f milkywaySerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. September 2017, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dieser Film wirkt auf die Zuschauer wie die Erschaffung von Tag und Nacht. Die einen finden ihn hinreißend, die anderen verdammen ihn.

Wir finden ihn phantastisch. Phantastisch in des Wortes wahrer Bedeutung. Aus dem Geist geboren, nicht aus der Wirklichkeit. Was ist Leben? Nur das, was in ein gängiges Format einzukasteln ist? Oder das, was mit Phantasie und überbordendem Temperament und Lebenslust dazu, aus den schwierigsten Situationen noch eine kleine Freude mit nach Hause nimmt. Was heißt nach Hause? Denn die Häuser werden in dieser fast surrealen Landschaft des Balkan in den Kriegen zerstört, aber das, was ich im Inneren trage, kann keiner wegnahmen, kann ich als unzerstörbar verwahren. Das sagt der Film und er empfiehlt auch ein verrücktes Leben. Buchstäblich. Das Leben verrücken, so wie es hier unser Held, der Arbeiter Kosta tut, den der Regisseur Emir Kusturica selbst darstellt. Als der romantische Narr, der er eben ist, der Arbeiter und der Regisseur.

Zugegeben, auf höherer Ebene ist das vielleicht Kitsch. Aber dann einer, der mir liegt. Also von vorne. Ich fand den bildgewaltigen neuen Kusturica – nach zehn Jahren der erste Spielfilm des einst legendären und ob seiner rein serbischen Parteinahme gescholtenen Regisseurs – wie ein Märchen vom Verlieben und den bösen Folgen, von der Unverbesserlichkeit, sich Gefühlen hinzugeben und eine magische Welt heraufzubeschwören, die übrigens mehr mit Lateinamerika zu tun hat als mit dem Balkan – hätte ich zumindest zuvor gedacht. Wenn das aber das Ex-Jugoslawien ist, das ich hier im Film sehe, dann muß ich mir über all diese Länder noch einmal neu Gedanken machen, Einschätzungen und Bilder, die nach den vielen Bürgerkriegen gefestigt schienen.

Nein, ich finde nicht, daß dies ein politischer Film ist, der irgendeiner Seite – Serben oder Kirche - oder Sache verpflichtet ist. Überhaupt nicht. Ja, ich finde, daß der Film die Gefühle von Menschen als das gewaltigste, auch gemeingefährlichste Gut der Menschheit in herrlichen verrückten Bildern vor unsere Augen bringt. Ja, ich finde zu viel Gewalt im Film, denn die Häuser, die Tiere, die Menschenleben purzeln durcheinander, daß es eine Schande ist – was alles aber mit der eigentlichen Handlung nichts, ja rein gar nichts zu tun hat. Und nur, weil alles Gefestigte gegenüber den Gefühlen so gar keine Rolle spielt, kann ich auch das Zugrundegehen der äußeren Welt hinnehmen, ohne das grauenvoll zu finden.

Die Geschichte ist ganz schlicht, geht aber über 15 Jahre. Da gibt es den Kosta, den wir als Milchmann auf einem Esel und einem Falken dauernd unterwegs sehen – gegen den ständigen Bombenhagel hat er den Regenschirm aufgespannt - und gerade diesen hat sich die Dorfschönheit Milena (toll: Sloboda Mićalović) als Liebsten ausgesucht, den sie heiraten will. Doch ganz plötzlich kommt eine andere wunderschöne Frau ins Spiel. Es ist eine sehr geheimnisvolle Italienerin (Monica Bellucci) , die geflohen ist vor ihrem Kriegshelden Žaga. Doch gerade dieser Žaga (Predrag Manojlović) ist der Bruder der heißblütigen Milena, weshalb es eine Doppelhochzeit geben soll, die schon vor der Tür stehst. Doch die Italienerin mag ihn nicht, diesen wüsten einäugigen Kriegshelden, der aus Afgahnistan zurückgekehrt ist, statt tot dort zu bleiben. Der verfolgt sie nun aber gleich aus doppelten Gründen: verschmähte Liebe und Verrat! Und wie war das noch, daß er ein britischer General war, der für die schöne Italienerin seine eigene Frau umbrachte und deshalb Jahre im Knast saß und nun seinen Liebeslohn will.

Also auf jeden Fall nichts wie weg mit unseren beiden Liebenden, kreuz und quer durch die Welt, die immer dann, wenn die beiden auftauchen, vollends aus den Fugen gerät. Ohne die Töne, die uns umschmeicheln, wäre der Film gar nicht vorstellbar. Tatsächlich übernimmt der Film auch dramaturgische Funktion, denn diese Geschichte verfolgen wir ja als Flucht, aber doch eigentlich auch als ein Ankommen der beiden bei sich selbst. Zwei Liebende in einem Märchen von Liebe und Tod. Mir gefällt diese schräge Geschichte in einer verrückten, zusammenfallenden, einst bunten und heimeligen Welt, deren Bildgewalt einen überwältigt sehr.

Foto: © Verleih

Info:

Darsteller Monica Bellucci, Emir Kusturica, Predrag Manojlović, Sloboda Mićalović