f isle1Der Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 1a

N.N.

Berlin (Weltexpresso) – ISLE OF DOGS - ATARIS REISE, der neunte Spielfilm und zweite Stop-Motion-Animationsfilm von Autorenfilmer Wes Anderson, ist eine epische Abenteuergeschichte, die im Japan der nahen Zukunft spielt – einem Land im Griff einer Hundekrise und erfasst von einer Anti-Hunde-Massenhysterie.
Auf einer abgeschiedenen, schwimmenden Müllkippe, genannt Trash Island, entdeckt ein räudiges Rudel von verbannten und im Überlebenskampf zusammengeschweißten Hunden etwas überaus Erstaunliches: ein Flugzeugwrack mit einem kleinen menschlichen Bruchpiloten – der mit den verlassenen Hunden zu einer lebensverändernden Mission aufbricht.

Ihre gemeinsame Odyssee ist von Humor, Action und Freundschaft erfüllt. Doch diese Reise ist zugleich eine Verbeugung vor der epischen Größe und Schönheit des japanischen Filmschaffens, vor dem Edelmut und der Treue von Haustierhunden, vor dem Mut machenden Heldentum der Schwachen und Übersehenen; und er ist eine Absage an die Intoleranz. Vor allem aber ist er eine Hommage an die unverbrüchliche Zuneigung zwischen Jungs und ihren Hunden, Auslöser unzähliger gemeinsamer Abenteuer.

Alles begann mit jenem seltsamen, aber umso vielversprechenderen Mix von Themen, von denen Anderson und seine Mitautoren Roman Coppola, Jason Schwartzman und Kunichi Nomura gleichermaßen fasziniert waren: Hunde, die Zukunft, Müllkippen, Kindheitsabenteuer, und japanische Filme. Und letzteres war ausschlaggebend. Tatsächlich ist ISLE OF DOGS – ATARIS REISE ebenso dem filmischen Erbe des Geschichtenerzählers Akira Kurosawa wie der filmischen Tradition der Stop-Motion-Animation verpflichtet. 

Anderson sagt: „Kurosawa erarbeitete seine Geschichten und vollzog den Feinschliff seiner Drehbücher gemeinsam mit einem kleinen Team von Co-Autoren. Dies ist auch im italienischen Kino sehr gebräuchlich: Filme, die im Schreibzimmer gemeinsam entwickelt werden; wie bei einer Fernsehserie. Und wir haben diese Methode auf unsere Weise aufgegriffen.” Ausgehend von einem traumähnlichen Gedankenblitz wuchs die Geschichte mit der atemberaubend detailreichen Erschaffung von Megasaki City über die Müll-Landschaften von Trash Island, bis hin zu jenem schrägen, aber hoffnungsfrohen Ensemble pelziger und menschlicher Underdogs.

„Wir hatten etwas irgendwie Futuristisches im Sinn. Wir wollten ein Rudel Alpha-Hunde, von denen jeder ein Leithund ist. Und sie sollten auf einer Müllhalde leben“, erkärt Anderson. „Das japanische Gepräge ist einzig unserer Liebe zum japanischen Kino geschuldet. Wir lieben Japan, und wir wollten unbedingt etwas machen, dass von japanischen Filmen inspiriert ist. Und im Ergebnis führte dies dazu, dass wir den Hundefilm mit dem Japan-Film kombinierten.“ 

Die Handlung mit ihren mitteilsamen Hunden, pelzigen femme fatales, einem Kinderpiloten, einem furchtlosen Schulreporter, mutierenden Viren, einer mythischen Insel und der sukzessiven Aufdeckung eines riesigen menschlichen Fehlers, entwickelte sich so nach und nach, begleitet von ungezählten Tassen Tee. Roman Coppola beschreibt den ungeordneten Charakter dieses Prozesses folgendermaßen: „Es wird gescherzt, diskutiert, und dann, wenn sich etwas stimmiges dabei herausschält, macht Wes eine Notiz in seinen Notizbüchern. Jason sagt vielleicht etwas, bei dem eine Idee aufblitzt, oder ein Stück Dialog. Und manchmal übernehmen wir auch die Rollencharaktere. Das haben wir zum Beispiel oft in THE DARJEELING LIMITED („Darjeeling Limited“, 2007) durchexerziert, weil es drei Charaktere gab und wir zu dritt waren. Dann gibt es eine Reifeperiode, in der wir Material zusammentragen, und dann eine weitere Phase, in der wir mit dem Schreiben beginnen. Und da es sich um einen Animationsfilm handelt, wird auch während der ganzen Produktionszeit am Drehbuch weitergeschrieben.“

