Aus der Filmreihe Winners & Losers im Frankfurter naxosKino am Dienstag, 19. September
Helga Faber
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - StandPunkt: Wenn wir DIE nicht hätten...!“ hörte ich einen Besucher vor sich hin reden, bei einer früheren Premiere eines Keßler-Filmes. Ja, da kann ich dem Kollegen nur zustimmen. Die Rede ist von einem zunehmenden Skandal, was die „Entlohnung“ der Dokumentarfilmer betrifft.
Seit Jahrzehnten schmücken sich die Fernsehanstalten mit den wenigen klassischen Dokumentarfilmen, die sie senden – ihrer 12 im ganzen Jahr. Aber aus dem Fernsehprogramm verschwinden sie mehr und mehr oder sie rutschen mit ihrer Sendezeit immer weiter in die Nacht hinein. Die „kleinen“ Dokumentarfilmer und Rucksackproduzenten leben von der Selbstausbeutung oder vom (Ehe-)Partner, nicht wenige müssen zum Sozialamt . Unter diesen Umständen ist es fast schon ein Wunder, dass so viele gute bis hochklassige Dokumentarfilme in Deutschland entstehen. Wir haben für die rund 48 Kinoabende im Jahr sozusagen die „freie Auswahl“ an Filmen.
Heute also wieder mal eine Premiere – Martin Keßler stellt seinen neuen Film „Reise in den Herbst“ vor. Er ist mal wieder mit der heißen Nadel genäht, erst kurz vor diesem Abend hier ist er fertig geworden, also ... naja, fertig ist halt Ansichtssache. Der Film ist mit Ziel auf die Bundestagswahl realisiert worden. So haben wir heute ausnahmsweise fünf Gesprächsgäste (anstatt sonst zwei) eingeladen, damit die Diskussion bunt und vielfältig wird – gehen Sie also nach dem Film nicht gleich nach Hause.
Wolf Lindner
Das schreibt Wolf Lindner, der das naxosKino erfunden hat und auch nach Jahren enthusiastisch führt.
Filmreihe Winners & Losers
Dienstag, 19. September 19.30 Uhr Naxoshalle
Reise in den Herbst -Alles wie gehabt - oder Umbruch ohne Ende?
Dokumentarfilm von Martin Keßler
D - 2017 - Länge ca. 90 Minuten
Martin Keßler erinnert sich:
„Januar 2017. Ich sitze im Zug von Frankfurt nach Koblenz. Kaub, Pfalzgrafenstein, gleitet vorüber. Die sagenumwobene Lorely.
Die verführerische Blonde sitzt jetzt in Koblenz. In der ersten Reihe der Rhein – Mosel – Halle. Und wird vom Moderator als die zukünftige Präsidentin ihres Landes begrüßt: Marine Le Pen. Unter Trommelwirbel und einem Meer von Fahnen ist sie in die Halle eingezogen. An der Seite von Geert Wilders, Frauke Petry und Matteo Salvini. Den führenden Köpfen des Rechtspopulismus in Europa. Es ist der Tag nach der Vereidigung des neuen amerikanischen Präsidenten. Donald Trump ist denn auch der Held aller Redner. Wie er es dem Establishment gezeigt hat, dem ganzen „verkommenen System“ und der „Lügenpresse“.
Draußen, vor der Halle demonstrieren Tausende. Ihn erinnere das alles an das Ende von Weimar, sagt mir ein Mitdreißiger in die Kamera. Viele hätten das Vertrauen in die Eliten verloren. Das sei ein schleichender Prozeß. Doch jetzt, mit Donald Trump, den Flüchtlingsströmen und dem IS – Terror komme das Ganze richtig ins Rutschen. Dagegen müsse man was tun.“
So entstand der Film, der am Dienstag zu sehen ist.
