N.N.
Berlin (Weltexpresso) – DER HAUPTMANN spielt während der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs und basiert auf der wahren Figur Willi Herold. Wann kam Ihnen die Idee, seine Geschichte zu verfilmen?
Der Nationalsozialismus war ein dynamisches System. Es bedurfte einer sehr großen Zahl an Menschen, die entweder mitgemacht haben oder dem Bösen aus dem Weg gegangen sind, damit diese Kulturkatastrophe passieren konnte. Mich interessierten die Täter aus den hinteren Reihen. Sie waren nicht die Architekten des Systems, dem sie dienten, sondern die Menschen von nebenan, die „kleinen Leute“, die das Nazi-System am Leben hielten. Ich wusste, ich wollte einen Film aus der Perspektive dieser Täter machen und so begann ich, nach einer passenden Geschichte zu suchen.
Also war da zunächst die Idee, einen Film über das Phänomen einer Generation zu machen, und erst später stießen Sie auf die Geschichte von Willi Herold?
Ja.
Was hat Sie an der Täterperspektive fasziniert, die auch das Risiko birgt, den Verbrecher zum Helden zu machen und die Geschichte aus Sicht einer Person zu erzählen, mit der man sich schwer identifizieren kann?
Es konfrontiert das Publikum mit anderen Fragen als ein Film, bei dem es sich mit einer moralisch aufrechten Figur identifizieren kann. Wir hoffen und stellen uns alle vor, dass wir moralisch aufrecht und mutig genug gewesen wären, um uns dem System entgegenzustellen. Doch die Geschichte und Fakten widersprechen dem. Ich wollte, dass es keinen expliziten moralischen Kompass gibt, sodass das Publikum einen eigenen Standpunkt finden und sich fragen muss: „Wie hätte ich mich verhalten?“
DER HAUPTMANN ist Ihr erster historischer Film. Wie umfassend war Ihre Recherche bezüglich Set-Design, Szenografie, Kostüm etc.?
Als ich das erste Mal auf die Geschichte von Willi Herold stieß, habe ich überlegt, wie ich diese verfilmen könnte und was für eine Art von Film ich machen wollte. Wie würde mein Film über Gewalt und die deutsche nationalsozialistische Vergangenheit aussehen? Mir wurde schnell klar, dass ich so einiges recherchieren musste und so habe ich dann Bücher über Geschichte und Psychologie gelesen, Tagebücher aus der Zeit und Romane.
Ich las die letzte erhaltene Akte über den Fall im Staatsarchiv Oldenburg und besuchte die Gedenkstätte Esterwegen, wo ein früherer Gefangener ein Modell des Emslandlagers aus dem Gedächtnis nachgebaut hatte. Die Proportionen waren absichtlich ungenau: Türme waren zu hoch, Zäune zu dick, das Tor unmöglich massiv – eine subjektive, nicht faktisch korrekte Sicht auf die Vergangenheit. Das hat mich tiefer und nachhaltiger bewegt, als es ein exaktes Modell hätte tun können.
Wenngleich DER HAUPTMANN nicht durch die Perspektive der Opfer erzählt wird, wurde diese Art von erfahrungsgemäßer Sicht auf das Vergangene zu einem Leitsatz für mich und inspirierte mich dazu, den Film mit einem gewissen Grad an Abstraktion umzusetzen.
Wie hat diese Einsicht Ihre Sichtweise auf Willi Herolds Figur verändert?
Ich kam zu dem Schluss, dass es nicht darum geht, den Versuch zu unternehmen, den Charakter von Willi Herold zu analysieren oder Terminologien der klinischen Psychologie anzuwenden. Immer wenn ich versuchte, dem einen Namen zu geben, fühlte es sich wie eine Reduzierung an. Ich entschied, jeder muss für sich beurteilen, wer Willi Herold war und warum er tat, was er tat. Im Zentrum der Figur findet sich ein beabsichtigter blinder Fleck, der das Publikum dazu auffordert, seine eigenen Antworten zu finden.
