Lida Bach
Auf einem der Berge hat ein Drachen gelebt. Eine ganze Schafherde hat er verschlungen und den Hirten dazu, doch als ihm von dem Raubmahl der Magen schmerzte, würgte er sie wieder aus. Von dem Ungeheuer tragen die zwei Berge in der Ferne ihre Namen: „Schlucker“ und „Würger“. Die imposanten Felsbrocken, von deren Namensgebung Dumitru Stanciu bei der Schafschur seinem Sohn Radu erzählt, umrahmen die karge Szenerie von Titus Faschinas Lebens- und Naturdokumentation.
„Dem Himmel ganz nah“ nennt der Regisseur und Autor die zerklüftete Landschaft des transsilvanischen Karpatenbogens, in der er eine uralte Lebenstradition beobachtet. Die Hirtenkultur, zu deren letzten Vertretern Maria, Dimitru und ihr 16-jähriger Sohn zählen, ist im Verschwinden begriffen. Mit dem Lebenslicht des alten Paares wird wohl auch ihr Brauchtum verlöschen. Es gibt kaum eine Chance, kaum Hoffnung mehr. Resigniert spricht der Schäfer die Worte, während sein Blick die Landschaft abmisst. „Hinter den Bergen“ bedeutet dessen Name, aus dem die fühlbare Entrückung des von dunklen Wäldern und kahlen Gesteinsbrocken geprägten Landstrichs klingt.
Der Titel der in schwarz-weiße Poesie gekleideten Doku sublimiert diese Abgelegenheit zu Gottesnähe. Seine Hand habe er segnend aufgelegt, wo die Karpaten erstanden, besagt eine der Legenden, die in der mythischen Naturkulisse zu Hause sind. Volksglaube und Aberglaube verschmelzen mit Bildungsarmut und strikter Rollenteilung, Isolation und von erschöpfender Härte geprägter Monotonie zu subtiler Überhöhung. Dass nicht nur Traditionsverbundenheit, sondern Abschottung durch den Eisernen Vorhang verschweigen die stummen Szenen im Rhythmus der Jahreszeiten wie Entbehrung und Rückständigkeit, die ihre Spuren an den Protagonisten hinterlässt. 52 Jahre ist Maria; ihr Aussehen ist das einer Greisin.
Kaum lächeln sie und ihre Familie, die gegenüber den Einzelaufnahmen der Dorftristesse lebende Anachronismen erscheinen. Naturverbundenheit und Einklang, nach der sich die westliche Mentalität sehnt, werden greifbar zum Preis der Romantisierung, die ein Leben „Dem Himmel ganz nah“ im schlichten Schwarz-Weiß der Kameraaufnahmen skizziert.
Oneline: Dokumentarische Reise zu den Lämmern Gottes.
Titel: Dem Himmel ganz nah
Land/ Jahr: Deutschland, Rumänien 2010
Regie: Titus Faschina
Drehbuch: Titus Faschina
Kamera: Bernd Fischer
Schnitt: Martin Eberle
Musik: Alexander Balanescu
Darsteller: Maria Staniciu, Dimitru Stanciu, Radu Stanciu
Verleih: GMFilms
Kinostart: 13. Oktober 2011