f LoewenmaedchenSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. September 2017, Teil 9

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - Im Winter 1912 kommt in einem norwegischen Dorf die kleine Eva Arctander zur Welt. Ihre Mutter stirbt bei der Geburt, sie selbst ist von Kopf bis Fuß mit einem hellen Haarkleid bedeckt. Ihr Vater, der Bahnhofsvorsteher Gustav Arctander (Rolf Lassgård) lehnt das Mädchen ab und sperrt sie in seinem Haus ein. Während der nächsten Jahre hat Eva nur Hannah (Kjersti Tvetras) als Bezugsperson, die zuerst Evas Amme und später Arctanders Haushälterin ist.

Da Eva (Aurora Lindseth Løkka) schnell lernt und auch einen wachen Verstand hat, setzt sie mit Hannahs Hilfe durch, dass sie in die örtliche Schule gehen darf, dabei erzählt sie zu Hause nichts von den Übergriffen durch die anderen Kinder, um auf keinen Fall ihre neu gewonnene Freiheit zu gefährden.

Während der ganzen Zeit wird Eva wegen ihrer seltenen Krankheit von Ärzten als Versuchsobjekt benutzt. Bei einem Ärztekongress in Kopenhagen trifft sie (jetzt Mathilde Thomine Storm) auf Andrej Bòr (Ken Duken), der als Eidechsenmensch in einem Wanderzirkus arbeitet.

Genau dieser Zirkus kommt eines Tages ins Dorf, in ihm werden Menschen mit Außenseitermerkmalen zu Schau gestellt. Da gibt es siamesische Zwillinge, den Riesen und die Zwergin, den Affenmann, die bärtige Frau und auch der Echsenmann tingelt mit der Truppe. Der Zirkusdirektor Johannes Joachim (Burghart Klaußner) bietet Arctander an, dass Eva im Zirkus auftreten kann. Der wirft den Direktor raus, allerdings hat Eva das Gespräch belauscht und weiß, dass dies ihre Chance ist, die Enge ihres Heimatdorfes zu verlassen.

Eva (jetzt Ida Ursin-Holm) zieht jahrelang mit der Truppe durch die Welt und verdient dabei ihr eigenes Geld, das sie eisern spart. Denn es gibt etwas, was Eva gerne erreichen will. Sie möchte mit dem ersparten Geld an der Sorbonne in Paris Mathematik zu studieren...

Evas Gendefekt nennt man Hypertrichose. Es bezeichnet eine Behaarung, die über das geschlechtsspezifische Maß hinausgeht. Es kann - wie in Evas Fall - den gesamten Körper mit Ausnahme der Fußsohlen und Handflächen bedecken. Diese sogenannten "Wolfsmenschen" sind in den letzten Jahrhunderten immer wieder nachgewiesen worden. Früher lebten sie häufig als Kuriositäten an den fürstlichen Höfen, später verdienten sie - wie auch Eva - ihren Lebensunterhalt als Freaks im Zirkus oder auf Jahrmärkten.

Es wird vermutet, dass sowohl der Mythos des Werwolfs als auch Märchen wie "Die Schöne und das Biest", die Grimms Märchen "Der Prinz im Bärenfell" und "Das singende springende Löweneckerchen", "Das Nusszweiglein" von Ludwig Bechstein oder auch das norwegisches Volksmärchen "Östlich von der Sonne und westlich vom Mond" veröffentlicht 1847 von Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe mit diesem Phänomen zusammen hängen.

Die norwegische Regisseurin Vibeke Idsøe hat auch selbst das Drehbuch für "Das Löwenmädchen" verfasst. Es beruht auf dem Roman gleichen Namens, der der norwegische Autor Erik Fosnes Hansen 2006 veröffentlicht hat. Ebenso wie im Roman ist der Film in drei Teile gegliedert: Eva als Baby, als etwa 7jährige und als 14jährige incl. ihres Fortgangs aus dem Dorf und ihr Leben als Erwachsene.

Der Regisseurin zeichnet dabei ein einfühlsames Portrait einer Außenseiterin, die es aber durch ihre Intelligenz schafft, sich nicht nur in ihrem heimatlichen Umfeld zu behaupten, sondern der es auch gelingt, sich ihren Traum zu verwirklichen und einen ihren Fähigkeiten adäquaten Beruf zu ergreifen, der zudem eigentlich nicht gerade typisch für Frauen ist.

Die drei jungen Schauspielerinnen - Aurora Lindseth Lokka (Eva mit 7 Jahren), Mathilde Thomine Storm (Eva mit 14 Jahren) und Ida Ursin-Holm (Eva als junge Frau), die das Mädchen in den verschiedenen Lebensaltern verkörpern, spielen ihre Rollen sensibel und absolut glaubhaft. Sie werden aber jederzeit von Rolf Lassgård als Evas Vater Gustav Arctander übertroffen, der als kleinlicher und strenger Bahnhofsvorsteher, der sich erst langsam seiner Tochter annähern kann, eine beeindruckende darstellerische Leistung zeigt.

Alle anderen Schauspieler haben nur kleine Rollen, in denen sie eigentlich nicht glänzen können. Das gilt auch für Ken Duken als Echsenmann, Burghard Klausner als Leiter des Wanderzirkus und Connie Nielsen als Mrs. Grjothornet, eine Frau, die Eva während einer Kur ihres Vaters trifft und die ihr hilft, ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Alles in Allem ist "Das Löwenmädchen" eine spannende Emanzipationsgeschichte, selbst wenn sie sich filmisch im traditionellen Rahmen bewegt. Dabei geht es in dem Film nicht allein darum, wie die Umwelt auf die Andersartigkeit von Eva reagiert, sondern auch wieweit sie selbst bereit ist, mit dieser Andersartigkeit umzugehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

"Das Löwenmädchen" ist ein spannender und ungewöhnlicher Film über eine Außenseiterin, der von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat "wertvoll" ausgezeichnet wurde. Er ist ein Plädoyer für die Würde und die Selbstbestimmung des Menschen. Wenn jetzt hier das Wort "Inklusion" fällt, sieht man, wie modern die Geschichte eigentlich ist. Auch wenn der Film vor etwa 100 Jahren angesiedelt ist, hat die Geschichte doch nichts von ihrer Aktualität verloren. Sie ist zwar konventionell aber trotzdem mitreißend erzählt und deshalb auf jeden Fall sehenswert.

Foto: Mathilde Thomine Storm (Eva Arctander - als 14Jährige) © NFP Marketing & Distribution

Info:
Das Löwenmädchen (Norwegen, Deutschland, Schweden 2016)
Originaltitel: Løvekvinnen
Genre: Drama
Filmlänge: 126 Min.
Regie: Vibeke Idsøe
Drehbuch Vibeke Idsøe nach dem gleichnamigen Roman von Erik Fosnes Hansen (2006)
Darsteller: Rolf Lassgård, Aurora Lindseth Løkka, Mathilde Thomine Storm, Ida Ursin-Holm, Kjersti Tveterås, Ken Duken, Burghart Klaußner, Connie Nielsen u.a.
Verleih: NFP Marketing & Distribution
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 14.09.2017