Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir hatten schon in der letztenWoche ausführlich über den russischen Film MATHILDE geschrieben, als er ohne große Proteste zuerst in Petersburg als Premiere und dann in Moskau regulär anlief – und ein großer Erfolg wurde.
Warum dieser Film überhaupt in Rußland Proteste hervorruft, hat mit der unterschiedlichen Wertung der Hauptfigur Nikolaus zu tun, der im Verlauf des Films vom Zarewitsch zum Zar wird. Der Film beschränkt sich auf das Jahr 1894 und davor. In diesem Jahr wird Nikolaus durch den überraschenden Tod seines Vaters zum Zaren gekrönt, der in Rußland auch als Autokrat aller Russen bezeichnet wurde. Als Nikolaus II. blieb er dies bis zur Russischen Revolution vor 100 Jahren und wurde im Juli 1918 mit seiner Frau und fünf Kindern erschossen, weshalb ihn im Jahr 2000 die russisch-orthodoxe Kirche als Märtyrer heilig sprach. Ein Heiliger darf natürlich keine Liebesgeschichte mit einer Tänzerin haben, auch dann nicht, wenn diese eine Primaballerina werden wird.
Das Pikante an der Situation, die der Film nicht nur opulent, sondern in der Darstellung des Zarewitsch/Zaren durch Lars Eidinger sehr glaubwürdig auf die Leinwand bringt, ist eine doppelte Liebesgeschichte. Denn als 1884 der 16jährige Zarewitsch Prinzessin Alix von Darmstadt kennenlernt, verliebt er sich sofort in sie, aber die Eltern wollen dieser Verbindung lange nicht ihren Segen geben und darum versucht der Vater, Zar Alexander III., seinen Sohn mit Liebschaften zu beschäftigen, im Moment mit der sehr jungen, begabten und ehrgeizigen Ballerina Mathilde Kshessinsksa (MichalinaOlszanska). Das klappt auch und die Szenen, wie der im Familienkreis Nicky genannte Zarewitsch der jungen Schönheit verfällt, sind prächtig in Szene gesetzt. In des Wortes sinnfälligster Bedeutung. Denn es ist ein Pracht sondergleichen, die wir nun auf der Leinwand erleben, sei es, daß Nicky für seine Geliebte im Nu Schlösser erbauen läßt, Licht- und Wasserspiele veranstaltet und alles das ausspielt, was ein autokratischer Herrscher für den eigenem Luxus dem armen geknechteten Volk abpreßt, das dafür sein Herrscherhaus mit seinem Glanz nur noch mehr liebt. Dieser Widersinn, wie Ausgebeutete den anbeten, der seinen Luxus ihnen verdankt, vermittelt der Film auch sehr deutlich – ohne Zeigefinger.
Der Film ist trotz des Aufwandes keineswegs statisch, weil ins Hauptgeschehen – erst wird Nikolaus auf die junge Tänzerin angesetzt, als das ausufert und er den Thronanspruch aufgeben und mit ihr abhauen und privatisieren will, kommt die alte Liebe zu Alix und damit die Heirat ins Spiel – zusätzliches Tempo aufkommt, weil die Ballerina beim anfänglichen Fest, wo wir sie tanzend auch kennenlernen, eigentlich ein Losgewinn war, Nikolaus sie aber kurzerhand entführt hatte und der, der sie doch eigentlich gewonnen hatte, die beiden nun verfolgt, bis zum bitteren Ende. Das eigentliche Geschehen für den Zuschauer wird nun jedoch die Diskrepanz und eigenartige Gefühlslage, die für Nikolaus eintritt, als er noch der jungen Tänzerin verfallen ist, nun aber ganz plötzlich die langwährende Verlobung mit Alix von Nickys Eltern forciert wird.
