cw heimkehrBerlinale-Retrospektive 2018 widmete sich dem Weimarer Kino, Teil 2/2

Claus Wecker

Berlin (Weltexpresso) - HEIMKEHR (1928) von Joe May, einem erfahrenen Regisseur, der seit 1911 Filme gedreht hatte, zählt zu den eindrucksvollsten Werken, die in Berlin zu sehen waren. Karl (Gustav Fröhlich) und Richard (Lars Hanson) leben als deutsche Kriegsgefangene in Russland in einer abgelegenen Hütte. Richard hat nur einen Gedanken: er will zurück zu seiner Frau Anna, von Dita Parlo hinreißend verkörpert.   An ihr hängt er so sehr, dass er ständig von ihr und dem gemeinsamen Zuhause redet. Bei einem Fluchtversuch wird Richard aufgegriffen, während Karl durchkommt und schließlich bei Anna in Hamburg landet. In der von Richard beschriebenen Wohnung hat sie manches verändert.

Anna und Karl finden Gefallen aneinander, doch Anna denkt an ihren Mann und Karl an seinen Kameraden. Richard steht also in Gedanken zwischen ihnen, und wie einfühlsam der Film diese Situation schildert, mit welcher Sorgfalt für jedes Detail, das ist großes Kino. Es lässt sich Zeit für Gesten, Blicke und viele Details und kommt für das, was gesagt wird, mit wenigen Zwischentiteln aus. Als schließlich Richard heimkehrt, will er Karl umbringen, erinnert sich aber daran, dass dieser ihm in Russland das Leben gerettet hat. In der Fassung, die in Berlin zu sehen war, heuert Richard am Ende auf einem Schiff an, während Karl zu Anna geht.

Vom Krieg, dem gerade überstandenen oder einem historischen, handelten weitere Filme. DIE ANDERE SEITE (1931, Regie: Heinz Paul) spielt an der Westfront unter britischen Soldaten und schildert, wie der zermürbende Stellungskrieg die Menschen verändert. Aus dem Hauptmann  Stanhope (Glanzrolle für Conrad Veidt) hat er einen verbitterten, aber pflichtbewussten Alkoholiker gemacht. Der Bruder seiner Verlobten, der unerfahrene Leutnant Raleigh (Wolfgang Liebeneiner), kommt voller Idealismus an die Front, um bei einem desaströs endenden Einsatz diese vollständig ernüchtert zu werden. Das Kammerspiel im Schützengraben nach einem englischen Theaterstück von R.C. Sherriff schwankt zwischen Anklage und Heroisierung. Es sei Menschen gewidmet, „die sich trotz Wirrniss und Qual in Pflichterfüllung aufrechterhalten wollen“, heißt es pathetisch im Vorspann.

Nach Preußen in die Zeit der Befreiungskriege führt Gerhard Lamprecht mit dem Drama DER KATZENSTEG (1927) nach einem Roman von Hermann Sudermann. Ein napoleonfreundlicher preußischer Baron zwingt seine Magd Regine (Lissy Arna), die Tochter des Dorfpfarrers, dazu, das französische Heer über eine schmale Brücke in den Rücken eines preußischen Freikorps zu führen. Nach diesem Verrat an der preußischen Sache stecken die Dorfbewohner das Schloss des Barons in Brand und ächten die Magd. Als Jahre später Boleslav (Jack Trevor), der Sohn des Barons, als preußischer Kriegsheld zurückkommt, ist der Vater tot. Der Pfarrer verweigert die Bestattung im Friedhof, die Stimmung im Dorf ist unversöhnlich. Nur Regine kümmert sich um das verfallene Schloss, fortan auch um Boleslav, und der weiß dies zu schätzen. Doch der Zorn der Dorfbewohner fordert ein Opfer: Regine, die Boleslav warnen will.

Wenn man diese und auch die sozialkritischen Filme wie etwa DIE UNEHELICHEN (1926, Regie: Gerhard Lamprecht) über das Problem der Pflegefamilien betrachtet, fällt auf, dass sie weit weniger radikal ihre Themen behandeln als die Werke der bildenden Kunst. Der Expeditionsfilm IM AUTO DURCH ZWEI WELTEN (1927-31) von der Rennfahrerin Clärenore Stinnes und dem Kameramann Axel Söderström dokumentiert eine Weltreise aus deutschnationaler Sicht, er war aber eine Ausnahme. Was ihren Stil, oft auch ihre Differenziertheit und Vielfalt betrifft, markieren die Produktionen einen Höhepunkt im deutschen Filmschaffen, der auch international anerkannt wurde und Talente aus anderen Ländern anzog. Umgekehrt wurden angesehene Filmemacher wie Lubitsch und Murnau von der schon damals starken amerikanischen Filmindustrie engagiert.

Die eingangs gestellte Frage kann man aber verneinen. Die Weimarer Republik war, im Blick auf ihr künstlerisches Schaffen, so stark vom Krieg und seinen sozialen und politischen Folgen geprägt, dass ein zweites Weimar heute wohl kaum zu befürchten ist.

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Heimkehr © berlinale.de