„Reise in den Herbst“ startet zu Beginn des Jahres 2017. Eines Jahres mit richtungsweisenden Wahlen. In den Niederlanden, Frankreich, Deutschland. Und in dem sich viele fragen: Erleben wir jetzt auch in Europa und Deutschland den Durchmarsch der Rechtspopulisten? Schlammschlachten auf niedrigstem Niveau? In denen Fremde, Flüchtlinge als Sündenböcke dienen. Um von den eigentlichen Fragen abzulenken?: Nach den Ursachen des Vertrauensverlustes in etablierte Parteien und Institutionen. Und wie man dem begegnen soll. Ist das „alte System“, gar der Kapitalismus, am Ende? Und was kommt danach?
Auf der Suche nach Antworten reisen wir quer durch Deutschland. Wir sprechen mit „einfachen Leuten“, die ihre Miete kaum noch zahlen können. Mit dem Schweizer Soziologen Jean Ziegler und mit Opel – Arbeitern, deren Fabrik platt gemacht wurde und die vor der Übernahme durch den französischen PSA – Konzern stehen. Wir treffen Andreas Ehrholdt, der einst die Hartz IV – Proteste begann. Und „Pulse of Europe“- Demonstranten, die das Schicksal der EU nicht mehr den Politikern allein überlassen wollen. Wir treffen die Nürnberger Berufsschüler, die die Abschiebung ihres Klassenkameraden nach Afghanistan verhindern wollen. Aber auch „Revolutions – Romantiker“, die auf einen grundlegenden Umsturz hoffen. Wir begegnen führenden Rechtspopulisten, Angela Merkel und Martin Schulz. Sind zum G 20 - Gipfel in Hamburg. Und erleben die Wahlniederlagen von Geert Wilders und Marine Le Pen live vor dem heimischen Fernseher. Und die neusten „Streiche“ von Donald Trump. So wie Millionen in Deutschland und weltweit, die sich mittels Medien ihr Bild von einer „Zeitenwende“ machen, von der man sagt, dass sie uns alle betreffen wird.
Im Anschluss an den Film gibt es eine ausgedehnte Diskussion über den Film und darüber, was er aufgegriffen hat. Es gibt diesmal - ausnahmsweise - fünf Podiumsgäste.
Podiumsgäste:
Martin Keßler, Dokumentarfilmregisseur
Rechtsanwalt Daniel Röder
Alexis Passadakis - attac Frankfurt
Paul Fröhlich – Facharbeiter bei OPEL
Stephan Hebel, FR-Redakteur & Buchautor
Moderation Wolf Lindner, naxos.Kino
Die Gäste über sich:
Dr. Daniel Röder, Rechtsanwalt und Mediator in Frankfurt, Lehrbeauftragter an den Universtäten Frankfurt und Gießen, Richter am Hessischen Anwaltsgerichtshof. Initiator von Pulse of Europe: „Die Zeiten, nur Zaungast der politischen Lage zu sein, sind vorbei. Unser vereintes Europa, unsere Demokratie sind bedroht wie lange nicht. Ohne gesellschaftliches Engagement der überzeugten Demokraten geht es nicht. Wir müssen deutliche Zeichen setzen."
Paul Fröhlich, Opelarbeiter.“ Ich bin 43 Jahre alt, verheiratet, revolutionärer Arbeiter, IG-Metaller und arbeite seit meiner Ausbildung in der Montage bei Opel. Seit Herbst 2016 arbeite ich im Internationalistischen Bündnis/MLPD mit, weil wir uns gegen den Rechtsruck der Regierungen zusammenschließen müssen.“
„Ich bin Stephan Hebel, langjähriger Redakteur der "Frankfurter Rundschau" und politischer Autor, seit fast drei Jahrzehnten Leitartikler, Kommentator und Buchautor. Ich bin regelmäßiger Gast im "Presseclub" der ARD. Zuletzt erschien mein Buch zum Wahlkampf
"Mutter Blamage und die Brandstifter.
Das Versagen der Angela Merkel –
warum Deutschland eine
echte Alternative braucht"
„Reise in den Herbst“ © Verleih