f indienSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. August 2017, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dieser Film wäre unterhaltsame Pflicht für alle diejenigen, die nicht wissen, wie die ersehnte Unabhängigkeit Indiens von der englischen Krone am 15. August 1947 mit der aufgezwungenen Teilung des Landes in Indien und Pakistan von den Weltmächten verordnet wurde.

Wie kann man Geschichte im Spielfilm transportieren? Ganz sicher nicht im dokumentarischen Ablauf, hier den Unabhängigkeitsbestrebungen Indiens, die durch Mahatma Gandhi gewaltlos in die Weltgeschichte eingingen, sondern mit Geschichten von Menschen, deren Leben durch die Ereignisse des Jahres rund um 1947 bestimmt, also auch durcheinander gewirbelt wurden. Das wird hier in Form des Hindus Jeet (Manish Dayal) und der Muslima Aalia (Huma Quereshi) schon sehr gefühlvoll, aber halt wahr wiedergegeben. Die Hindis besiedeln heute hauptsächlich Indien, die Muslime Pakistan. Aber wie gesagt nur in den Mehrheiten, denn in beiden Ländern gibt es rechtliche Vorgaben für die jeweilige Minderheiten, von Christen und anderen Religionsgemeinschaften ganz abgesehen.

Aber mehr als die innerindischen Konflikte – beispielsweise war der „geborene“ erste Präsident Indiens eigentlich Gandhi, der aber der Teilung des indischen Kontinents wegen, die er ablehnte, nicht zur Verfügung stand - interessieren einen Europäer erst einmal das Schachspiel, zu dem die legitimen Volksinteressen als politische Partie der internationalen Interessengruppen verkommen.

Als Lord Mountbatten 1947 als Vizekönig nach Indien geht, ahnt keiner, daß seine Frau Edwina dort die große Liebe erleben wird. Sie verliebte sich in Nehru, den ehemaligen Privatsekretär Gandhis, den kommenden Führer und ersten Ministerpräsidenten Indiens - und der sich auch in sie! Er war übrigens, ebenfalls verheiratet, der Vater der späteren indischen Premierministerin Indira Gandhi. Davon schweigt der Film. Aus gutem Grund. Dieser Stoff hätte nämlich einen eigener Film verdient. Einen tragischen dazu.

Aber seltsam ist doch, daß diese Liebesgeschichte auch heute noch recht unbekannt ist, dabei ist sie ein gewaltiger Filmstoff. Aufgeschrieben hat diese Liebesgeschichte die Lebensgefährtin des französischen Botschafters in Indien André Lewin, der eigentlich als Andreas Levi am 26. Januar 1934 in Frankfurt am Main geboren wurde und sich 1938 mit seinen Eltern nach Frankreich retten konnte, wo er die Naziverfolgung überlebte. Daß er einst französischer Botschafter würde, hat der Knabe übrigens seinen Eltern schon auf der Flucht mitgeteilt.

Diese Episode und seine Lebensgeschichte erzählte er, als er mehrmals zur großen Ausstellung seines Großvaters im Jüdischen Museum, Moritz Daniel Oppenheim, des meistgedruckten Künstlers des 19. Jahrhunderts, nach Frankfurt kam. Zu dieser Lebensgeschichte gehörte auch, daß er seine angetraute jüdische Ehefrau nicht verlassen wollte/konnte, die im Süden Frankreichs das Familienhaus bewohnte, während er in der ganzen Welt als Botschafter Frankreichs über 20 Jahre mit Catherine Clément zusammenlebte. Diese hat mindestens drei Professionen. Sie ist eine bekannte französische linke und feministischeIntellektuelle, eine Universitätsprofessorin und Schriftstellerin dazu.

Das alles ist wiederum einen eigenen Film wert. Aber mit dieser Filmbesprechung hat das private Leben der Catherine Clément insofern zu tun, als sie in Indien an der Seite des französischen Botschafters von 1987 – 1991 eine interessante Rolle spielte – übrigens auch anschließend in Wien etc.. Denn damals war es noch nicht üblich, daß man offiziell eine Lebensgefährtin haben konnte, wenn man eigentlich auf dem Papier mit einer anderen Frau verheiratet war und ist. Das geht heutzutage auch in Deutschland problemlos über die Bühne, wie es der Bundespräsident Joachim Gauck mit Daniela Schadt vormachte.

