dass es mir manchmal wie eine beschleunigte Psychoanalyse vorkam.


Im Zentrum des Films steht eine Frau am Anfang der Menopause, die über ihre Schwangerschaft spricht und die Fragen, die sie aufwirft, auch über ihre Sexualität – das ist ziemlich gewagt ...

Im Grunde geht es mir um die Familie, vor allem um DIESE Familie. Dieses fragile Gebäude, das sich nur dank seiner Hauptsäule aufrechthält: Nicole. Sie steht ebenso im Zentrum des Films wie ihrer Familie. Ich bin der festen Überzeugung, dass es in vielen Familien eine Nicole gibt. Eine Frau, die die ganze Welt am Ende in die Arme schließt, die drei, wenn nicht vier Tage in einen einzigen packen muss, die nach ihrem Arbeitstag nach Hause kommt und darüber nachdenkt, was sie zum Essen auf den Tisch stellt, der während der Hausarbeit einfällt, dass sie den Arzt anrufen muss wegen eines Familienmitglieds, für ein anderes ein Paar Schuhe abholen, die beim Zähneputzen einen detailgenauen Familienplan für den nächsten Tag aufstellt, die sich selbst vergisst oder sich selbst freiwillig aufopfert, damit ihre kleine Welt sich weiter drehen kann. Klar, meine Nicole hat eine sehr spezielle Familie, aber so ähnlich läuft es überall!

Mir gefiel die Idee einer weiteren Karambolage in ihrem Leben, die ihr erlaubt, sich über gewisse Dinge klar zu werden und sich so quasi nebenbei einiger Bürden zu entledigen. Diese Menopause, die sich schon ankündigt, und die dann gar keine ist. Die Frage der Mutterschaft, die sich ihr wieder stellt, auch wenn sie dafür schon ihre Antworten gefunden hat, ist sie doch quasi die Mutter ihrer Enkelin und die Mutter der eigenen Mutter ... Und dann unausweichlich die Frage ihrer eigenen Sexualität, weil das zwangsläufig zusammenhängt, und ich hatte keine Lust, das auszuklammern, im Gegenteil. Und wenn die Leute darüber reden, wenn sie das Kino verlassen, umso besser!


Es gibt vier Frauengenerationen im Film, der auch ein Film über Mütter und ihre Töchter ist ...

Ich wollte einen Film über das Weitergeben drehen. Über eine Linie von Frauen und das generationsübergreifende Erbe. Sie alle haben eine Mutter und eine Tochter. Sie alle haben ein Vorbild, dem sie aber nicht folgen. Man sieht, wie diese Frauen sich konstruieren, indem sie sich gegenseitig in ihren Beziehungen spiegeln. Wie entstehen die Verbindungen zwischen zwei Generationen? Wie kann die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ebenso konfliktgeladen sein wie die 
zwischen Großmutter und Enkelkind harmonisch ist? Die Spiegel sind übrigens formal sehr wichtig in dem Film. Sie kommen überall vor.


Sie haben Ihre Familie in einem einfachen sozialen Umfeld angesiedelt ...

Es ist das meine, das, dem ich mich nahe fühle. Für meinen ersten Film wollte ich keine Geschichte erzählen, deren Codes ich nicht sicher beherrsche. Nicole ist bodenständig, sie arbeitet an der Maut-Station, Arielle in einer Wurstfabrik. Aber das hindert sie nicht daran, zu träumen und auf ihre Art Heldinnen zu sein. Mit unserem Film war es wie mit den Tagesabläufen der Familie Payan: Es gab fette Tage und Einschränkungen. Wir haben es gemacht wie sie: wir wussten uns zu helfen!


Und all das wollten Sie so erzählen, dass man darüber lachen kann ...

Und ob! Ich wollte in erster Linie eine Komödie drehen. Weil das ganze Leben eine Komödie ist, mit seinen drolligen und seinen harten Seiten. Ich wollte die ernsten Themen nicht aussparen, aber mit einer gewissen Leichtigkeit darüber lachen können, ohne das Weinen auszuklammern oder die Emotionalität. Ich bin so gewohnt an emotionale Achterbahnfahrten, dass die größte Herausforderung des Films für mich darin bestand, die harten Einschnitte zwischen purer Komödie und Szenen großer Emotionalität in Einklang zu bringen. Vom Schreiben des Drehbuchs an war das eine echte Herausforderung.

