Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. Dezember 2012, Teil 2

 

Romana Reich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Stimmt, auch diese Woche sind die Kinos voll mit Filmen, die einmal Literatur waren. Von Cäsar über Jesus bis zum Tiger und in der nächsten Woche Ritter Rost, sind die ideenreichen Vorlagen Dramen und Romane, dort vor allem die spätmittelalterlichen Ritterromane, deren heutige Fortsetzungen meist in Vampir- oder Außerirdischenfilmen ausarten.

 

CÄSAR MUSS STERBEN

 

Ein Film zum Verlieben. Ein Film, um sich in Schwarz-Weiß-Filme zu verlieben und in zwei alte Männer, die als Regisseure Taviani nichts anderes machen, als ein Vorhaben abzufotografieren, das dadurch wie Wirklichkeit erscheint, obwohl es etwas kunstvoll Ausgedachtes ist und dennoch wahr. Ja, wie nun? Ganz einfach.

 

Es gibt immer wieder diese pädagogisch-psychologischen Unternehmungen, in Strafgefangenen so etwas wie Einkehr, Umkehr auch dadurch zu erzielen, daß sie sich ihrer eigenen Rolle als Verbrecher entledigen können und in eine andere Haut schlüpfen, um von da aus, vielleicht auch sich und ihr eigenes Leben, speziell das jetzt im Gefängnis, von außen und daher anders zu sehen. Das pädagogische Vorhaben einer Theateraufführung also ist real und auch der Hintergrund dieses Hochsicherheitstrakts in Rebibbia am Rande Roms, wo die Schwerstverbrecher einsitzen, ist Wahrheit.

 

Dann allerdings kommt die Filmkunst hinzu. Denn das, was abfotografiert wird, ist die nachgestellte Wirklichkeit mit einerseits den originalen Gefangenen, dann aber auch denen, die als Ehemalige inzwischen in Freiheit sind oder wie im Fall des Regisseurs im Film mit demjenigen, der auch in Wirklichkeit schon zehn Jahre lang die Theateraufführungen in Rebibbia geleitet hat. Wir werden sanft durch das Geschehen geleitet, das erst einmal mit dem Schlußapplaus ob einer dramatisch zugespitzten und geglückten Aufführung von JULIUS CÄSAR von William Shakespeare beginnt, das dieser im Jahr 1599 schrieb und das inhaltlich von seiner Brisanz von Macht und Verrat und Gewalt nichts eingebüßt hat. Übrigens der Anfang in Farbe und erst einmal noch ohne jegliche Kenntnis, was uns erwartet.

 

Diese gewinnt man schnell und begleitet dann in nur 76 Minuten die Probenarbeit, vor die die Auswahl der Personen und die Besetzungen der verschiedenen Rollen vorgeschoben sind. Sehr eindrucksvoll eigentlich alle diese harten, alten, düsteren, schwergewichtigen Männer – um Frauen geht es nicht – und im besonderen der wendige Brutus, der Mörder, den Dolch im Gewande. Der heißt Salvatore Striano und ist vor sechs Jahren aus dem Strafvollzug entlassen worden, Schauspieler geworden und nur zu den Filmaufnahmen nach Rebibbia zurückgekehrt, ein Motiv, das uns schon wieder wie der Keim eines neuen Filmes vorkommt – irgendwie märchenhaft und gleichzeitig freudianisch. Hier muß nichts Verdrängtes wiederkommen, sondern hier ist es die Schauspielerei, die einen freien Mann einen Strafgefangenen spielen läßt, der der Brutus des Alten Roms darstellt.

 

Uns ging es beim atemlosen Zuschauen weniger um die These, daß kreativ sein zu dürfen, die verbrecherischen Energien in andere Bahnen lenken könnte, sondern um diese Semi-Dokumentation, diesen Authentizität vorspielenden Film, der einen in den eigenen Sinnen ein Gefängnis und solche Inszenierung mit Gefangenen sehr viel authentischer vorkommen läßt, als es die Abfilmerei von Wirklichkeit sein könnte. Man erlebt die potentielle Gewalttätigkeit dieser Figuren, was beim Auf- und Abgang von den Proben (Schauspieler) in die Zellen (Gefangene) ein und derselben Person virulent wird, derart körperlich, daß man sich im Kinosessel zusammenduckt, wenn beim Ende der Proben die harten Kerle wieder zuschlagen wollen, die im Stück allen Frust und alle Lust auf das Stück selbst lenkten. Und seien wir ehrlich: während uns die Shakespearesche Sprachgewalt ins Hirn, ins Gemüt und ins Herz gepoltert wurden, haben wir uns wieder einmal in die theatralische Wucht der Worte Shakespeares verliebt. Der Mann konnte Stücke schreiben! Daß die Gefangenen von ihrem eigenen Spiel so fasziniert sind, hat eben auch mit dem Stückeschreiber zu tun. Und so verliebt man sich unversehens auch in die Sprachgewalt eines Stückes, das zum klassischen Kanon gehört. Auch deshalb Dank an die Tavianis.

 

 

 

INFO:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/1143-freitag-30-november-bis-montag-10-dezember

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/453-den-goldenen-baeren-erhalten-paolo-a-vittorio-taviani-fuer-cesare-deve-morire

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/450-eine-starke-berlinale

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/426-cesare-deve-morire-caesar-muss-sterben