Filmheft
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der rumänischstämmige französische Filmregisseur hatte wirklich eine schwierige Aufgabe. Andererseits hat er - vielleicht zum Glück - das Buch doch nicht so genau gelesen, wenn er unten sagt: "Ich fand es spannend, daß im Roman offengelassen wird, ob Bruno wirklich eine reale Person ist."
Aber am Schluß des Romans heißt es: "Wer ist Bruno?, fragte sie...Er ist der Freund, den ich nicht hatte...Er ist die stärkste Figur, die ich je geschrieben habe...Er ist tot.", denn er gehörte ja zum Freundschafts- und Verehrergespann damals in Polen.
Radu Milhaileanu ist für viele ungewöhnliche Filme bekannt. Hier ist er verantwortlich für Regie, Drehbuch und Produktion. Wohl den größten Erfolg hatte der Regisseur zwischen Tragödie und Komödie changierende Film DAS KONZERT, der das falsche Bolschoi-Orchester in Paris spielen läßt. Uns hatte aber auch QUELLE DER FRAUEN sehr gut gefallen, der Liebesstreik der arabisch-muslimischen Frauen, die nicht länger das Wasser tragen wollen, sondern eine Leitung erzwingen. Die Redaktion
Über ...
... die Liebe
Ich habe immer radikale Filme gedreht – Ceausescu und die Nachwehen der Diktatur verfolgen mich. Warum also DIE GESCHICHTE DER LIEBE? Mir scheint, als sei die Unfähigkeit, einander zu lieben, heutzutage die Wurzel allen Übels. Wir leben in einer Zeit, in der der Narzissmus über das freudige Gefühl, jemanden etwas Gutes zu tun, triumphiert. Die Liebe scheint aus der Mode gekommen, vielleicht sogar konservativ geworden zu sein. Ich wollte diesem altmodisch anmutenden Gefühl in meinem Film ein Denkmal setzen.
... die Ursprünge des Projekts
Die Produzenten Marc-Antoine Robert und Xavier Rigault haben mir vorgeschlagen, das Buch von Nicole Krauss für die Leinwand zu adaptieren. Drei Jahre zuvor hatte ich es mit sehr großer Freude gelesen – aber wie lässt sich eine filmische Sprache für die komplexe Erzählstruktur des Romans finden? Im Hinblick auf die Drehbuchentwicklung war es vor allem entscheidend, dass man die Kraft und Intensität von Nicole Krauss‘ Romanvorlage erhält und die zwei – wenn man es genau nimmt sogar drei – parallel laufenden Erzählstränge in der Filmadaption so miteinander verwebt, dass sie am Ende ein Gesamtbild ergeben.
... den Baum
Ich habe nach einem ganz besonderen, majestätischen Baum gesucht für die erste Szene in meinem Film. Einen Baum der Liebe, der als Symbol für die gewachsene Struktur des Dorfes, in dem Léo und Alma aufgewachsen sind, steht. Diese erste Szene im Film sollte den Beginn einer Geschichte voller Rätsel markieren, die sich von dort aus fortschreiben lässt.
Szene im Film sollte den Beginn einer Geschichte voller Rätsel markieren, die sich von dort aus fortschreiben lässt.
... Themen und Metaphern
Das Buch hat mich durch seine Sprache und die Themen, die darin angeschnitten werden, in seinen Bann gezogen: Was macht einen Menschen jenseits seiner ihm zugeschriebenen Identität aus? Und wie schafft man es, die Hoffnung nicht zu verlieren, wenn der Lauf der Geschichte und niederschmetternde Schicksalsschläge alles überlagern? Das Bild der Sintflut find ich in diesem Zusammenhang sehr treffend.
