berl18 4blackDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 4 a.K.

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – In den letzten Jahren war immer wieder einmal von der gewaltigen Hungerkatastrophe in Irland zu lesen, die Mitte des 19. Jahrhunderts, wie man heute schätzt, zu über einer Million Toten führte, was etwa zwölf Prozent der irischen Bevölkerung entsprach, wobei rund zwei Millionen Iren sich in die USA retten konnten.

Als Große Hungersnot oder auch Kartoffelfäule ist dies zwar in den Geschichtsbüchern vermerkt, spielte aber weder im englischen, noch gar im deutschen Bildungskanon für Geschichte irgendeine Rolle und auch in Irland sprach man nicht weiter darüber, auch wenn das schlimme Ereignis bekannt war und ist. Nur so kann man es sich auch erklären, daß dieser Film BLACK 47, womit 1847 gemeint ist, der erste Film über die damalige menschliche Katastrophe ist, die ja dadurch befeuert wurde, daß die Iren nicht für sich verantwortlich waren, sondern seit 1541 unter der Herrschaft der Engländer standen, was bedeutete, daß das Land den englischen Großgrundbesitzern gehörte, das die Bauern nur bewirtschafteten. Englands Whig-Regierung unter Lord John Russell kümmerte sich nicht um die Verarmung, sondern entzog trotz der Hungersnot den Bauern noch die Resternte, die also nach England verschifft wurde, während die irische Bevölkerung verhungerte.

Das muß man einfach vorausschicken, obwohl es für das Anschauen des Films nicht nötig wäre, der nicht ein geschichtliches Ereignis filmisch umsetzt, sondern umgekehrt, uns eine Geschichte erzählt, wie Menschen reagieren, wenn ihnen alles genommen wird, die unter die Haut geht. Die Aufnahmen über das wie ausgestorben und in Eis und Schnee liegende Irland führen uns schnell ins Herz der Finsternis, in das uns Martin Feeney (James Frecheville) begleitet. Er ist eigentlich Ire, hatte aber in der englischen Armee in Afghanistan für die britische Krone gekämpft, hat desertiert und ist jetzt in Irland zwischen allen Fronten. Die irischen Unterdrückten verachten ihn wegen des Kriegsdienstes für England, die Herrschenden verfolgen ihn, weil er ein Deserteur ist.

Er kommt zurück, sucht seine Familie, erfährt, daß seine Mutter gestorben ist, deutlich muß man sagen: verhungert ist. Denn seit Mitte der Vierziger Jahre gab es keine normale Kartoffelernten – Hauptnahrungsquelle für die Bauern -, weil die spezifische Kartoffelfäule diese von innen her verfaulen ließ. Die Briten gaben daraufhin gezielt für die Bevölkerung Suppen aus, die aber nationalstolze Menschen, wie die Mutter, nicht anrührten. Das erfährt Feeney, der im übrigen so irisch aussieht, wie man sich das nur vorstellen kann, aber kein Ire ist. Das Gesicht mit einem roten Bart zugewachsen, Sommersprossen und einem so intensiven und dennoch gleichermaßen weiten und in die Ferne schweifenden Blick, der, wenn er auf einen gerichtet ist, durch die Personen hindurchgeht. Das sieht man im Film schon daran, wie diese sich schütteln, wenn sein Blick sie trifft.

Aber nicht nur die Mutter ist tot, auch der Bruder. Der wurde von der britischen Besatzungsmacht zum Tode verurteilt, überhaupt wird in der Folge viel geschossen und mit dem Messer abgeschlachtet, was aber immer im Handlungsvollzug plausibel ist. Feeney will erst mal wissen, was los ist und warum das Haus der Familie ausgebrannt und auch die anderen Häuser zerstört werden und warum der englische Großgrundbesitzer Kilmichael (Jim Broadbent) sich alles Land aneignet, in den Scheunen reiche Ernte lagert, die nach England geht, während die Iren verhungern.

Regisseur Lance Daly, der auch am Drehbuch beteiligt war, versucht nicht nur, sondern erreicht auch, daß hier keine plakative Abrechnung der aufständischen Iren gegen die Kolonialmacht England abläuft, sondern ein menschliches Drama von Verlust und den Folgen erzählt wird, dessen Hintergründe natürlich in der Politik und der Naturkatastrophe liegen, denn diese Notsituation hätte die englische Krone lösen müssen. So bleiben die Menschen alleine und der Zuschauer kann gar nicht anders, als mit Martin Feeney mit auf den sogar richtig kühn organisierten Rachefeldzug zu gehen und zu hoffen, daß die Engländer im allgemeinen und ihre Vertreter in Irland wie Lord Kilmichael oder Pope (Freddie Fox) dranglauben müssen.

Eigentlich hatte ja Feeney angesichts der Not vorgehabt, mit der verwitweten Schwägerin (die einzige Frau im Film: Sarah Greene) und ihren Kindern in die USA auszuwandern. Aber noch nicht einmal das lassen die Vertreter der Krone zu, sondern räuchern die Familie erneut aus, so daß er Ellie mit ihren Kindern in einem Haus ohne Dach und Türen erfroren vorfindet.

berl18 4beideDie eigentliche Geschichte spielt sich jedoch zwischen Feeney und Hannah (Hugo Weaving) ab. Der war sein Vorgesetzter in Afghanistan, dem er das Leben gerettet hatte und dessen bester Soldat er war. Der Engländer setzt nach seiner Rückkehr seine Arbeit für die britische Krone in Irland fort und foltert als Kommissar einen Gefangenen, um dessen Komplizen zu erfahren, was nicht gelingt, weshalb er ihn einfach erwürgt. Das ist auch den Besatzern zu heftig. Dem ihm daraufhin angedrohten Todesurteil kann er nur entgehen, wenn er jetzt für die Engländer zusammen mit dem jungen Schnösel Pope, der sich rasch noch den Gehilfen Hobson (Barry Keoghan. Achtung! Wem dessen sehr auffällig Physiognomie bekannt vorkommt, hat Recht, wenn er den FilmTHE KILLING OF A SACRED DEER gesehen hat, wo Keoghan den unheimlichen Jungen spielt,auch in DUNKIRK ist er dabei; beide Filme oscarnominiert ) nimmt, Feeney einfängt. Und das Gegeneinander – bzw. Zusammenspiel der beiden Feeney und Hannah ist Zentrum des Films und hinreißend inszeniert. Es geht um den Widerspruch von beruflichen und persönlichen Loyalitäten.

Diese dramatische Jagd bildet also den Höhe- und Endpunkt des Films, von dem man nur verraten darf, daß das Unterste zuoberst gekehrt wird und umgekehrt. Der Eindruck ist nachdrücklich und die Kamera fängt Menschen und Landschaft in einer Weise ein, deren Verlorenheit man nie mehr vergißt. Ein sehr starker Eindruck, der durch schauspielerische Leistungen bestärkt wird, wobei die Traumverlorenheit des irischen Helden Feeney ins eigene Gemüt zieht.

Foto: 
© berlinale.de

Info:
Im Wettbewerb der Berlinale werden einige Filme außer Konkurrenz gezeigt. Das hat ganz unterschiedliche Gründe, aber hat die Konsequenz, daß sie keinen der Bären erhalten können, was einem bei diesem Film leid tut, der ein ernsthafter Anwärter gewesen wäre.Also: außer Konkurrenz, a.K.