f teheran1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. November 2017, Teil 11

Filmheft

Köln (Weltexpresso) - Wie ist das Projekt entstanden? Gab es eine bereits existierende Vorlage?



TEHERAN TABU ist ein Originaldrehbuch, das nicht auf einem Roman basiert. Die Idee entstand vor ein paar Jahren, als ich in der U-Bahn ein Gespräch von zwei jungen Iranern mitgehört habe, die über ihre Erfahrungen mit Mädchen gesprochen haben. Sie erwähnten eine Prostituierte, die ihr Kind mit zur Arbeit gebracht hat. Das stimmte mich nachdenklich in Bezug auf das Thema Sexualität im Iran. Ich begann in sozialen Medien zu recherchieren und analysierte meine eigenen Erinnerungen – wie mit solchen Belangen umgegangen wurde, als ich selbst Teenager oder in meinen Zwanzigern war. Daraus entwickelte sich die Geschichte.


War das Projekt von Anfang an als Animationsfilm geplant?

Ursprünglich war das nicht geplant. Für mich war das wichtigste, dass die Geschichte funktioniert. Für dieses Projekt war es ein Problem, die richtigen Locations zu finden, wenn es ein Live-Action Film hätte werden sollen. Teheran selbst war aus offensichtlichen Gründen keine Option. Ich habe ein paar Filme gesehen, die stattdessen in Marokko oder Jordanien gedreht wurden, aber das war nicht sehr überzeugend. Nach vielen Diskussionen und Versuchen entschieden wir uns für die Rotoskopie-Technik als beste Option.


Erzähl uns von deiner Beziehung zum Iran.

Ich bin im Iran geboren und habe dort gelebt bis ich 25 war. Ich bin der einzige in meiner Familie, der nicht mehr dort lebt. Als die Islamische Revolution begann, war ich neun. Ich bekam die Folgen zu spüren, als plötzlich Jungen und Mädchen in der Schule getrennt wurden. Das war die erste von vielen traumatischen Erfahrungen. Mit 25 wanderte ich aus und seit 1995 lebe ich in Deutschland. Natürlich liebe ich den Iran und meine Landsleute, die wis- sen, was es heißt Not und Unterdrückung zu ertragen. Seit ich den Film gemacht habe, ist meine Beziehung zum Iran wieder intensiver geworden.


Welche gesellscha liche Atmosphäre herrscht derzeit im Iran? Kannst Du uns etwas über die Tabus erzählen, die im Titel des Films an- gesprochen werden?

Mit diesem Film wollte ich das Schweigen brechen, das im Iran allgemein üblich ist. Ich würde behaupten, dass Tabus zu brechen ein Weg ist, um gegen Unterdrückung zu protestieren. Im Iran ist der Alltag von gesetzlichen Verboten und moralischen Einschränkungen geprägt. Wenn Sexualität streng reglementiert wird, können Menschen sehr erfinderisch werden, um diese Tabus zu umgehen. Iraner sind kreative Menschen und lernen schnell mit Verboten umzugehen und Einschränkungen zu umgehen. Es gibt Orte ohne Regeln. Um die öffentliche Prüderie zu kompensieren, kann das Privatleben schnell ins Verbotene abgleiten - in Bezug auf Sex, Alkohol und Drogen. Ein Mangel an Freiheit begünstigt ein Leben mit Doppelmoral. TEHERAN TABU konzentriert sich auf diese Doppelmoral, die zu vielen gesellschaflichen Komplikationen führt, sich aber auch in absurden, ofmals komischen, Situationen widerspiegelt.


Kannst Du uns etwas über die Atmosphäre der Heimlichtuerei und Paranoia erzählen, die im Film oft thematisiert wird?

In den Wohnvierteln der Mittelklasse, wo TEHERAN TABU spielt, sind die Einschränkungen gesetzlicher Natur. Sie sind aber auch in den Köpfen der Menschen verankert. Die Familienehre hat im Iran mehr Bedeutung als in Europa. In der iranischen Gesellschaft sind soziale Kontakte sehr wichtig und spielen eine große Rolle, wenn man erfolgreich sein möchte. Ein Individuum und seine ganze Familie können ihre Ehre wegen einer außerehelichen Beziehung verlieren. Ins Gefängnis zu müssen oder Strafe zu zahlen ist nicht halb so schlimm, wie wenn Informationen durch die Polizei an die Öffentlichkeit kommen. Das bedeutet nämlich, dass all deine Bekannten, all deine Nachbarn über dein „Verbrechen“ Bescheid wissen. Für dich und deine Familie ist das der komplette Verlust der Ehre.


