f dasistunser1Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24.August 2017, Teil 5

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Der belgische Regisseur Lucas Belvaux zeigt in seinem spannend inszenierten Politdrama, wie sich anständige, engagierte Menschen allzu leicht vom Populismus einnehmen lassen. Die gewinnende Hauptdarstellerin Émilie Dequenne, die als Rosetta in dem gleichnamigen Film der Dardenne-Brüder bekannt wurde, vermittelt diese Ambivalenz überzeugend.

Sie spielt Pauline als liebeswerte junge Frau mit einer authentischen Mischung aus Gutgläubigkeit und Stärke.

Aufgrund seiner deutlichen Anspielungen auf den rechtsextremen Front National und seine Vorsitzende Marine Le Pen sorgte DAS IST UNSER LAND! schon vor seinem offiziellen Kinostart in Frankreich heftig für Furore. Belvaux legt die Arbeitsmethoden rechtsextremer Parteien offen und liefert damit auch zum deutschen Wahlkampf einen aufschlussreichen Diskussionsbeitrag.

So steht es im Presseheft, in dem auch ein langes Interview mit dem Regisseur abgedruckt ist, das wir hier veröffentlichen.

Es ist das erste Mal, dass Sie ein Drehbuch mit einem Co-Autor geschrieben haben, in diesem Fall mit dem Schriftsteller Jérôme Leroy. Warum wollten Sie mit jemand anderem schreiben?

Aus zwei Gründen. Zuallererst war es der beeindruckende Roman „Le Bloc“ von Jérôme Leroy, der meine Aufmerksamkeit auf dieses Thema gelenkt hat. Es erschien mir unmöglich, die Buchvorlage in ein Filmformat zu pressen, aber ich habe eine bestimmte Art des Umgangs mit der Thematik übernommen. Zweitens habe ich unbedingt jemanden gebraucht, der sich mit dem Thema sehr gut auskennt – man könnte fast sagen, auf intime Weise – in jedem Fall aber im Hinblick auf die technischen Aspekte, die Arbeitsprozesse, die ganze Maschinerie und die Geschichte. Darüber hinaus lebt Jérôme im Norden von Frankreich. Er weiß, wovon er spricht.


Die Figur der Agnès Dorgelle, gespielt von Catherine Jacob, weist Ähnlichkeiten mit Marine Le Pen auf. Wie war diese Rolle angelegt?

Ich sehe in ihr mehr eine Art Echo als ein Porträt. Sie ist eine Filmfigur, „inspired by“, und in diesem Fall gab es sehr viel, von dem wir uns inspirieren ließen und mit dem wir arbeiten konnten. Unglücklicherweise. Ich habe die prägnantesten Merkmale übernommen, jene, die sie sofort identifizierbar machen – das blonde Haar etwa oder ihre Schroffheit. Sie sind von Bedeutung für die Wähler und ein fast schon unbewusster Träger von non-verbalen Botschaften. Interessanterweise funktioniert dieses Prinzip überall, es gibt diese Art von „internationalen Populisten“. Ich wollte mich auf die öffentliche Person fokussieren. Wir kennen sie nicht als Privatperson, selbst wenn wir sie in ihrem Zuhause zu sehen bekommen. Sie zeigt sich nur im Zusammenhang mit Politik, mit Kundgebungen und Zusammenkünften. Nur so möchte sie gesehen werden, sie hat sich für diese Selbstdarstellung entschieden und daran arbeitet sie – und nur in diesem Kontext ist sie für mich interessant. Es ist ein Image ohne Schattierungen, um so wirkungsvoll wie möglich zu sein. Das ist schon fast wieder ein Motto für sich.


Pauline ist eine junge, hingebungsvolle Krankenschwester, die mit Armut und Gefühlskälte konfrontiert wird. Leidet sie auch selbst?

Natürlich. Sie ist allein mit zwei Kindern und sehnt sich nach Liebe. Wo immer sie hinsieht, entdeckt sie Leid. Tagtäglich steht sie in Kontakt zu anderen Menschen, denen es schlecht geht, körperlich und sozial. Tatsächlich sagt sie zu Beginn des Films den Satz: „Da muss man durch.“ Sie ist eine mitfühlende Person, die den zerbrechlichen Gestalten, auf die sie täglich trifft, die Hand reicht. Und dann kommt noch ihr persönliches Leiden hinzu. Man spürt, dass in der Beziehung zu ihrem Vater etwas nicht ganz stimmt. Und diese Beziehung, ob nun konfliktbeladen oder zerbrochen, zieht sich durch den gesamten Film. Ich denke, dass ihr Beitritt zu einer populistischen, extremistischen Partei – welcher auch immer – definitiv mit der Person des Vaters zusammenhängt.


Es ist kein Zufall, dass Berthier, der Mann, der ihr den Weg in die extreme Rechte weist, ein Arzt ist. Er war sehr freundlich zu ihrer kranken Mutter, und Pauline sieht in ihm eine Art Beschützer.

Oder eine Vaterfigur – etwas, dem wir uns wiederholt zuwenden. Sie kennt ihn, seit sie ein Teenager war, und er ist ein Kollege. Er ist bodenständig und Anhänger einer altmodischen, rechts stehenden politischen Bewegung, die im Norden Frankreichs aktiv ist. Tatsächlich gibt es eine populistische Tradition innerhalb der extremen Rechten, eine gewisse Liebe „zum Volk“, obwohl absolut nicht klar ist, wer damit überhaupt gemeint ist. Für Pauline ist Berthier eine zwiespältige Figur: Er ist ehrlich, was seine Zuneigung zu ihr betrifft, doch auf der anderen Seite manipuliert er sie.


