Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Oktober 2017, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Sich richtig vorstellen kann man sich das nicht. Jeden Tag dessen gewiß zu sein, daß jemand mir gegenüber ein öffentliches Todesurteil ausgesprochen hat und Menschen Geld dafür geboten bekommen, mich zu ermorden. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde.
Gerade konnte man in einer späten Talkshow Salman Rushdie erleben, der schon vor zwei Jahren auf der Buchmesse in einer Pressekonferenz über ein Leben quer über die Welt sprach, schwerbewacht und dennoch innerlich frei. Menschen, die wegen der Worte, die sie aussprachen, niederschrieben oder sangen diese Todes-Fatwa erhalten hatten.
Außer dagegen öffentlich zu protestieren, ein solches System, das so etwas noch dazu im Namen eines Gottes ausspricht, kräftig zu verachten, außer Meinungsäußerungen haben wir wenig Möglichkeiten, davon zu erzählen und dagegen unsere Solidarität mit Verfolgten auszudrücken. Der Film ist eine der erzählerischen Möglichkeiten. Das könnte ein Spielfilm sein oder ein Dokumentarfilm. Till Schauder, der durch DER IRAN JOB – witzig, ein amerikanischer Basketballspieler verdingt sich in einem iranischen Verein - schon vorgelegt hatte, hat genau dies in einem dokumentarischen Kinofilm getan und erzählt vom iranischen Rapper Shahin Najafi. 2012 wurde gegen ihn eine solche Todes-Fatwa erlassen. Eigentlich ist seine ‚Todsünde‘ - um einen Begriff aus der christlichen Religion zu nehmen, der zeigt, wie weit in dieser die Worte von den Folgen entfernt sind – ein Persiflage gegen einen Iman, aber die versehen keinen Spaß, der genaue Wortlaut wird nur zum Anlaß genommen, denn es geht bei Sahin Najafi darum, daß seine Texte sich immer wieder gegen die Verletzung der Menschenrechte und eben auch gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran richten.
Die Obrigkeit fand dann einen Grund in einem satirischen Rap, der eben nicht nur von oben mit einer Todes-Fatwa quittiert wurde. Tausende, heißt es, forderten Shahin Najafis Hinrichtung, weil er Ali al-Naghi verunglimpft habe, einen der zwölf Imame, die von den Schiiten verehrt werden. NAGHI hieß sein Rap-Song, der von den einen verdammt, von den anderen verlacht wurde. Das ist ja für diese Hardliner das Schlimme. Das Lachen. Radikale Geistliche erließen eine Todes-Fatwa gegen ihn und setzten ein Kopfgeld von $100,000 auf ihn aus. Die internationale Presse nahm den Fall auf und berichtete breit. Aber das ist ja nur das eine. Wir erfahren solche Vorgänge. Aber was geschieht mit den Menschen.
Und hier setzt der Film ein. Er doziert nicht oder bringt irgendwelche allgemeinen Aussagen, sondern bleibt dicht an Shahin Najafi dran, so daß wir sein gehetztes Leben, in dem er sich Ruhe verschaffen muß, miterleben. Er kommt in die Bundesrepublik Deutschland. Warum? Weil hier schon Kontakte sind und man freut sich einfach, daß es wieder einmal Günther Walraff ist, der ihm seine Unterstützung anbietet und bei dem er erst einmal – gut gesichert – leben kann.
Wie verhält sich ein von Todesdrohungen Verfolgter. Schweigt er, um nicht aufzufallen oder geht er seiner inneren Bestimmung nach? Für Shahin Najafi war das keine Frage. Das Formulieren dessen, wie er die Welt sieht, und dies auf der Bühne als Rapper vorzutragen ist sein Weg, ein gefährlicher Weg. Und genau dies vermittelt uns der Film, der nie larmoyant oder aufdringlich daherkommt, sondern eher sachlich, aber dadurch unter die Haut geht von einem spricht, dem so etwas passiert.
Jeder Bühnenauftritt, jeder Bühnenabtritt, jeder Schritt aus dem Haus, jede Autofahrt, jedes Aussteigen könnte die Chance für gedingte Mörder sein, sein Leben ist unsicher, weshalb der Untertitel des Films heißt: „Die Angst ist ein Teil von mir“.
Wie andere eine Pistole als Gegenwehr im Anschlag dabeihaben, hat Najafi seine Gitarre. Sie ist seine Waffe, so sagt er im Film, und deshalb ist es für ihn auch keine Frage, natürlich weiterzusingen und denen Mut zu machen, die ebenfalls gefährdet sind oder den politischen Verhältnissen im Iran entflohen. Ja, er ist vor allem ein Sänger für seine eigene Klientel. Aber diese sorgen dafür, daß viele Freunde mitkommen und die Säle voll werden, wenn er auftritt. Till Schauder zeigt uns, wie der Kreis aber immer enger wird. Denn seine Auftritte werden verfolgt. Er erhält auch Warnungen. Die Häscher sind auch unter uns, sozusagen. Till Schauder kann zeigen, wie diese ständige Ungewißheit auch die Anhänger immer wieder unsicher macht.
Die Fanatiker im Iran haben inzwischen die Todessumme auf 200 000 Euro erhöht. Da braucht nur so ein Idiot daherzukommen....Wir fragten uns schon, ob nicht ein Film darüber eine weitere Gefährdung ist. Ja und Nein, war unsere eigene Antwort. Das gilt nämlich genauso schon für seine Auftritte. Auch die sind ein Ja und ein Nein. Wenn man genau hinschaut im Film, dann erlebt man auch, wie die Auftritte Shahin Najafi in dem Sinne, wie er von seiner Gitarre als Waffe spricht, jedesmal mit Mut und Kraft erfüllen. Er muß ständig die angekündigten Säle wechseln, das ist kein normaler Starauftritt, der lange auf Plakaten angekündigt, dann stattfindet.
Das läuft anders. Das wird denen, die ihn erleben wollen, bekannt. So ist das und so muß das sein.
Der Mann selber wird einem im Lauf des Films immer sympathischer. Er tröstet die Mutter im Iran. Auch dorthin ist Till Schauder gefahren, um Authentisches zu bringen. Eindrucksvoll auch die Szenen mit seiner hiesigen Freundin. Solche Menschen geben nicht auf, halten zu ihm. Für andere, auch für gute Freunde, wird das alles zu viel. Sie hauen ab, auch wenn sie gerade auf der Bühne begleiten sollten. Der Film verurteilt diese nicht. Angst ist Angst und die Folgen haben diese Menschen für sich zu verantworten. Nicht wir.
Aber wir können vom Mut des Shahin Najafi lernen, wir können ihn zumindest verbreiten, was der Film tut. Ein Leben in Ungewissheit: Shahin könnte für seine Überzeugung mit seinem Leben bezahlen. Daß wir sehr bequem leben, macht der Film uns nicht zum Vorwurf. Aber...