Die Frauen spielen in der Geschichte deines Films eine zentrale Rolle. Erzähl uns etwas über die weibliche Bevölkerung des Iran und welche Rolle sie zurzeit in der Gesellscha spielen.

Das Bild, dass die westliche Bevölkerung vom Iran hat ist immer sehr verzerrt und voller Klischees. Es ist geprägt durch Stereotypen, die von „1001 Nacht“ bis zum nuklearen Disput mit dem strengen islamischen Regime reichen. Aber die Realität, die man auf den Straßen Teherans erlebt ist vielfältiger. Frauen im Iran haben oft einen besseren Bildungsgrad als Männer und eine viel sichtbarere Rolle im täglichen Leben als in vielen anderen Islamischen Ländern, wie z.B. Saudi Arabien. Aber es gibt nicht die eine moderne iranische Frau. Es gibt viele Typen, von der religiösen Fundamentalistin bis zur westlich geprägten Feministin. Natürlich hat letztere nicht die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Mein besonderes Interesse galt der Rolle der Frau im gesellschaflichen Spiel der Tugenden. Sie sind diejenigen, die am meisten leiden. Von Frauen wird grundsätzlich erwartet, dass sie sich selbst und ihren Kindern Regeln und Tabus auferlegen, die ihre Freiheit und die der nächsten Generation eingrenzen.


Erzähl uns von deinen Charakteren und der Stimmung, die sie dem Film verleihen.

Ich glaube, dass überall auf der Welt die Menschen und ihre Träume dieselben sind. Nur die Umstände sind anders. Jedes Publikum überall kann sich wahrscheinlich mit den Charakteren identifzieren. Auf die eine oder andere Weise leiden sie alle unter den Tabus sexueller Beziehungen und den Ein- schränkungen der iranischen Gesellschaft. Sie sind Opfer, aber gleichzeitig auch Täter. Keiner im Film ist einfach gut oder böse. Ein Charakter kann durch seine Taten abstoßend wirken; die selben Taten aber werden nachvollziehbar, wenn wir seine Hintergrundgeschichte erfahren. Zu weiten Teilen nimmt der Film die Sichtweise eines kleinen Jungen ein. Da ich keinen zu dunklen Film machen wollte, entschied ich mich, die optimistische, hoffnungsvolle und farbenfrohe Perspektive zu übernehmen, mit der die meisten Kinder die Welt betrachten.


Wie sah der technische Prozess bei der Herstellung der Filmes aus?

Nachdem wir das Storyboard und die Castings beendet hatten, wurde mit echten Darstellern in einem Green Screen Studio gedreht. Der erste Schritt im Animationsprozess ist die sogenannte Pre-Visualisierung. Allein auf Basis des Green Screen Materials konnten wir nicht in den digitalen Bearbeitungsprozess gehen; wir mussten Platzhalter für die Hintergründe kreieren. Nachdem die Pre-Visualisierung fertig war, haben wir mit dem eigentlichen Animationsprozess begonnen. Wir erstellten die nalen Hintergründe (eine Kombination aus 3D-Elementen und gemalten Bildern) und die Charaktere getrennt voneinander. Schließlich haben wir alle Elemente in der Compositing-Phase zusammengefügt. Der Animationsprozess dauerte dreizehn Monate und mehr als vierzig Künstler haben an dem Projekt mitgearbeitet.


Wirst du weiter im Bereich Animation tätig sein oder siehst du dich selbst auch als Regisseur von Live-Action Filmen?

Ich fühle mich sicher in der Welt der Animation, aber ich kann mir auch vorstellen Live-Action Filme zu drehen. Schließlich habe ich bei TEHERAN TABU auch intensiv mit Schauspielern gearbeitet. Es kommt stark auf die Geschichte an. Wenn Live Action die Geschichte besser erzählt, würde ich keinen Animationsfilm erzwingen.

Foto: ©

Info: 
Besetzung: 

Elmira Razadeh (Pari)
Zar Amir Ebrahimi (Sara)
Arash Marandi (Babak)
Negar Mona Alizadeh (Donya)