Das Hin- und Herschwanken des Zarewitsch wird nun zum eigentlichen Geschehen. Denn er liebt ja auch Alix – und Nikolaus ist ein ehrenwerter Mann. Was mich für den Film einnimmt, ist einfach das Zulassen von einander widersprechenden Gefühlen, denen Lars Eidinger exzellent das zögerliche, dann wieder eindeutige, dann wieder zurückweichende Verhalten des schwankenden Mannes gibt. Er ist gerade deshalb so gut in dieser Rolle, weil er nicht übertreibt, sondern das Diffuse seiner Gefühle uns jeweils in Haltung und Mimik eher dezent, aber deutlich vermittelt, wozu Prinzession Alix ihren Teil beiträgt. Ehrlich gesagt, fand ich die innige Beziehung dieser beiden noch viel glaubwürdiger als die angeblich große und doch pubertäre Liebe zur Tänzerin, der Nikolaus erstmal verfällt. Denn Verlieben ist leicht, geht schnell, aber eine Beziehung aufbauen, dauert eben länger und ist darstellerisch sicher schwieriger zu spielen.
Gleichzeitig – da geht es im Film etwas durcheinander – wird durch einen gräßlichen Zugunfall Zar Alexander so schwer verletzt, daß er im Frühjahr 1894 sterben wird. Es wird also erst hastig die Zarinthronisation erfolgen, der sich dann im Herbst die feierliche Hochzeit im Krönungsornat anschließt. Und wie als Vorgriff auf das böse Ende des Zarentums wird schon zur Hochzeit das große Geschenk ans Volk, die Freßpakete, zur Ursache einer Massenpanik, die Tausende von Toten fordert.
Unfair, von den vielen Nebenhandlungen zu schweigen, zu denen insbesondere die um den Hofarzt Doktor Fischel (unglaublich: Thomas Ostermeier, Intendant der Berliner Schaubühne) gehört, der in einem Großaquarium Verhaftete mit unter Wasserdrücken foltert, wo so mancher stirbt, was ihm dann selbst passiert. Das muß einfach eine Assoziation auf die Zukunft sein, wo Alix, zur Zarin geworden, dem Mönch Rasputin aus der Hand frißt und sich und das Zarenhaus beim Volk noch weiter in Mißkredit bringt. Auch Rasputin ist ja ermordet worden. Doch das Blut, das auf der Leinwand zu sehen ist, bleibt dezent, denn es geht darum, daß sich Nikolaus, der doch lange für ein ungebundenes Leben kämpfen wollte, in sein Schicksal fügt, Zar wird und Alix heiratet, wobei ihm Letzteres nicht nur leichter fiel, sondern auch lieber war, als die Konsequenz, die Zarenkrone zu übernehmen.
Doch, der Film hat was, weil er eben nicht nur ein opulentes Schauspiel bietet, das uns klar macht, warum das Volk ihren in aller Pracht lebenden Zaren davonjagte – auch wenn es nur die Bolschewiken und Menschewiken waren - , sondern auch differenziert die Gefühlslage von Herrschenden zeigt, hier dem überraschend schnell zum Zar gewordenen Nikolaus, der in vielen Verbindlichkeiten und einem Beziehungsgeflecht steckt, wo es eigentlich keinen richtigen Ausweg, auch keine richtige Entscheidung geben kann und konnte.
Nur nebenbei: schon kurios, daß wir zum 100jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution (bei uns 7./8. November) aus Rußland ausgerechnet einen Film über das Liebesleben des letzten Zaren bekommen. Leider kommen ansonsten kaum russische Filme auf unsere Leinwände. Die deutschen Kinos werden von Hollywoodfilmen überschwemmt. In diesem Kontext zeigen nun die Russen, daß sie das auch beherrschen, das große Gefühl und die äußere Pracht opulent darzustellen.
Foto: ©
Info:
Die bisherige Berichterstattung über den Film unten als Link
MATHILDE
Ein Film von Alexey Uchitel
Produzenten Alexey Uchitel, Alexander Dostman
Drehbuch Alexander Terekhov
Kamera Yury Klimenko
Genre Historischer Thriller
Land Russland
BESETZUNG
Lars Eidinger als Zar Nikolaus II
Michalina Olszanska als Mathilde
Luise Wolfram als Alix von Hessen
Danila Koslowski als Vorontsov
Sarah Stern als Pierina Legnani
Grigory Dobrygin als Prinz Andrey
Ingeborga Dapkunaite als Maria Feodorovna
Thomas Ostermeier als Dr. Fischel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir hatten schon in der letztenWoche ausführlich über den russischen Film MATHILDE geschrieben, als er ohne große Proteste zuerst in Petersburg als Premiere und dann in Moskau regulär anlief – und ein großer Erfolg wurde.