Anderson mag es, wenn der Schreibprozess stets offen für etwas Neues ist. Er sagt: „Alles ändert sich ständig, und wenn wir am Ende angelangt sind, arbeiten wir es noch einmal von vorne durch.“ Schwartzman ergänzt: „Man ist ständig dabei, etwas zu entwerfen, zu ändern, und neu zu denken. Doch jener Stapel von Ideen, der von Anfang an da war, bleibt, weil diese Ideen irgendwie in sich stimmig sind.“

Das so entstandene Drehbuch spinnt in gewisser Weise das klassische Garn vom Außenseiter (der kleine Pilot) weiter, der ein neues Land entdeckt (Trash Island). Es verläuft zugleich analog zum zeitlosen Märchen von, in diesem Falle buchstäblichen, Underdogs, die sich starrsinnigen Unterdrückern widersetzen. Doch die eigentliche Magie entspringt den Details – etwa dem Charme, der Beschaffenheit und Vorgeschichte eines jeden Hundes, der kunstvoll aus Abfällen gebauten Architektur von Trash Island. Und der Idee, dass ein Kind auf der Suche nach seinem treuen Haustier eine Verkettung weltbewegender Veränderungen in Gang setzt.

Produzent Jeremy Dawson schildert, wie das Design dieses Films mit seinen extremen Herausforderungen (selbst gemessen am Maßstab von Anderson, der bekanntermaßen stets verwirrend komplexe Sets kreiert) den Regisseur schließlich dazu brachten, ihn als Stop-Motion-Film zu konzipieren. Es schien einfach die einzig passende Form zu sein für die Darstellung von emotional gewandten, wenn auch abgerissenen Hunden und für eine japanische Insel, die mit sonderbaren, komischen und auch unheilvollen Hinterlassenschaften der Gesellschaft überhäuft ist.

„Wenn Wes die Möglichkeiten gehabt hätte, einen Live-Action-Film zu drehen, hätte er es sicher gemacht“, überlegt Dawson, „doch man hätte es einfach nicht machen können. Es geht um sprechende Hunde, aber es 7 handelt sich nicht um einen Cartoon, sondern um einen Film. Ich glaube, dass hier die Grenzen dessen überschritten werden, was Menschen vom Medium Film glauben erwarten zu können.“

Tatsächlich gab es in dem über hundertjährigen Evolutionsprozess von Stop-Motion-Animation mehr künstlerische als technische Weiterentwicklungen. In den grundlegenden Dingen hat sich wenig verändert. Zwar haben Digitalkameras und Computer die Arbeit der Animatoren beträchtlich erleichtert. Dennoch ist das Filmen der winzigen dreidimensionalen Objekte, die, Bild für Bild, in Bruchteilen von Millimetern bewegt werden, immer noch ein äußerst mühevoller Prozess – und zugleich eine Methode, die dennoch eine spürbar lebensechte Darstellung generiert. Die größten Veränderungen der Form sind also inhaltlich bedingt, nämlich durch die Art wie die Geschichten erzählt werden, und bei der mittels der erzählerischen Fantasie die Grenzen des technisch Machbaren immer weiter verschoben werden.

Viele Jahrzehnte vor dem Aufkommen der Computeranimation war Stop-Motion vorrangig ein Handwerk zur Herstellung von Spezialeffekten. Von Jean Cocteaus BEAUTY AND THE BEAST („Es war einmal“, 1946) über KING KONG („King Kong und die weiße Frau“, 1933) bis zu George Lucas’ erstem STAR WARS-Film („Krieg der Sterne“, 1978) galt Stop-Motion als erstes Mittel der Wahl, um das eigentlich Unmögliche sichtbar zu machen. Gerade in den letzten Jahren traten Stop-Motion-Langspielfilme wieder in den Vordergrund, von Tim Burtons Pionierarbeit THE NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS („Nightmare Before Christmas“, 1993) über Wes Andersons FANTASTIC MR. FOX („Der fantastische Mr. Fox“, 2009) bis kürzlich zu KUBO AND THE TWO STRINGS („Kubo – Der tapfere Samurai“, 2016).