Würden Sie DER HAUPTMANN einen authentischen historischen Film nennen?
Ich bin kein Fan der „Fetischisierung von Authentizität“, was eine wundervolle Formulierung ist, die die Filmkritikerin Cristina Nord gebrauchte, als sie darüber sprach, wie deutsche Filme über die Nazi-Vergangenheit im Grunde zum Äquivalent von britischen Heritage Movies geworden sind. Geschichte ist immer ein Blick zurück aus einer spezifischen Gegenwart mit ihren jeweiligen Vorurteilen und Absichten. Ich wollte nie vorgeben, dass dies nicht der Fall wäre. Natürlich sind die Uniformen korrekt, da sich DER HAUPTMANN um Uniformen dreht. Aber wir nahmen uns in anderer Hinsicht viele Freiheiten. Ich wollte sichergehen, dass eine Schicht an Abstraktion über allem liegt: Set, Schauspiel, Tonalität.
Kommen wir zu den Darstellern: Diesen Film zu drehen, muss für sie eine Herausforderung gewesen sein, besonders für den jungen Hauptdarsteller Max Hubacher. Wie haben sich die Schauspieler auf dieses besondere Setting vorbereitet und wie haben Sie mit ihnen gearbeitet?
Ich denke, vieles war durch das Drehbuch vorgegeben. Wenn Sie sich andere Filme ansehen, die von Gewalt, Brutalität und den Abgründen des Menschen handeln, bieten Ihnen viele Filme ein Schlupfloch, durch das Sie entkommen können – entweder durch Humor oder eine Figur, mit der Sie sich identifizieren können. Mein Drehbuch hatte nichts von alldem. Ich glaube, dies war allen Beteiligten beim Lesen des Drehbuchs sehr klar.
Welche Erfahrung haben die Schauspieler während des Drehs gemacht?
Max Hubacher, der Willi Herold spielt, war schockiert, als wir seinen Besuch der Baracken drehten, mit all den Gefangenen zugegen. Bernd Hölscher, der den SA-Führer Schütte spielt, war sehr betroffen, nachdem seine Figur die Gefangenen in der Grube erschießt. Wir zeigten sie nicht, aber da waren immer Menschen in der Grube, die um ihr Leben bettelten. Es war sehr schwer für ihn, an diesem Abend weiterzudrehen. Mich hat es erschüttert, als Milan Peschels Charakter in der Grube über die (unsichtbaren) Leichen laufen musste. Es hat uns alle an einem gewissen Punkt erwischt.
Haben Sie viel mit den Schauspielern geprobt?
Wir haben für mehrere Wochen intensiv geprobt. Weder die Atmosphäre des Films noch das Schauspiel ist naturalistisch. Wir mussten die Tonalität und die Absichten aufeinander abstimmen, um sicherzugehen, nicht zu weit in die eine oder andere Richtung abzuweichen. Die Schauspieler haben sehr hart an dieser Gratwanderung gearbeitet.
Es ist Ihr erster Film, den Sie in Schwarzweiß gedreht haben. Was war die Idee hinter dieser Entscheidung?
Es gibt die Anekdote, dass Martin Scorsese Testaufnahmen von WIE EIN WILDER STIER in Farbe drehte und diese Michael Powell zeigte. Der sagte – ich paraphrasiere: „Du kannst diesen Film mit all dem Blut nicht in Farbe machen. Die Menschen werden nicht in der Lage sein, an dem Blut vorbeizuschauen, an dem Rot. Du musst diesen Film in Schwarzweiß drehen!“ Dies erschien mir sehr klug, wenn man bedenkt, wie Zuschauer Gewalt im Film wahrnehmen, und ich dachte mir: Wir erzählen solch eine blutige Geschichte und es muss mir gelingen, dass das Publikum nicht komplett zumacht oder abgestoßen wird.