Und ganz ehrlich, wir müssen lachen, heute mehr denn je! Der Mensch ist das einzige Tier, das lacht, sagt Aristoteles. Also werden wir uns keinen Zwang auferlegen! Diese Überzeugung hat mich bei den Dreharbeiten begleitet und mich gestärkt. Und dann kamen die November-Attentate 2015, mitten in unseren Dreharbeiten, während des einzigen Wochenendes, das wir in Paris eingeplant hatten. Zwei Tage später, als alle nach Chambéry zurückgekehrt waren, habe ich ihnen gesagt, dass von jetzt an unser Tun ungeachtet der Politik zählen würde. Weil wir mehr als das hatten, wir haben gelacht und andere zum Lachen gebracht. Zumindest haben wir es versucht.


Haben Sie schon während des Drehbuchschreibens an Karin Viard in der Rolle der Nicole gedacht?

Beim Schreiben habe ich versucht, mich auf meine Figuren zu konzentrieren, aber es stimmt, sehr bald schon konnte ich mir keine andere als sie vorstellen. So sehr, dass ich mir gesagt habe, dass es ohne sie den Film nicht geben würde, als das Drehbuch fertig war. Also haben wir ihr das Skript geschickt und die Daumen gedrückt. Drei Tage später war sie bereit, mich zu treffen. Ein wenig verunsichert habe ich mich mit ihr getroffen und über den Film gesprochen. Wir haben uns schnell sehr gut verstanden und hervorragend zusammengearbeitet. Sie steht für alles, was ich liebe. Ich habe sie schon als Schauspielerin bewundert, ehe ich sie kannte. Heute weiß ich, welches Glück ich hatte, dass ich sie kennenlernen, mit ihr arbeiten, mit ihr zusammen etwas schaffen durfte. Sie ist eine große Schauspielerin – aber nicht nur das. Frei, authentisch, ehrlich, offen für alles und so witzig. Ich bin ein totaler Fan der Frau, die sie ist. Aber sie ist total verfroren! Und das in Chamoux-sur-Gelon (etwa “Chamoux auf Eis”, das seinen Namen nicht zufällig trägt), im Dezember. Was soll ich sagen ...


Ging die Zusammensetzung der Familie, die Besetzung der anderen Rollen ebenso leicht vonstatten? Haben Sie sie sofort mit Philippe Rebbot verheiratet?

Philippe war von Anfang an vorgesehen, aber in einer anderen Rolle. Karin hat mir vorgeschlagen, ihn als ihren Ehemann zu besetzen. Sie wollte diesen Film gern mit ihm an ihrer Seite entstehen lassen. Und sie hat nicht lange gebraucht, um mich davon zu überzeugen. Es ist seine erste große Rolle, er hatte noch nie so viele Drehtage, noch nie so viel Text zu lernen. Umgeben von seinen beiden Blondinen, wie er Karin und mich nannte. Und das Paar, das sie auf der Leinwand abgeben, gefällt mir sehr. Meine lieben Payans!


Und Hélène Vincent ist Ihre Mamilette geworden ...

Hélène ist für mich auf immer mit “Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss” verbunden. Ich komme aus dem Norden, bin in Roubaix aufgewachsen, und das bedeutet, dass der Film mich geprägt hat. Ich muss ihn 1000 mal gesehen haben als Kind. Trotzdem habe ich Hélène nie näher kennengelernt. Man hat sich gesehen, hat sich gemocht. Sie hat mir gesagt, dass sie unbedingt Teil dieser Frauengeschichte sein wolle, dass es Zeit sei für eine Komödie über und mit Frauen. Sie musste sich in Mamilette verwandeln, denn sie hat rein äußerlich nichts mit dieser Figur gemein. Sie ist ganz in der Rolle aufgegangen, hat ihre Haltung geändert, ihre Stimme, ihr Sprechtempo. Es ist sogar vorgekommen, dass ich sie nicht erkannt habe, als sie eines Tages am Set auftauchte, um sich zu verabschieden, nachdem sie ihre Szenen abgedreht 
hatte. Ich hatte mich so an diese kleine, fragile Mamilette gewöhnt, dass ich ein paar Minuten brauchte, ehe mir klar wurde, wer diese blonde dynamische Frau war. Sie wars!


Hat es länger gedauert, Arielle zu finden?