Léo, eine der Hauptfiguren in DIE GESCHCHTE DER LIEBE, erinnert mich an meinen Vater, der mit seinen 95 Jahren alles miterlebt hat: Die Machtergreifung der extremen Rechten in Rumänien vor dem Krieg, die Nazizeit, ein Konzentrationslager, den Stalinismus, Ceausescu, die Immigration ... Die Liebe zu den Menschen um ihn herum und zum Leben allgemein hat meinen Vater genau wie Léo immer aufrechterhalten. Er hat den Ernst des Lebens mehr als einmal erfahren müssen, aber der Humor und die Liebe der anderen haben ihn gerettet.
In DIE GESCHICHTE DER LIEBE schreibt Léo zu Beginn des Filmes in seinem kleinen polnischen Heimatdorf ein Buch, das wie ein einziger langer Liebesbrief wirkt. Das Manuskript geht verloren und wandert durch die Welt, bis es sich schließlich bei einer Familie in Brooklyn wiederfindet: Die junge Alma wurde von ihrer Mutter nach Léos Romanfigur, der „meistgeliebten Frau der Welt“, benannt. Und das in Zeiten sozialer Netzwerke, wo ein „like“ selbstverständlicher ist als die Liebe. Die junge Alma kämpft zwar vordergründig gegen die Liebe an – aber ihre Gefühle sind stärker als sie. Ähnlich wie einst der junge Léo träumt auch Alma den Traum von der wahren, bedingungslosen Liebe. Ich finde es wunderbar, wie hier über Kontinente und Generationen hinweg eine Verbindung zwischen zwei Menschen geschaffen wird.
Léo hat einst seiner Alma versprochen, niemals eine andere Frau zu lieben und sie ein ganzes Leben lang zum Lachen zu bringen. Er hält sich daran. Auch die junge Alma in New York verspricht sich selbst, dass sie die große Liebe erleben und die „meistgeliebte Frau der Welt“ werden möchte – auch wenn sie dieses große Gefühl vordergründig ablehnt.
DIE GESCHICHTE DER LIEBE ist auch ein Film über familiäre Bindungen im Wandel. Durch den Krieg wurde Léo von seiner Geliebten getrennt, die Judenvernichtung und die Emigration haben ihn seiner Wurzeln beraubt. Auch im Leben der jungen Alma gab es einen Bruch durch den frühen Tod des Vaters. Das Verhältnis zwischen Almas Mutter und ihren beiden Kindern ist schwierig, aber der Zusammenhalt innerhalb der Familie ist stark.
... Léos Leben in New York
Der Grund, warum Léo in Chinatown lebt, ist komisch und mysteriös zugleich. Chinatown liegt an der Lower East Side in Manhattan und war Ende des 19. Jahrhunderts ein sehr armes jüdisches Viertel, in dem die Bewohner unter miserablen Bedingungen lebten. Man kann heute noch Inschriften auf Hebräisch oder Jiddisch an den Gebäuden lesen. Einwanderer aus Italien ließen sich nachher dort nieder und diejenigen Juden, deren Lebensbedingungen sich verbessert hatten, zogen in bessere Quartiere. Mit der letzten Einwanderungswelle Anfang des 20. Jahrhunderts kamen die chinesischen Einwanderer, die Italiener zogen weg und die Juden verschwanden quasi vollständig aus dem Viertel. Die meisten verschlug es nach Brooklyn. Ich habe mich in Chinatown auf die Suche nach einem Haus gemacht, in dem Léo gelebt haben könnte.
In Nicole Krauss’ Roman wird nicht näher auf dieses Haus eingegangen. Ich ging zunächst ganz in den Norden von Manhattan, in ein kleines, von sehr armen Juden bewohntes Viertel. Ästhetisch entsprach es nicht meinen Vorstellungen, denn es ähnelte allen Elendsvierteln dieser Welt mit seinen fünf- bis zehnstöckigen Gebäuden. Ich wollte Léos Zuhause aber auch nicht in Brooklyn, dem Wohnort der jungen Alma, ansiedeln. Also hat es mich immer wieder an die Lower East Side verschlagen, die sehr aufgeladen mit jüdischer Geschichte ist. Als ich dort die große, verlassene Synagoge sah, kam mir die Idee, dass Léo dort gelebt haben könnte. Der letzte Jude von Chinatown also, der sich einen Ort gesucht hatte, an dem er seiner geliebten Alma geographisch gesehen sehr nahe war. Léo durchlebt in DIE GESCHICHTE DER LIEBE eine Art tägliche Tortur: die Métro fährt Tag und Nacht unter seinem Fenster durch und um ihn herum ist eine ständige Geräuschkulisse aus Musik und eingeschalteten Fernsehgeräten. Aber dieses Leben im Elend ist gleichzeitig auch ein Leben im Paradies, weil er seiner geliebten Alma durch die Wahl seines Wohnorts nah sein kann.