Es war auch eine intuitive Wahl, da ich die Zeit hauptsächlich von Schwarzweißfotos kenne. Der dritte Grund war ein ästhetischer: Ich wollte dem Film eine abstrakte Qualität verleihen. Es gibt eine beabsichtigte Theatralität im Film und Schwarzweißbilder passen besser dazu.
Foto:
© Verleih
Info:
D, F, P 2017. R:Robert Schwentke. D: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederik Lau, u.a. 119 Min. Start: 15. März Verleih: Weltkino
Was hat Sie an der Täterperspektive fasziniert, die auch das Risiko birgt, den Verbrecher zum Helden zu machen und die Geschichte aus Sicht einer Person zu erzählen, mit der man sich schwer identifizieren kann?
Es konfrontiert das Publikum mit anderen Fragen als ein Film, bei dem es sich mit einer moralisch aufrechten Figur identifizieren kann. Wir hoffen und stellen uns alle vor, dass wir moralisch aufrecht und mutig genug gewesen wären, um uns dem System entgegenzustellen. Doch die Geschichte und Fakten widersprechen dem. Ich wollte, dass es keinen expliziten moralischen Kompass gibt, sodass das Publikum einen eigenen Standpunkt finden und sich fragen muss: „Wie hätte ich mich verhalten?“
DER HAUPTMANN ist Ihr erster historischer Film. Wie umfassend war Ihre Recherche bezüglich Set-Design, Szenografie, Kostüm etc.?
Als ich das erste Mal auf die Geschichte von Willi Herold stieß, habe ich überlegt, wie ich diese verfilmen könnte und was für eine Art von Film ich machen wollte. Wie würde mein Film über Gewalt und die deutsche nationalsozialistische Vergangenheit aussehen? Mir wurde schnell klar, dass ich so einiges recherchieren musste und so habe ich dann Bücher über Geschichte und Psychologie gelesen, Tagebücher aus der Zeit und Romane.
Ich las die letzte erhaltene Akte über den Fall im Staatsarchiv Oldenburg und besuchte die Gedenkstätte Esterwegen, wo ein früherer Gefangener ein Modell des Emslandlagers aus dem Gedächtnis nachgebaut hatte. Die Proportionen waren absichtlich ungenau: Türme waren zu hoch, Zäune zu dick, das Tor unmöglich massiv – eine subjektive, nicht faktisch korrekte Sicht auf die Vergangenheit. Das hat mich tiefer und nachhaltiger bewegt, als es ein exaktes Modell hätte tun können.
Wenngleich DER HAUPTMANN nicht durch die Perspektive der Opfer erzählt wird, wurde diese Art von erfahrungsgemäßer Sicht auf das Vergangene zu einem Leitsatz für mich und inspirierte mich dazu, den Film mit einem gewissen Grad an Abstraktion umzusetzen.
Wie hat diese Einsicht Ihre Sichtweise auf Willi Herolds Figur verändert?
Ich kam zu dem Schluss, dass es nicht darum geht, den Versuch zu unternehmen, den Charakter von Willi Herold zu analysieren oder Terminologien der klinischen Psychologie anzuwenden. Immer wenn ich versuchte, dem einen Namen zu geben, fühlte es sich wie eine Reduzierung an. Ich entschied, jeder muss für sich beurteilen, wer Willi Herold war und warum er tat, was er tat. Im Zentrum der Figur findet sich ein beabsichtigter blinder Fleck, der das Publikum dazu auffordert, seine eigenen Antworten zu finden.
Würden Sie DER HAUPTMANN einen authentischen historischen Film nennen?