Wir haben uns viele Schauspielerinnen angeschaut. Die Rolle ist wirklich krass, weil Arielle immer total direkt ist. Ein Kind, das sich weigert, erwachsen zu werden. Es macht Spaß, sie schrecklich zu finden, weil man sie einfach gern haben muss. Dann ist Manon Kneusé erschienen. Sehr groß, etwas geradeheraus, ungeschickt, tollpatschig, denn sie hat sehr viel Arm und Bein. Das hat mir gefallen. Ich sagte mir: großartig. Sie ist physisch das Gegenstück zu Karin, und sie hat etwas von Philippe in ihrem Verhalten. Und ihre Stimme ist genial. Übrigens habe ich gemerkt, dass alle meine Schauspieler eine Stimme haben. Ich bin da sehr empfänglich.


Und die kleine Zoé?

Auch sie haben wir lange gesucht. Die Partitur für ein kleines Mädchen von sechs Jahren war sehr schwierig. Aber als Stella auftauchte, wusste ich, sie ist es. Sie ist schon jetzt eine große Schauspielerin. Sie hat alles verstanden.


Und die anderen?

Für alle anderen gab es keine Grenzen. Die Familie nimmt sie herzlich auf. Zunächst ist da Vincent, der ältere Bruder, der weit weggehen musste, um leben zu können. So fragil, so verunsichert. Ich habe sehr gelacht, als ich Raphaël Ferrets Versuche einer Standortbestimmung sah - mitten in der Nacht, nach einem Tag voller Katastrophen - wo man weiße Kreide in die Dekors gemalt hatte und ich begriff, dass die Markierungen für ihn waren. Als ich seinen Kopf in dem U-Boot gesehen habe, hatte das denselben Effekt auf mich. Antoine Bertrand, mein Quebecer, lag auf der Hand. Seit ich ihn in STARBUCK gesehen hatte, wusste ich, dass ich mit ihm arbeiten würde. Wir haben ihn schnell angefragt, ebenfalls mit gedrückten Daumen. Und er hat gleich zugesagt.

Jackie (Nadège Beausson Diagne) war lange ein Mann, bis eines Tages die Frage aufkam: Und wenn Jacky Jackie wäre? Die Casting-Direktorin hat gleich an Nadège gedacht, die nicht nur einen tollen Namen hat, sondern mich auch zum Brüllen bringt – vor Lachen. Dieser Sarkasmus, dieser Rhythmus und diese Leidenschaft. Ich bin ein großer Fan. Und Damien (Côme Levin) war einer von denen, die ich gleich gefunden habe. Ich habe ihn kaum gesehen und schon geliebt. Er hat seine Figur sofort verstanden, und dank seiner Versuche hatte ich Lust, die Szene mit der Krankenschwester umzuschreiben, die ursprünglich viel nüchterner war.


In DAS UNERWARTETE GLÜCK DER FAMILIE PAYAN machen Sie eine Verbeugung vor “Peau d’an”e von Jacques Demy ...

Es gibt einige Referenzen wie diese im Film. “Peau d’ane”, den ich als Kind oft gesehen habe, ohne zu verstehen, welche Themen er verhandelt, wollte ich gerne anklingen lassen mit dem Roboter-Mixer: Peau d’ane 2.0 reloaded! Demy ist einer der Filmemacher, die mich stark geprägt haben mit ihrer Naivität und Tiefe.


Und wie er haben Sie viel Wert auf Farben gelegt.

Es ist richtig, dass mein Universum sehr farbintensiv ist, mit echtem Kitsch, völlig übertrieben. Ursprünglich wollte ich im Frühling drehen oder im Sommer. Es wurde dann aber Oktober/November. Also ganz anderes Wetter! Das Licht, die Sonnenenergie, von der ich träumte, die haben wir in die Kostüme hineingebracht.


Und im Großen und Ganzen ist alles gut gelaufen?

Auf alle Fälle! Es war die beste Erfahrung, die ich jemals beim Dreh eines langen Films hatte! Aber weil mir klar war, dass es vielleicht auch meine einzige Gelegenheit bleiben würde, wollte ich jeden Augenblick voll auskosten. Ich habe angenommen, was auf mich zukam. Die guten wie die schlechten Nachrichten. Und der Film ist ein Abbild der Art, wie er entstanden ist...


Foto: © Verleih

Info:
Abdruck aus dem Presseheft S. 10/12

Darsteller

Nicole Payan          Karin Viard
Jean-Pierre Payan  Philippe Rebbot
Mamilette                Hélène Vincent
Arielle Payan           Manon Kneusé
Zoé                         Stella Fenouillet
Toussaint                Antoine Bertrand
Vincent Payan         Raphael Ferret
Docteur Gentil        Grégoire Bonnet
Damien                   Côme Levin
Jackie                     Nadège Beausson-Diagne