Warum dieser Film überhaupt in Rußland Proteste hervorruft, hat mit der unterschiedlichen Wertung der Hauptfigur Nikolaus zu tun, der im Verlauf des Films vom Zarewitsch zum Zar wird. Der Film beschränkt sich auf das Jahr 1894 und davor. In diesem Jahr wird Nikolaus durch den überraschenden Tod seines Vaters zum Zaren gekrönt, der in Rußland auch als Autokrat aller Russen bezeichnet wurde. Als Nikolaus II. blieb er dies bis zur Russischen Revolution vor 100 Jahren und wurde im Juli 1918 mit seiner Frau und fünf Kindern erschossen, weshalb ihn im Jahr 2000 die russisch-orthodoxe Kirche als Märtyrer heilig sprach. Ein Heiliger darf natürlich keine Liebesgeschichte mit einer Tänzerin haben, auch dann nicht, wenn diese eine Primaballerina werden wird.
Das Pikante an der Situation, die der Film nicht nur opulent, sondern in der Darstellung des Zarewitsch/Zaren durch Lars Eidinger sehr glaubwürdig auf die Leinwand bringt, ist eine doppelte Liebesgeschichte. Denn als 1884 der 16jährige Zarewitsch Prinzessin Alix von Darmstadt kennenlernt, verliebt er sich sofort in sie, aber die Eltern wollen dieser Verbindung lange nicht ihren Segen geben und darum versucht der Vater, Zar Alexander III., seinen Sohn mit Liebschaften zu beschäftigen, im Moment mit der sehr jungen, begabten und ehrgeizigen Ballerina Mathilde Kshessinsksa (MichalinaOlszanska). Das klappt auch und die Szenen, wie der im Familienkreis Nicky genannte Zarewitsch der jungen Schönheit verfällt, sind prächtig in Szene gesetzt. In des Wortes sinnfälligster Bedeutung. Denn es ist ein Pracht sondergleichen, die wir nun auf der Leinwand erleben, sei es, daß Nicky für seine Geliebte im Nu Schlösser erbauen läßt, Licht- und Wasserspiele veranstaltet und alles das ausspielt, was ein autokratischer Herrscher für den eigenem Luxus dem armen geknechteten Volk abpreßt, das dafür sein Herrscherhaus mit seinem Glanz nur noch mehr liebt. Dieser Widersinn, wie Ausgebeutete den anbeten, der seinen Luxus ihnen verdankt, vermittelt der Film auch sehr deutlich – ohne Zeigefinger.
Der Film ist trotz des Aufwandes keineswegs statisch, weil ins Hauptgeschehen – erst wird Nikolaus auf die junge Tänzerin angesetzt, als das ausufert und er den Thronanspruch aufgeben und mit ihr abhauen und privatisieren will, kommt die alte Liebe zu Alix und damit die Heirat ins Spiel – zusätzliches Tempo aufkommt, weil die Ballerina beim anfänglichen Fest, wo wir sie tanzend auch kennenlernen, eigentlich ein Losgewinn war, Nikolaus sie aber kurzerhand entführt hatte und der, der sie doch eigentlich gewonnen hatte, die beiden nun verfolgt, bis zum bitteren Ende. Das eigentliche Geschehen für den Zuschauer wird nun jedoch die Diskrepanz und eigenartige Gefühlslage, die für Nikolaus eintritt, als er noch der jungen Tänzerin verfallen ist, nun aber ganz plötzlich die langwährende Verlobung mit Alix von Nickys Eltern forciert wird.
