Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. November 2017, Teil 4
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In einem Casting entscheidet sich sofort...Ja, was eigentlich? – Diese Härte aufzulösen und ihr eine relativ menschliche Wendung zu eröffnen liefert den Hintergrund für einen Film um Gerwin (Andreas Lust). Er entwickelt sich unvermittelt vom Proben-Anspielpartner zum männlichen Hauptdarsteller. Jede Phase der Entwicklung wird zwischenzeitlich zerredet und vom Sockel gestoßen, aber am Ende gelingt der Film doch. Künstlerische Prozesse sind tatsächlich nicht leicht nachvollziehbar.
Allzu sehr geht es nicht um das Remake des Fassbinder-Klassikers. Allein das leidenschaftlich Dramaturgische der Fassbinderschen Vorarbeit wird zum Ferment der Filmarbeit. Denn ähnlich turbulent und spannungsgeladen muss es auch im Set von Fassbinder zugegangen sein. Hinzu kommt die gestochene Sprache, die den Film zu einem späteren Zeitpunkt von den Probephasen abzulösen anfängt. Man merkt dann: jetzt geht es ums Ganze.
In der Art des Machens und im Kenntnisreichtum der Herausarbeitung ist der Film aus dem Nähkästchen einer schillernden Branche heraus geschaffen. Professionalität alleine reicht nicht, ein Film muss regelmäßig, damit er gelingt, umgedacht, umgeformt, neu ausgerichtet werden. Dazu bedarf es schöpferischer Prozesse, die auch mal chaotische Turbulenzen annehmen.
Rasante Szenefolgen und Komödie garantiert
Der Film ‚Casting‘ ist eine Komödie, es darf gelacht werden, obwohl das Lachen auch in einem schon mal stecken bleiben kann. Wie der Prozess des Filmmachens an den Nerven zerrt, erlebt der Zuschauer mit – er konnte es sich ohnehin schon denken. Aber ähnlich dürften die meisten künstlerischen Prozesse ablaufen.
Hauptdarsteller Kostja (Tim Kalkhof) sprang ab, das wird zur Chance für Gerwin, den Helfer. Er arbeitet sich Stück für Stück nach vorn in der Hierarchie, wird zum Anchorman des Filmdrehs, das Leitungs-Set wird zu Nebenfiguren herabgestuft, die mit Befindlichkeiten hadern und mit sich selbst nicht ganz zurechtkommen. Und regelmäßig miteinander ins Streiten verfallen. „Ich bin nicht hysterisch - ich leide“. Die Filmarbeit wird zum Härtetest, Gerwin wird zum Retter des Drehs und Vera, die rigide Regisseurin, kriegt sich auch wieder ein. Am Schluss löst sich alles Widrige in Luft auf, die Takes folgen Schlag auf Schlag – und schon ist der Film doch noch gemacht.
Die Schauspielkunst macht das Spielen der Weltverhältnisse glaubhaft
Der Film hatte kein Drehbuch, es gab nach Auskunft des Regisseurs keine vorgeschriebenen Dialoge; wiederholte Male wurde eine Stunde improvisiert, der Film spielt also sich selbst. Ein wenig sei es wie bei einer Theaterprobe gewesen. Es ging darum, den Moment, der entscheidet, einzufangen.
In aufreibenden Dialogen kommt es zu verbalen Schlagabtauschen, die an das Kunstgeschwätz der Kunstrezeption erinnern. Das Private, Allzumenschliche spielt sich in den Mittelpunkt. Dieses wird selbst zum Plot der Filmgeschichte. Und zwar in nicht geringem Maß. Die Streitszenen geben Gelegenheit, sich über eine künstlerische, verfehlte Wohngemeinschafts-Atmosphäre, in der ausgeteilt wird, reichlich zu amüsieren. Diese treibt nolens volens den Zeugungsprozess voran, droht ihn zuweilen aber auch zu vereiteln, aufgrund der Bereitschaft, alles zu sprengen.
Allein, das scheint nötig gewesen zu sein, um zu Klärungen zu gelangen, Rivalitäten und Differenzen auszuhandeln und Prozesse abzuklären. Kunst ist nicht im vorhinein kalkulierbar. Differenzen müssen fiktiv gemacht, vorausgeahnt und ausgemittelt werden.
Der Ahnherr des Films: Fassbinder
Fassbinders Klassiker handeln von Leidenschaft, Zerwürfnis und Neuvermählung. Das Schaffen Fassbinders ist von den klassischen Abhängigkeits- und Machtverhältnissen, insonderheit vom klassischen Verhältnis der Geschlechter, innerhalb leidenschaftlich menschlicher Beziehungen, getrieben. Es geht um Eindeutigkeit und Bi, mithin auch um Nicht-Eindeutigkeit, das Trans. Das waren Anstöße und Impulsgebungen, die ihn umtrieben. Er war sensibel, aber auch ein Mann von Triebnatur. Er hat diametrale Bereiche vorgegeben – Themen, die eine Welt antreiben.
Hervorragende Besetzungen sind Vera (Judith Engel), die Regisseurin; Annika (Andrea Sawatzki), die abgelehnt wird und Tamara (Victoria Trauttmannsdorff), die zur weiblichen Hauptdarstellerin aufsteigt. Die Rollenbesetzung kam prozessual zustande.
FAZIT: Remake um den Fassbinder-Klassiker ‚Die bitteren Tränen der Petra von Kant‘ - Hintergrund für ein Drama um das Set. Film ‚Casting‘ (Nicholas Wackerbarth) wird ein Proben-Anspielpartner zur Hauptfigur
Foto: © © movieplot.de
Info:
Der Film ‚Casting‘ läuft ab 2.11.2017 in den Kinos