... das Drehbuch und die Figuren
Die erzählerischen Herausforderungen eines Filmemachers sind ganz andere als die eines Schriftstellers. In DIE GESCHICHTE DER LIEBE musste ich einen Weg finden, die Charaktere im Verlauf des Films glaubwürdig altern zu lassen. Zudem war es eine Herausforderung, die Übergänge von einer Epoche zur anderen filmisch zu gestalten: Von einem polnischen Dorf vor dem Krieg in das New York der Jahre 1946, 1957, 1995 und 2006 – mit einem Abstecher nach Chile. Und das alles, ohne in Klischees zu verfallen und ohne den Zuschauer auf der Wegstrecke zu verlieren.
Im Roman wird immer die Jahreszahl angegeben beim Übergang von einer Epoche zu einer anderen - ebenso wie die Stadt und das Land, in dem man sich gerade befindet. Ich bin stolz darauf, dass es in meiner filmischen Umsetzung letztendlich nur noch zwei konkrete Hinweise auf die Zeit und den jeweiligen Ort gibt.
Am schwierigsten war es, die Entwicklung von Léo vom jungen, sensiblen Romantiker hin zum abgehärteten, etwas griesgrämigen alten Mann darzustellen. Léo erträgt die Shoah, wird während des zweiten Weltkriegs wie ein Tier von den Nazis gejagt. Der Liebe wegen emigriert er, bleibt in New York ein Einzelgänger in einer anonymen Stadt und findet sich mit seiner Einsamkeit ab. Er verliert alles durch den Krieg - aber er hat überlebt. Dann findet er heraus, dass sein Manuskript – der Ausdruck seiner großen Liebe für Alma - verschwunden ist. All diese Schicksalsschläge lassen ihn abhärten. Doch ihm gelingt es, sich die Seele eines Kindes zu bewahren.
Für die Figur der jungen Alma stellten sich einige Fragen jenseits der Adaption der literarischen Vorlage. Im Buch hat sie keine Freundin, teilt sich nur ihrem Tagebuch mit. In DIE GESCHICHTE DER LIEBE gibt es schließlich Zoey und wir haben den Bezug der Jugend zu Facebook als wiederkehrendes, zeitgemäßes Element im Film mit eingebaut.
... Bruno
Es war Nicole Krauss, die mir offenbart hat, dass Léos Alter Ego Bruno das Produkt von Léos Fantasie ist. Ich fand es spannend, dass es im Roman offengelassen wird, ob Bruno wirklich eine reale Person ist: Krauss hat hier einen sehr filmischen Ansatz gewählt durch eine Person, die viel Raum einnimmt und im Endeffekt unsichtbar bleibt. Bruno ist für mich wie eine Hymne an die Freundschaft, an die Vorstellungskraft, an die Fiktion: Er symbolisiert die Macht der Vorstellungskraft angesichts des erlebten Unglücks und der Einsamkeit. Beim Schreiben der Dialoge habe ich mir immer vorgestellt, wie Léo und Bruno sich streiten.
