Claus Wecker
Berlin (Weltexpresso) - Bekommen wir wieder Weimarer Zustände? Das fragen sich einige Menschen besorgt, wenn sie hierzulande die zunehmende Radikalisierung in der politischen Auseinandersetzung betrachten. Da hilft es, einen Blick in die damalige Zeit zu werfen. In Frankfurt hat gerade die Ausstellungshalle Schirn mit der eindrucksvollen Bilderschau GLANZ UND ELEND DER WEIMARER REPUBLIK dazu Gelegenheit gegeben. Dabei stellte sich heraus, dass es in der Malerei nach dem Schock des (Ersten) Weltkriegs einen tiefen Einschnitt gegeben hat. Sogar in den anscheinend unpolitischen Porträts zeigt sich ein skeptisches Menschenbild, während die politisch „linken“ Künstler Sozialismus und Pazifismus propagierten.
Dazu passend widmete sich die Berlinale-Retrospektive WEIMARER KINO – NEU GESEHEN diesem Zeitabschnitt der deutschen Filmgeschichte. Man muss sich bei dem Thema zunächst einmal klarmachen, dass erst um 1930 herum in Deutschland Tonfilme produziert wurden. Die meisten Filme aus der betreffenden Zeit sind also Stummfilme. Umso wichtiger war diese Retrospektive mit bewährten, durchweg hervorragenden Pianisten. Weil heutzutage Stummfilme in der Regel nur noch mit musikalischer Begleitung vorgeführt werden und dies für Repertoirekinos einen größeren Aufwand mit höheren Kosten bedeutet, bot sich hier eine seltene Gelegenheit, die Filme auf einer großen Leinwand zu sehen.
Was die Filmthemen betrifft, so hat sich über die Jahre ein festes Klischee gebildet. Wenn nämlich vom deutschen Film aus Weimarer Zeiten die Rede ist, denkt man zuerst an M, die Mabuse-Filme und an DAS CABINETT DES DR. CALIGARI. Denn besonders faszinierend sind diese Werke, sobald man sie aus der Kenntnis dessen betrachtet, was nachher in Deutschland geschah. VON CALIGARI ZU HITLER lässt sich, dem Buch von Siegfried Krakauer folgend, leicht eine Linie ziehen, sie führt allerdings hauptsächlich über die bekannteren Filme.
Doch das Kino hatte seinerzeit weit mehr zu bieten als die DÄMONISCHE LEINWAND, wie Lotte Eisner ihr Buch über den expressionistischen deutschen Film nannte, und den düsteren Vorahnungen, die man auf ihr finden kann. Es gab Komödien, Historienfilme, Kriegsfilme, Ehedramen, international reüssierende Bergfilme und sozialkritische Filme, die vom sowjetischen Kino inspiriert waren. Interessante Beispiele von ihnen wurden jetzt in Berlin gezeigt.
Der Untertitel NEU GESEHEN bezog sich sowohl auf Form und Inhalt der Filme als auch auf die Qualität der restaurierten Kopien und Festplatten, die vorgeführt wurden. Hier stach besonders DER KAMPF UMS MATTERHORN (1928, Regie: Mario Bonnard und Nunzio Malasomma) hervor. Die Geschichte von dem draufgängerischen Engländer Whymper (Peter Voss) und dem Südtiroler Bergführer Carrel (Luis Trenker), die als Konkurrenten und dann doch zusammen als Erste das Matterhorn besteigen wollen, fasziniert durch gewagte Bergaufnahmen mit der unhandlichen Apparatur von damals. Eine bewundernswerte Leistung ist auch die Restauration, für die kein Kameranegativ, sondern nur zwei Exportkopien sowie eine unvollständige deutsche 16mm-Kopie zur Verfügung standen.
Bis auf den fehlenden Schluss und den stark beschädigten kurzen Teil, der jetzt den Film beendet, bekam man eine Fassung zu sehen, der sehr nahe an der der Uraufführung liegen dürfte. Zu den Bergfilmen zählte auch DAS BLAUE LICHT (1932), das in einer digitalen Bearbeitung eines von Leni Riefenstahl bewahrten Negativs vorgeführt wurde. Der Film ist mehrfach umgeschnitten worden, auch weil man in ihm wegen Riefenstahls enger Beziehung zu Hitler und seinen Kumpanen Nazigedankengut witterte. Dabei ist dieses in der literarischen Novellenform erzählte Drama ein versponnenes Märchen mit einer attraktiven, südländisch anmutenden Riefenstahl. Gegen den Naziverdacht spricht ja schon, dass der ungarische Jude Béla Balázs an Drehbuch und Regie neben Riefenstahl maßgeblich beteiligt war. Sein Name wurde im Dritten Reich aus den Kopien entfernt.
Fotos:
Titel:DER KAMPF UMS MATTERHORN © berlinale.de
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Titel:DER KAMPF UMS MATTERHORN © berlinale.de
Text: DAS BLAUE LICHT © berlinale.de