Lida Bach

„Ich weiß nicht, warum du das tust.“, stammelt der Jugendliche zu dem grauhaarigen Mann, mit dem er und seine Kumpanen aneinandergeraten sind. Niemand weiß, warum Joseph es tut. Paddy Considine, der in „Tyrannosaur“ nicht spielt, sondern sein kraftvolles Debüt als Regisseur in die Leinwand haut, weiß es nicht. Peter Mullan, der sich die Rolle der beängstigenden und angstvollen Hauptfigur wie eine zweite Haut anzieht, weiß es nicht. Der von Josephs unerwarteter Sanftheit bewegte und seiner plötzlichen Rohheit abgestoßene Betrachter weiß es nicht. Nur um eines gewiss: Wut.

 

Unablässig gärt sie in Josephs Innerem. Wenn er am Bankschalter sein Geld abholt und den pakistanischen Angestellten provoziert. Wenn er im Pub vor seinem Bier sitzt und sich mit einer Gruppe junger Billardspieler anlegt. Wenn er aus der Kneipe betrunken auf die nächtlichen Straßen taumelt und auf seinen Hund losgeht. Dieser erste Gewaltakt steht am Beginn des in schäbige und freudlose Farbpalette getauchten Abstiegs in eine menschliche Hölle. Von all den physischen und emotionalen Brutalitäten, die noch folgen, ist die nur angedeutete Szene am schwersten erträglich.

Die emotionale Versehrung, welche seine Ausbrüche ihm selbst zufügen, presst er mit den Obszönitäten hervor, mit denen alle Figuren ausdrücken, dass sie eint: Wut.

 20:37 09.10.2011

„Mein bester Freund stirbt an Krebs. Ich habe meinen Hund getötet. Ich bin im Arsch.“ Schmerzen, nennt es Hannah (Olivia Colman), als sie für ihn betet. Verlorenheit. Darin finden sich der verbitterte Trinker und die tiefgläubige Verkäuferin, die einander zu lieben beginnen, nicht physisch oder romantisch, sondern als zwei Verwundete, die sich im anderen wiedererkennen. Joseph sucht nicht nach Gott, nach Nächstenliebe oder Güte, sondern einem Anlass, seinen Zorn auszuleben. Und er findet ihn. Jedes mal. Die Rauheit und Unzugänglichkeit der schmerzlichen Liebesgeschichte ähnelt der des Mensch, den es ein Stück seines Weges begleitet. In den von ruhiger Präzision getragenen Szenen zittert das Gefühl, das die gegensätzlichen Protagonisten zu zwei einander spiegelnden Taten treibt: Wut.

 

„Ich komme in die Hölle.“, flüstert der sterbende Freund auf dem Totenbett, ohne zu ahnen, dass er schon dort ist.  Das meisterliche Figurenporträt, dessen Rigorosität und Drastik einem die Kehle zuschnürt, maßt sich nicht an zu zu belehren oder zu urteilen. Seinen unerbittlichen cineastischen Blick senkt Considine in eine düstere Seele, die zum Spiegel geworden ist für die düstere Welt, die sie umgibt. „Ich habe ich meiner Umgebung angepasst.“, sagt Joseph einmal. Grausamkeit ist darin nur „Eine alte Gewohnheit“, die Sicherheit und Vertrautheit erzeugt. Und Wut.

 

Oneline:Tag des Zorns und Zeit der Zärtlichkeit.

 

 

Titel: Tyrannosaur

Land/ Jahr: Großbritannien 2011

Laufzeit: 89 Min.

Regie: Paddy Considine

Drehbuch: Paddy Considine

Kamera: Erik Wilson

Schnitt: Pia Di Ciaula

Musik: Dan Baker, Chris Baldwin

Darsteller: Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan, Paul Popplewell, Ned Dennehy, Sally Carman, Sian Breckin, Samuel Bottomley, Lee Rufford

Verleih: Kino Kontrovers

Kinostart: 13. Oktober 2011