... die Regie
Zwei Plansequenzen bilden das Zentrum der Geschichte. Eine am Anfang, die den Zuschauer in seinen Bann zieht, indem sie ihm ein Rätsel aufgibt. Man sieht ein verlassenes Dorf, durch das ein Hund läuft, Gebäude, die verfallen, ein Feld und einen gigantischen Baum. Die Kamera fährt um den Stamm herum, bis sie bei der Hand eines jungen Mannes angekommen ist, der ein Herz in den Stamm ritzt und anschließend ein junges Mädchen küsst. Das Bild friert ein, wird zum Foto. Wer ist dieser Junge? Warum ist das Dorf zerstört? Wer hat das Foto aufgenommen? Wie wirkt sich die Zerstörung des Dorfes auf das Schicksal der Figuren aus?
Die zweite Plansequenz erinnert an die erste. Man taucht ein in das Foto vom Anfang, das Léo in der Hand hält – und findet sich wieder im Chile des Jahres 1957. Wir hören Léos Freund Zvi fälschlicherweise erzählen, wie Alma ihn einst küsste. Wieder tauchen wir ein in das Foto, der Ausschnitt wie am Anfang: Ein Paar, das sich umarmt. Klick! Wer ist der Umarmte? Wir sehen endlich, dass Zvi das Foto gemacht hat und also nicht der junge Mann sein kann, der von ihr geküsst wird. Diese zweite Plansequenz, die die Plansequenz vom Beginn des Filmes wiederaufnimmt, spannt einen Bogen zwischen den drei Epochen 1940, 1957 und 2006 sowie den drei Kontinenten Europa, Südamerika und Nordamerika, um die es im Film geht.
Mit dem Kameramann Laurent Dailland sowie Jean-Paul Mugel und Selim Azzazi, die für die Tongestaltung zuständig waren, haben wir uns viele Gedanken gemacht über die Bildgestaltung der unterschiedlichen Epochen. Für Léo ist das Vorkriegs- Polen paradiesisch. Das Shtetl in Polen haben wir also auf 35mm gefilmt, und für das New York zu Beginn der 1950er Jahre haben wir eine an die Technicolor- Farbgebung angelehnte Bildgestaltung entwickelt. Die in der Gegenwart spielenden Szenen wirken härter, das Sound Design wird immer aggressiver.
... die Schauspieler
Als ich anfing, das Drehbuch zu schreiben, dachte ich an die Vielfalt der Figuren und die Möglichkeit, Schauspielern großartige Rollen anbieten zu können. Ich versuchte, so komplexe Rollen wie möglich zu schaffen – denn ich schätze es, wenn eine Figur im Verlauf des Films eine Reise durchmacht und eine Entwicklung durchläuft. Doch wie sollte ich Schauspieler finden, die Léo und Alma im Alter zwischen 18 und 80 spielen können? Glücklicherweise habe ich mit Derek Jacobi einen Schauspieler gefunden, der die Kunst der Komödie und der Tragödie gleichermaßen beherrscht.
Gemma Arterton hatte in der Rolle der Alma eine große Aufgabe vor sich: Sie sollte glaubwürdig die meistgeliebte Frau der Welt verkörpern und dabei stark, verletzlich und hart zugleich sein. Sophie Nélisse, ein Schauspieltalent von gerade einmal 15 Jahren, versteht es meisterhaft, in ihrem Spiel zwischen Komik und Tragik zu changieren. Der gerade einmal 11 Jahre alte Bird in der Rolle des William erklärte mir bei der ersten Probe, dass ich ihn behandeln solle wie einen Erwachsenen. Und schließlich Elliott Gould, ein Held meiner Jugend, den ich aus „M.A.S.H.“ und „Friends“ kannte. Ein verrückter, witziger Typ, der nicht eine Sekunde Starallüren hatte, sondern mir sagte: „Radu, ich bin hier, um alles zu machen, was du willst.“
Ich probe viel mit den Schauspielern vor dem Dreh – das habe ich aus meiner Zeit am Theater in jungen Jahren übernommen. Ich liebe es, die Figuren mit den Darstellern zu erarbeiten, über die Dialoge, die Beziehungen und Situationen zu diskutieren. Ich weiß, dass bei diesen Proben nicht nur das Drehbuch lebendig wird, sondern sich die Beziehung der Schauspieler untereinander und zu mir festigt. Ich spüre dadurch, wie sie genau ticken – und sie bekommen ein Gefühl für meine Arbeitsweise.