Das Hin- und Herschwanken des Zarewitsch wird nun zum eigentlichen Geschehen. Denn er liebt ja auch Alix – und Nikolaus ist ein ehrenwerter Mann. Was mich für den Film einnimmt, ist einfach das Zulassen von einander widersprechenden Gefühlen, denen Lars Eidinger exzellent das zögerliche, dann wieder eindeutige, dann wieder zurückweichende Verhalten des schwankenden Mannes gibt. Er ist gerade deshalb so gut in dieser Rolle, weil er nicht übertreibt, sondern das Diffuse seiner Gefühle uns jeweils in Haltung und Mimik eher dezent, aber deutlich vermittelt, wozu Prinzession Alix ihren Teil beiträgt. Ehrlich gesagt, fand ich die innige Beziehung dieser beiden noch viel glaubwürdiger als die angeblich große und doch pubertäre Liebe zur Tänzerin, der Nikolaus erstmal verfällt. Denn Verlieben ist leicht, geht schnell, aber eine Beziehung aufbauen, dauert eben länger und ist darstellerisch sicher schwieriger zu spielen.
Gleichzeitig – da geht es im Film etwas durcheinander – wird durch einen gräßlichen Zugunfall Zar Alexander so schwer verletzt, daß er im Frühjahr 1894 sterben wird. Es wird also erst hastig die Zarinthronisation erfolgen, der sich dann im Herbst die feierliche Hochzeit im Krönungsornat anschließt. Und wie als Vorgriff auf das böse Ende des Zarentums wird schon zur Hochzeit das große Geschenk ans Volk, die Freßpakete, zur Ursache einer Massenpanik, die Tausende von Toten fordert.
Unfair, von den vielen Nebenhandlungen zu schweigen, zu denen insbesondere die um den Hofarzt Doktor Fischel (unglaublich: Thomas Ostermeier, Intendant der Berliner Schaubühne) gehört, der in einem Großaquarium Verhaftete mit unter Wasserdrücken foltert, wo so mancher stirbt, was ihm dann selbst passiert. Das muß einfach eine Assoziation auf die Zukunft sein, wo Alix, zur Zarin geworden, dem Mönch Rasputin aus der Hand frißt und sich und das Zarenhaus beim Volk noch weiter in Mißkredit bringt. Auch Rasputin ist ja ermordet worden. Doch das Blut, das auf der Leinwand zu sehen ist, bleibt dezent, denn es geht darum, daß sich Nikolaus, der doch lange für ein ungebundenes Leben kämpfen wollte, in sein Schicksal fügt, Zar wird und Alix heiratet, wobei ihm Letzteres nicht nur leichter fiel, sondern auch lieber war, als die Konsequenz, die Zarenkrone zu übernehmen.
Doch, der Film hat was, weil er eben nicht nur ein opulentes Schauspiel bietet, das uns klar macht, warum das Volk ihren in aller Pracht lebenden Zaren davonjagte – auch wenn es nur die Bolschewiken und Menschewiken waren - , sondern auch differenziert die Gefühlslage von Herrschenden zeigt, hier dem überraschend schnell zum Zar gewordenen Nikolaus, der in vielen Verbindlichkeiten und einem Beziehungsgeflecht steckt, wo es eigentlich keinen richtigen Ausweg, auch keine richtige Entscheidung geben kann und konnte.
Nur nebenbei: schon kurios, daß wir zum 100jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution (bei uns 7./8. November) aus Rußland ausgerechnet einen Film über das Liebesleben des letzten Zaren bekommen. Leider kommen ansonsten kaum russische Filme auf unsere Leinwände. Die deutschen Kinos werden von Hollywoodfilmen überschwemmt. In diesem Kontext zeigen nun die Russen, daß sie das auch beherrschen, das große Gefühl und die äußere Pracht opulent darzustellen.
Foto: ©
Info:
Die bisherige Berichterstattung über den Film unten als Link
MATHILDE
Ein Film von Alexey Uchitel
Produzenten Alexey Uchitel, Alexander Dostman
Drehbuch Alexander Terekhov
Kamera Yury Klimenko
Genre Historischer Thriller
Land Russland
BESETZUNG
Lars Eidinger als Zar Nikolaus II
Michalina Olszanska als Mathilde
Luise Wolfram als Alix von Hessen
Danila Koslowski als Vorontsov
Sarah Stern als Pierina Legnani
Grigory Dobrygin als Prinz Andrey
Ingeborga Dapkunaite als Maria Feodorovna
Thomas Ostermeier als Dr. Fischel