ISLE OF DOGS – ATARIS REISE präsentiert nun eine weitere Variante: eine Geschichte, in der eine völlig neue Welt erschaffen und dabei mit den bisherigen Konventionen der Animation gebrochen wird – eine Geschichte, die, so Dawson, mit all den Themen, Inspirationen, emotionalen Facetten und abenteuerlicher Kühnheit vielleicht Andersons bisher ambitioniertestes Filmprojekt darstellt. Die sonderbaren Puppen hauchen diesem Universum aus Mikrokulissen Leben ein: unwillkürlich beginnt man sich mit diesen Sinnsuchern mit kalten Schnauzen und ihrer Suche nach ihrer Bestimmung zu identifizieren. Es fühlt sich an wie ein schrulliges Märchen, aber eines, das von wahrhaftigen Anliegen erzählt, von den großen und kleinen Sorgen, die das moderne Leben mit sich bringt. Es geht um Freundschaft, Familie, die Zukunft der Menschheit – und darum, sich zusammenzuraufen, um alles wieder auf die Reihe zu bekommen.

Anderson und sein Team stellten ein facettenreiches Stimmen-Ensemble zusammen – Künstler, Rockmusiker, Modedesigner und, natürlich, auch Schauspieler. Alle japanischen Schauspieler, die Menschen vertonen, sprechen japanisch (mit englischen Übersetzern und gelegentlichen Untertiteln); die englischsprachigen 8 Darsteller vertonen vorrangig die Hunde. Und wie immer, wenn Hunde und Menschen aufeinander treffen: Man versteht nicht die Worte des Gegenübers, aber fühlt dennoch eine tiefe, beständige Freundschaft.

So Komponist Alexandre Desplat, der mit diesem Film seine vierte Zusammenarbeit mit Anderson feiert: „Dieses Projekt ist eine große, eine riesige Bestie, hier passiert so viel. Es ist noch ehrgeiziger als FANTASTIC MR. FOX („Der fantastische Mr. Fox“, 2009), so etwas hat man noch nie zuvor gesehen. Die Animation ist atemberaubend, und die Fülle an Details, die in jede Einstellung gepackt wurden, umwerfend. Es ist eine wunderschöne Fabel, eine Welt für sich, und sie entführt den Zuschauer in ein Universum, wie man es sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können.“ 

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© Verleih

Info:

Die Rollen und ihre Darsteller
Die Bürger von Megasaki City
Atari Kobayashi (Koyu Rankin): Pflegesohn im Haus des Bürgermeisters. Jung-Pilot auf der Suche nach seinem Hund
Bürgermeister Kobayashi (Kunichi Nomura): Der korrupte Bürgermeister von Megasaki City. Major Domo (Akira Takayama): Bürgermeister Kobayashis Assistent und Helfershelfer
Tracy Walker (Greta Gerwig): Amerikanische Austauschstudentin. Verschwörungstheoretikerin und HundeAktivistin
Professor Watanabe (Akira Ito): Kandidat der Wissenschaftspartei, sucht ein Heilmittel für die Hundegrippe
Wissenschaftler-Assistentin Yoko-Ono (Yoko Ono): Professor Watanabes wissenschaftliche Assistentin
Dolmetscherin Nelson (Frances McDormand): Übersetzerin; lässt sich von der Entwicklung des Hundedramas emotional anstecken
Herausgeber Hiroshi (Nijiro Murakami): Herausgeber der Studentenzeitung The Daily Manifesto. HundeAktivist
Chirurg (Ken Watanabe)
Auntie (Mari Natsuki)
Nachrichtensprecher (Yojiro Nada)
Simultan-Übersetzungsmaschine (Frank Wood) und Courtney B. Vance (Erzähler)

Die Hunde von Trash Island
Spots (Liev Schreiber): Schutzhund im Haushalt des Bürgermeisters, bester Freund von Atari Kobayashi. Wird vermisst
Rex (Edward Norton): Mutiger und energischer Anführer unseres heldenhaften Rudels
Boss (Bill Murray): Einstiges Maskottchen der Basketballmannschaft Megasaki Dragons Little League.
King (Bob Balaban): Vormaliges Aushängeschild von Doggy Chop
Duke (Jeff Goldblum): Liebt Klatsch
Chief (Bryan Cranston): Ein Streuner
Nutmeg (Scarlett Johansson): Dressierte Show-Hündin. So elegant wie gewitzt
Jupiter (F. Murray Abraham): Ein weiser Hund
Oracle (Tilda Swinton): Ein mystischer Hund. Kollege von Jupiter
Gondo (Harvey Keitel): Anführer eines geheimnisvollen Rudels eingeborener Trash Island-Hunde.

Der Film kommt im Mai in die deutschen Kinos

Der Text ist dem Presseheft entnommen, das noch sehr viel ausführlicher die einzelnen Aspekte der Herangehensweise erklärt und begründet.