... die Musik
Seit meinem Film „Geh und lebe“ arbeite ich mit Armand Amar zusammen. Er hat eine umfangreiche Sammlung an Instrumenten, mittlerweile dürfte er an die 4.000 besitzen. Üblicherweise suchen wir mit Armand vor Beginn der Dreharbeiten nach einer musikalischen Farbe für einen Film. Wir sprechen über die Instrumente, die hauptsächlich verwendet werden sollen sowie über die musikalischen Schlüsselmomente. Ich für meinen Teil brauche diesen bestimmten Rhythmus, bevor ich mit dem Dreh beginne. Für DIE GESCHICHTE DER LIEBE haben wir als Hauptinstrumente Klarinette, Violine und Blechinstrumente gewählt.
... die zentrale Bedeutung des Humors
Humor ist meine Überlebensstrategie: Er ist Teil der jüdischen Identität und eine Waffe gegen die Diktatur. In Rumänien haben wir dank des Humors den Wahnsinn von Terror und Verfolgung überlebt. Léo hat sich seinen Humor trotz aller Hoffnungslosigkeit erhalten. Auch die Kinder Bird und Alma müssen sich mit viel Witz gegen das Unglück wappnen. Für mich sind Liebe und Humor die würdigste Art zu sagen: ich lebe!
Foto: Der Regisseur mit seinem Hauptdarsteller Derek Jacobi © Verleih
Info:
BESETZUNG
Léo Gursky Derek Jacobi
Alma Singer Sophie Nélisse
Alma Mereminski Gemma Arterton
Bruno Leibovitch Elliott Gould
Léo Gursky jung Mark Rendall
Charlotte Singer Torri Higginson
Bird Singer William Ainscough
Misha Strumann Alex Ozerov
Zoey Schwartz Jamie Bloch
Zvi Litvinoff Claudiu Maier
Doktor Zilberstein Daniel Matmor
Herman Connor Jean-Carl Boucher
Rosa Simona Maican
Abdruck aus dem Presseheft Seiten 10-15
Nicole Krauss, Die Geschichte der Liebe, Rowohlt
... das Drehbuch und die Figuren
Die erzählerischen Herausforderungen eines Filmemachers sind ganz andere als die eines Schriftstellers. In DIE GESCHICHTE DER LIEBE musste ich einen Weg finden, die Charaktere im Verlauf des Films glaubwürdig altern zu lassen. Zudem war es eine Herausforderung, die Übergänge von einer Epoche zur anderen filmisch zu gestalten: Von einem polnischen Dorf vor dem Krieg in das New York der Jahre 1946, 1957, 1995 und 2006 – mit einem Abstecher nach Chile. Und das alles, ohne in Klischees zu verfallen und ohne den Zuschauer auf der Wegstrecke zu verlieren.
Im Roman wird immer die Jahreszahl angegeben beim Übergang von einer Epoche zu einer anderen - ebenso wie die Stadt und das Land, in dem man sich gerade befindet. Ich bin stolz darauf, dass es in meiner filmischen Umsetzung letztendlich nur noch zwei konkrete Hinweise auf die Zeit und den jeweiligen Ort gibt.
Am schwierigsten war es, die Entwicklung von Léo vom jungen, sensiblen Romantiker hin zum abgehärteten, etwas griesgrämigen alten Mann darzustellen. Léo erträgt die Shoah, wird während des zweiten Weltkriegs wie ein Tier von den Nazis gejagt. Der Liebe wegen emigriert er, bleibt in New York ein Einzelgänger in einer anonymen Stadt und findet sich mit seiner Einsamkeit ab. Er verliert alles durch den Krieg - aber er hat überlebt. Dann findet er heraus, dass sein Manuskript – der Ausdruck seiner großen Liebe für Alma - verschwunden ist. All diese Schicksalsschläge lassen ihn abhärten. Doch ihm gelingt es, sich die Seele eines Kindes zu bewahren.
