a Bogdan Dumitrache Impressionen vom 65. Filmfestival San Sebastián, Teil 2/3

Kirsten Liese

San Sebastián (Weltexpresso) - Besser nachvollziehen aus Kritikersicht ließ sich die Auszeichnung für Bogdan Dumitrache als bestem Hauptdarsteller. In dem großartigen, komplexen, düsteren rumänischen Drama Pororoca, das eigentlich wichtigere Preise verdient hätte, verkörpert er einen Familienvater, der nach dem schicksalhaften Verschwinden seiner kleinen Tochter zusehends dem Wahnsinn verfällt.

Unter dem Eindruck von mysteriösen Fotos, auf denen ein fremder Mann das Mädchen aus der Ferne anstarrt, steigert er sich in die Idee hinein, in ihm den Entführer seines Kindes auszumachen. Enttäuscht von der Polizei, die aus Mangel an Beweisen nichts tut, wird er schließlich selbst in einem zweifelhaften Akt von Selbstjustiz zum Täter.

Raffiniert entwickelt Regisseur Constantin Popescu aus einem anfänglichen Sozialdrama, in das von den Rändern auch anregende Nebenbeobachtungen über die rumänische Gesellschaft einfließen, einen Mysterythriller, der deshalb so unheimlich wirkt, weil offen bleibt, was dem Kind tatsächlich zugestoßen ist und ob der zwielichtig erscheinende Fremde tatsächlich Schuld auf sich geladen hat.

Stark vertreten war aber auch das französische Kino mit bemerkenswerten Literaturverfilmungen: Frei nach dem gleichnamigen, autobiografisch gefärbten Roman von Marguerite Duras schildert La Douleur einen der schmerzreichsten Abschnitte im Leben der französischen Schriftstellerin. Die Gestapo verhaftete ihren damaligen Mann Robert Antelme wegen seines Engagements in der Résistance während der französischen Besatzung und deportierten ihn kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs nach Dachau. Regisseur Emmanuel Finkiel, der den Regiepreis allemal verdient hätte, zeigt jedoch in seinem subtilen, leisen Porträt nicht explizit das Martyrium des Mannes, sondern konzentriert sich ganz auf seine unglückliche Heldin, ihre Sorge um den geliebten Lebenspartner, ihre Gedanken und Emotionen. Einige Male trifft sich Duras mit einem Kollaborateur, der ihr aus sexuellem Interesse Hilfe in Aussicht stellt, sie am Ende aber nur auf perfide Weise zur Denunziation anderer Widerständler anstiften will. Großartig, wie Melanie Thierry diesen Zustand der Zermürbung durchlebt, sich zusehends in immer schlimmeren Vorstellungen und Befürchtungen verliert, als der Krieg endlich zu Ende ist, zahlreiche politische Häftlinge aus den Lagern zurückkehren, nur nicht Robert, bis Freunde schließlich herausfinden, dass er doch noch am Leben ist. Das alles erzählt Finkiel sehr berührend mit dezenten elegischen Klängen, Bildern von melancholischer Poesie, die immer etwas unscharf werden, wenn die Ebenen wechseln von der Realität in die fiktive Vorstellungswelt der Protagonistin.

Die Weltkriege, denen sich das Kino schon so mannigfach widmete, sind – wie sich an weiteren Produktionen zeigte- immer noch unerschöpflich als Inspirationsquelle für bewegende Geschichten. So erzählt Albert Dupontel in seiner kongenialen, in San Sebastián außer Konkurrenz gezeigten, Adaption von Pierre Lemaitres gleichnamigem Erfolgsroman Au revoir là-haut von den Zuständen in Frankreich nach Ende des Ersten Weltkriegs. Es ist ein reiflich demoralisiertes Land, das da sichtbar wird, durchdrungen von korrupten Geschäftemachern, Heuchlern und Zynikern, die sich über Betrügereien an Kriegsdenkmälern eine reiche Nase verdienen. In diesem Kosmos erscheinen einzig Edouard, ein junger Künstler, der nur noch ein halbes Gesicht hat, das er hinter kunstvollen, selbst geformten Masken verbirgt, sein Schicksalsfreund Albert, den er an der Front vor dem Erstickungstod rettete, und ein verwaistes Mädchen, das sich ihnen anschließt, als Lichtfiguren.

Mit seinen bestechenden Zeichnungen gibt Edouard den Opfern des Krieges ein Gesicht, die Kleine und Albert helfen dabei, sie in einem Buch zu veröffentlichen und erwecken damit bald die Aufmerksamkeit von Edouards schwerreichem Vater, der den Sohn als Künstler nie ernst nahm. Streng vermeidet Edouard eine Konfrontation mit dem Tyrann, dem Albert in seinem Auftrag ausgerichtet hat, sein Sohn sei gefallen. Sehr berührend fokussiert Dupontel auf die konfliktreiche, gestörte Beziehung zwischen Vater und Sohn, zwischen denen es erst spät zu einer Versöhnung kommt, als es eigentlich schon zu spät ist. Und doch ist dies dank erfrischendem, satirischen Witz, der Schönheit der Kunst und einer Leichtigkeit, wie sie nur die Franzosen zu zaubern vermögen, kein todtrauriger Film.

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Foto: castingdb.eu©

Info:
https://www.sansebastianfestival.com