Ich bin kein Fan der „Fetischisierung von Authentizität“, was eine wundervolle Formulierung ist, die die Filmkritikerin Cristina Nord gebrauchte, als sie darüber sprach, wie deutsche Filme über die Nazi-Vergangenheit im Grunde zum Äquivalent von britischen Heritage Movies geworden sind. Geschichte ist immer ein Blick zurück aus einer spezifischen Gegenwart mit ihren jeweiligen Vorurteilen und Absichten. Ich wollte nie vorgeben, dass dies nicht der Fall wäre. Natürlich sind die Uniformen korrekt, da sich DER HAUPTMANN um Uniformen dreht. Aber wir nahmen uns in anderer Hinsicht viele Freiheiten. Ich wollte sichergehen, dass eine Schicht an Abstraktion über allem liegt: Set, Schauspiel, Tonalität.
Kommen wir zu den Darstellern: Diesen Film zu drehen, muss für sie eine Herausforderung gewesen sein, besonders für den jungen Hauptdarsteller Max Hubacher. Wie haben sich die Schauspieler auf dieses besondere Setting vorbereitet und wie haben Sie mit ihnen gearbeitet?
Ich denke, vieles war durch das Drehbuch vorgegeben. Wenn Sie sich andere Filme ansehen, die von Gewalt, Brutalität und den Abgründen des Menschen handeln, bieten Ihnen viele Filme ein Schlupfloch, durch das Sie entkommen können – entweder durch Humor oder eine Figur, mit der Sie sich identifizieren können. Mein Drehbuch hatte nichts von alldem. Ich glaube, dies war allen Beteiligten beim Lesen des Drehbuchs sehr klar.
Welche Erfahrung haben die Schauspieler während des Drehs gemacht?
Max Hubacher, der Willi Herold spielt, war schockiert, als wir seinen Besuch der Baracken drehten, mit all den Gefangenen zugegen. Bernd Hölscher, der den SA-Führer Schütte spielt, war sehr betroffen, nachdem seine Figur die Gefangenen in der Grube erschießt. Wir zeigten sie nicht, aber da waren immer Menschen in der Grube, die um ihr Leben bettelten. Es war sehr schwer für ihn, an diesem Abend weiterzudrehen. Mich hat es erschüttert, als Milan Peschels Charakter in der Grube über die (unsichtbaren) Leichen laufen musste. Es hat uns alle an einem gewissen Punkt erwischt.
Haben Sie viel mit den Schauspielern geprobt?
Wir haben für mehrere Wochen intensiv geprobt. Weder die Atmosphäre des Films noch das Schauspiel ist naturalistisch. Wir mussten die Tonalität und die Absichten aufeinander abstimmen, um sicherzugehen, nicht zu weit in die eine oder andere Richtung abzuweichen. Die Schauspieler haben sehr hart an dieser Gratwanderung gearbeitet.
Es ist Ihr erster Film, den Sie in Schwarzweiß gedreht haben. Was war die Idee hinter dieser Entscheidung?
Es gibt die Anekdote, dass Martin Scorsese Testaufnahmen von WIE EIN WILDER STIER in Farbe drehte und diese Michael Powell zeigte. Der sagte – ich paraphrasiere: „Du kannst diesen Film mit all dem Blut nicht in Farbe machen. Die Menschen werden nicht in der Lage sein, an dem Blut vorbeizuschauen, an dem Rot. Du musst diesen Film in Schwarzweiß drehen!“ Dies erschien mir sehr klug, wenn man bedenkt, wie Zuschauer Gewalt im Film wahrnehmen, und ich dachte mir: Wir erzählen solch eine blutige Geschichte und es muss mir gelingen, dass das Publikum nicht komplett zumacht oder abgestoßen wird.
Es war auch eine intuitive Wahl, da ich die Zeit hauptsächlich von Schwarzweißfotos kenne. Der dritte Grund war ein ästhetischer: Ich wollte dem Film eine abstrakte Qualität verleihen. Es gibt eine beabsichtigte Theatralität im Film und Schwarzweißbilder passen besser dazu.
Foto:
© Verleih
Info:
D, F, P 2017. R:Robert Schwentke. D: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederik Lau, u.a. 119 Min. Start: 15. März Verleih: Weltkino