Für die Figur der jungen Alma stellten sich einige Fragen jenseits der Adaption der literarischen Vorlage. Im Buch hat sie keine Freundin, teilt sich nur ihrem Tagebuch mit. In DIE GESCHICHTE DER LIEBE gibt es schließlich Zoey und wir haben den Bezug der Jugend zu Facebook als wiederkehrendes, zeitgemäßes Element im Film mit eingebaut.
... Bruno
Es war Nicole Krauss, die mir offenbart hat, dass Léos Alter Ego Bruno das Produkt von Léos Fantasie ist. Ich fand es spannend, dass es im Roman offengelassen wird, ob Bruno wirklich eine reale Person ist: Krauss hat hier einen sehr filmischen Ansatz gewählt durch eine Person, die viel Raum einnimmt und im Endeffekt unsichtbar bleibt. Bruno ist für mich wie eine Hymne an die Freundschaft, an die Vorstellungskraft, an die Fiktion: Er symbolisiert die Macht der Vorstellungskraft angesichts des erlebten Unglücks und der Einsamkeit. Beim Schreiben der Dialoge habe ich mir immer vorgestellt, wie Léo und Bruno sich streiten.
... die Regie
Zwei Plansequenzen bilden das Zentrum der Geschichte. Eine am Anfang, die den Zuschauer in seinen Bann zieht, indem sie ihm ein Rätsel aufgibt. Man sieht ein verlassenes Dorf, durch das ein Hund läuft, Gebäude, die verfallen, ein Feld und einen gigantischen Baum. Die Kamera fährt um den Stamm herum, bis sie bei der Hand eines jungen Mannes angekommen ist, der ein Herz in den Stamm ritzt und anschließend ein junges Mädchen küsst. Das Bild friert ein, wird zum Foto. Wer ist dieser Junge? Warum ist das Dorf zerstört? Wer hat das Foto aufgenommen? Wie wirkt sich die Zerstörung des Dorfes auf das Schicksal der Figuren aus?
Die zweite Plansequenz erinnert an die erste. Man taucht ein in das Foto vom Anfang, das Léo in der Hand hält – und findet sich wieder im Chile des Jahres 1957. Wir hören Léos Freund Zvi fälschlicherweise erzählen, wie Alma ihn einst küsste. Wieder tauchen wir ein in das Foto, der Ausschnitt wie am Anfang: Ein Paar, das sich umarmt. Klick! Wer ist der Umarmte? Wir sehen endlich, dass Zvi das Foto gemacht hat und also nicht der junge Mann sein kann, der von ihr geküsst wird. Diese zweite Plansequenz, die die Plansequenz vom Beginn des Filmes wiederaufnimmt, spannt einen Bogen zwischen den drei Epochen 1940, 1957 und 2006 sowie den drei Kontinenten Europa, Südamerika und Nordamerika, um die es im Film geht.
Mit dem Kameramann Laurent Dailland sowie Jean-Paul Mugel und Selim Azzazi, die für die Tongestaltung zuständig waren, haben wir uns viele Gedanken gemacht über die Bildgestaltung der unterschiedlichen Epochen. Für Léo ist das Vorkriegs- Polen paradiesisch. Das Shtetl in Polen haben wir also auf 35mm gefilmt, und für das New York zu Beginn der 1950er Jahre haben wir eine an die Technicolor- Farbgebung angelehnte Bildgestaltung entwickelt. Die in der Gegenwart spielenden Szenen wirken härter, das Sound Design wird immer aggressiver.