Aber 1987 war noch eine andere, sehr viel konservativere Zeit und trotzdem haben es die beiden an den Orten der Botschaftertätigkeit durchgezogen. André Lewin hatte es so erzählt, daß sich Catherine Clément, deren Bruder übrigens sehr lange dem Fernsehsender ARTE vorstand, doch ziemlich gelangweilt habe, ohne weiteren intellektuellen Anspruch seine Botschaftertätigkeit mitzuleben, weshalb sie ständig in den Archiven – in Indien wie auch dann in Wien, wo es um Kaiserin Elisabeth, Sissi, ging – nach Material suchte. Das fand sie in Delhi und zwar so ausreichend, daß sie über die weithin unbekannte Liebesgeschichte der Lady Edwina Mountbatten und Jawaharlal Nehru ein Buch schreiben konnte. Der Roman ist auch auf Deutsch erschienen, heißt Eine Liebe in Indien und ist im Verlag Heyne, München 1997 erschienen.

Eine Besonderheit, nun wieder eher privater Natur, kommt für das Interesse an Indien, über das Catherine Clément noch weitere Bücher schrieb, hinzu. Sie war viele Jahre vorher schon einmal länger in Indien, damals mit ihrem Ehemann.

Die von Clément beschriebene inisch-englische Liebesgeschichte wollen wir hier nicht ausbreiten, nur das für unseren heutigen Moralapostel Ungeheurliche weitersagen, daß Lord Mountbatten, der übrigens der jüngste Sohn des Deutschen Prinzen Ludwig Alexander von Battenberg, 1. Marques of Milford Haven (1854-1921) und dessen Ehefrau Prinzessin Viktoria von Hessen-Darmstadt (1863-1950) war, daß dieser Lord, wie es einem echten Lord gebührt, die Liebesgefühle seiner Frau ernst nahm und dafür sorgte, daß der indische Ministerpräsident Nehru immer wieder inkognito nach England kommen konnte, um seine geliebte Edwina zu sehen und zu lieben.

Denn die Tragik – und es ist weiß Gott eine – war eben, daß der erste Ministerpräsident des freien unabhängigen Indiens unmöglich die Frau des ehemaligen britischen Vizekönigs von Indien hätte heiraten oder sonstwie in Indien hätte lieben können. Wir empfanden deshalb für den englischen Lord, den im Film ebenfalls sehr liebenswürdig Hugh Bonneville verkörpert, große Achtung. Und eigentlich haben wir uns die kapriziöse und genauso liebeswürdige, ja liebenswerte Edwina Mountbatten immer so vorgestellt, wie sie Gillian Anderson im Film gibt: elegant, großzügig, emphatisch gegenüber der indischen Bevölkerung in ihrem Selbstständigkeits- und Bildungsstreben und klug sowie schön dazu. Höchste Zeit, nun vom Jubiläumsfilm zu sprechen!

Fortsetzung folgt.

Foto: © tobis.de

Info: 

Gurinder Chadha
Indien / Großbritannien 2016
Englisch
106 Min · Farbe


Mit
Hugh Bonneville (Lord Mountbatten)
Gillian Anderson (Lady Mountbatten)
Manish Dayal (Jeet)
Huma Qureshi (Aalia)
Om Puri (Noor)
Michael Gambon (Ismay)
Simon Callow (Radcliffe)
Lily Travers (Pamela Mountbatten)
Stab
Regie
Gurinder Chadha
Buch
Gurinder Chadha, Paul Mayeda Berges, Moira Buffini
Kamera
Ben Smithard
Schnitt
Victoria Boydell, Valerio Bonelli
Musik
A. R. Rahman
Sound Design
Glenn Freemmantle
Ton
Nakul Kamte
Production Design
Laurence Dorman
Kostüm
Keith Madden
Maske
Jacqueline Fowler
Regieassistenz
Lance Stuart Roehrig

Biografie
Gurinder Chadha


Geboren 1960 in Kenia als Tochter indischer Eltern, aufgewachsen in London, wo sie zunächst als Radioreporterin für die BBC tätig war. Anschließend drehte sie preisgekrönte Dokumentarfilme für das British Film Institute, BBC und Channel Four. Auch ihr Spielfilmdebüt Bhaji on the Beach wurde mehrfach ausgezeichnet. Internationaler Durchbruch mit Bend it like Beckham, der sowohl national als auch im Ausland ein großer kommerzieller Erfolg war. Für ihre Verdienste in der Filmwirtschaft wurde Chadha 2006 zum Officer des Order of the British Empire (OBE) ernannt.