André Dussollier glänzt in dieser Rolle, er wirkt gleichzeitig vertrauenserweckend und verstörend.

Ja, André ist ein großartiger Schauspieler. Er beherrscht sowohl die leichte Komödie als auch die dunklen, abgründigen Rollen. In diesem Film wandelt er sich von einer sympathischen Figur in etwas sehr Beunruhigendes, bisweilen Beängstigendes, ohne im Geringsten seinen Tonfall zu verändern. Er verfügt über so viel Erfahrung und Können als Schauspieler, dass er in der Lage ist, sich selbst gehen zu lassen, sich selbst aufzugeben, ohne darüber nachzudenken. Man könnte es Großzügigkeit nennen.


Fiel Catherine Jacob und André Dussollier die Entscheidung schwer, diese Rollen anzunehmen?

Ich glaube, dass beide lange und eingehend darüber nachdenken mussten, bevor sie akzeptiert haben. Zweifelsohne empfanden sie es als riskant, und sie haben sich gefragt, wie man sie wahrnehmen würde, wenn sie solche Charaktere darstellen. Bisweilen fielen am Set Sätze wie „Was verlangst du von mir, zu sagen!“ In der Tat waren einige von Berthiers Textpassagen und Agnès Dorgelles Rede bei der Kundgebung sehr brutal. Aber Schauspieler müssen überzeugend und absolut aufrichtig sein, sonst funktioniert es nicht. Und wenn es funktioniert, bleibt noch immer diese Angst, dass das Publikum die Rolle mit dem Schauspieler, der sie spielt, verwechseln könnte.


Die Verantwortlichen der rechtsextremen Partei sind wie Headhunter, die nach klar umrissenen Kandidaten Ausschau halten. Spiegelt das die Realität wieder?

Im Grundsatz ja. All die Probleme, mit denen sich die extreme Rechte herumschlagen muss – ihre unterschiedliche Zusammensetzung, die unklaren Abgrenzungen und das, was im Internet geschrieben wird (was wir die Faschosphäre nennen) – werden im Film genau untersucht. Wir haben nichts hinzugefügt als das, was in der Erzählung passiert. Um die Frage zu beantworten: In politischen Parteien gibt es immer Formen von Marketing, Werbung und Propaganda. Das ist sogar das Ziel jeder Wahlkampagne.

Was den Front National von anderen unterscheidet, sind zwei spezielle Probleme: Er möchte respektabel wirken und er hat an jeder Ecke Kandidaten, aber es mangelt ihm an Führungskräften. Das ist auch der Grund, weshalb so viele junge Leute und Frauen aus rechtsextremen Parteien auf den Wahllisten stehen – ein Phänomen, das für alle europäischen Länder gilt. Sie möchten das Bild einer jungen, fröhlichen Partei vermitteln, die den Menschen nah ist, einer Partei der Erneuerung. Und diese Kandidaten, diese Novizen ohne politische Erfahrung, erfreuen sich an der schnellen Anerkennung und dem raschen Aufstieg in dieser politischen Gruppierung – ein Weg, der innerhalb der traditionellen Parteien sehr viel schwieriger ist. Hinsichtlich der Seriosität ergibt sich hier kein sehr gutes Bild. Einer Untersuchung von 2012 zufolge war der Front National die Partei mit den meisten vorbestraften oder unter Anklage stehenden gewählten Mitgliedern*. Die Daten sind schon ein paar Jahre alt, deshalb würde es mich sehr interessieren, wie die Situation heute ist.


Die Probleme mit der Seriosität lassen sich auch auf ehemalige Mitglieder zurückführen...

Sicherlich, jene Leute, die am äußersten rechten Rand des Extremen Karriere gemacht haben. Das Problem mit ihnen ist kein ideologisches, sondern die Tatsache, dass sie Flecken auf dem Saubermann- Image der Partei hinterlassen haben. Sie vereinen die Befürworter nationaler Identität, die Ultra- Nationalisten, die Neonazis, die Revisionisten, Fans von Pétain, Franco oder Léon Degrelle, dem „Belgischen Führer“ – Leute, mit denen man sich nicht sehen lassen kann, die aber noch immer der Partei zustreben und denen Einlass gewährt wird, so lange sie sich diskret verhalten**. Manche von ihnen können das; sie schaffen es, „in eine neue Haut zu schlüpfen“, wie wir im Film sagen. Aber andere können es nicht, beispielsweise Stanko (Guillaume Gouix) – und das sind diejenigen, mit denen der Umgang schwieriger ist. Hinzu kommt, dass sie Spuren hinterlassen, vor allem in den Sozialen Medien, aber nicht nur dort.
Fortsetzung folgt

Foto: © Verleih

Info:

Besetzung

Pauline Duhez ÉMILIE DEQUENNE
Philippe Berthier ANDRÉ DUSSOLLIER
Stéphane Stankowiak/ Stanko GUILLAUME GOUIX
Agnès Dorgelle CATHERINE JACOB
Nathalie ANNE MARIVIN
Jacques PATRICK DESCAMPS
Nada Belisha CHARLOTTE TALPAERT
Victoire Vasseur STÉPHANE CAILLARD
Jean-Baptiste Verhaeghe CYRIL DESCOURS
Dominique Orsini MICHEL FERRACCI