... die Schauspieler
Als ich anfing, das Drehbuch zu schreiben, dachte ich an die Vielfalt der Figuren und die Möglichkeit, Schauspielern großartige Rollen anbieten zu können. Ich versuchte, so komplexe Rollen wie möglich zu schaffen – denn ich schätze es, wenn eine Figur im Verlauf des Films eine Reise durchmacht und eine Entwicklung durchläuft. Doch wie sollte ich Schauspieler finden, die Léo und Alma im Alter zwischen 18 und 80 spielen können? Glücklicherweise habe ich mit Derek Jacobi einen Schauspieler gefunden, der die Kunst der Komödie und der Tragödie gleichermaßen beherrscht.
Gemma Arterton hatte in der Rolle der Alma eine große Aufgabe vor sich: Sie sollte glaubwürdig die meistgeliebte Frau der Welt verkörpern und dabei stark, verletzlich und hart zugleich sein. Sophie Nélisse, ein Schauspieltalent von gerade einmal 15 Jahren, versteht es meisterhaft, in ihrem Spiel zwischen Komik und Tragik zu changieren. Der gerade einmal 11 Jahre alte Bird in der Rolle des William erklärte mir bei der ersten Probe, dass ich ihn behandeln solle wie einen Erwachsenen. Und schließlich Elliott Gould, ein Held meiner Jugend, den ich aus „M.A.S.H.“ und „Friends“ kannte. Ein verrückter, witziger Typ, der nicht eine Sekunde Starallüren hatte, sondern mir sagte: „Radu, ich bin hier, um alles zu machen, was du willst.“
Ich probe viel mit den Schauspielern vor dem Dreh – das habe ich aus meiner Zeit am Theater in jungen Jahren übernommen. Ich liebe es, die Figuren mit den Darstellern zu erarbeiten, über die Dialoge, die Beziehungen und Situationen zu diskutieren. Ich weiß, dass bei diesen Proben nicht nur das Drehbuch lebendig wird, sondern sich die Beziehung der Schauspieler untereinander und zu mir festigt. Ich spüre dadurch, wie sie genau ticken – und sie bekommen ein Gefühl für meine Arbeitsweise.
... die Musik
Seit meinem Film „Geh und lebe“ arbeite ich mit Armand Amar zusammen. Er hat eine umfangreiche Sammlung an Instrumenten, mittlerweile dürfte er an die 4.000 besitzen. Üblicherweise suchen wir mit Armand vor Beginn der Dreharbeiten nach einer musikalischen Farbe für einen Film. Wir sprechen über die Instrumente, die hauptsächlich verwendet werden sollen sowie über die musikalischen Schlüsselmomente. Ich für meinen Teil brauche diesen bestimmten Rhythmus, bevor ich mit dem Dreh beginne. Für DIE GESCHICHTE DER LIEBE haben wir als Hauptinstrumente Klarinette, Violine und Blechinstrumente gewählt.
... die zentrale Bedeutung des Humors
Humor ist meine Überlebensstrategie: Er ist Teil der jüdischen Identität und eine Waffe gegen die Diktatur. In Rumänien haben wir dank des Humors den Wahnsinn von Terror und Verfolgung überlebt. Léo hat sich seinen Humor trotz aller Hoffnungslosigkeit erhalten. Auch die Kinder Bird und Alma müssen sich mit viel Witz gegen das Unglück wappnen. Für mich sind Liebe und Humor die würdigste Art zu sagen: ich lebe!
Foto: Der Regisseur mit seinem Hauptdarsteller Derek Jacobi © Verleih
Info:
BESETZUNG
Léo Gursky Derek Jacobi
Alma Singer Sophie Nélisse
Alma Mereminski Gemma Arterton
Bruno Leibovitch Elliott Gould
Léo Gursky jung Mark Rendall
Charlotte Singer Torri Higginson
Bird Singer William Ainscough
Misha Strumann Alex Ozerov
Zoey Schwartz Jamie Bloch
Zvi Litvinoff Claudiu Maier
Doktor Zilberstein Daniel Matmor
Herman Connor Jean-Carl Boucher
Rosa Simona Maican
Abdruck aus dem Presseheft Seiten 10-15
Nicole Krauss, Die Geschichte der Liebe, Rowohlt