f tschis2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. März 2018, Teil 4

N.N.

Berlin (Weltexpresso) - Wie man dem Anfang des Interviews entnehmen konnte, hat der Ideengeber, Regisseur und Hauptdarsteller Dany Boon einfach viel zu sagen. Selten werden im Filmgeschäft auf Fragen so ausführliche, inhaltsreiche Antworten gegeben, weshalb wir das gesamte Interview in zwei Blöcken abgedruckt haben. Die Redaktion


Licht und Ausstattung von DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN sind sehr sorgfältig ausgewählt. Sie möchten jede Komödie so schön wie möglich machen...

Die Ausstattung eines Films ist in meinen Augen tatsächlich eine wesentliche Sache. Das Bild ist dank der Smartphones, des Webs und all der Monitore, die Teil unseres Lebens sind, sehr populär geworden. Jeder kann heutzutage Filme machen. Ich glaube, dass das Kino auf jeden Fall eine künstlerische Grundhaltung wahren muss, vor allem die Komödie, die diese manchmal zu sehr vernachlässigt. Deshalb arbeite ich sehr eng mit meinem Chef-Kameramann Denis Rouden, meinem Chef-Dekorateur Hervé Gallet und meiner Chef-Kostümdesignerin Laetitia Bouix zusammen, um dem Film und den Figuren das richtige Erscheinungsbild zu geben. Diese Priorität ist sicher ein Vermächtnis meines Kunststudiums: die Farbe, das Bild und die grafische Gestaltung waren mir immer wichtig.

f schtis1Von Film zu Film wurde ich immer präziser und anspruchsvoller in dem, was für mich die echte Basisarbeit ist. Ich habe inzwischen das Glück, viel Geld in die Ausstattung stecken zu können, damit sie so hübsch wie möglich wird. Die Wohnung von Constance und Valentin D. muss prächtig sein, da sie ja Innendesigner sind. Das musste auf der Leinwand sichtbar werden. Wenn Sie sich zum Beispiel die Böden anschauen, werden Sie sehen, dass es sich um Metallplatten handelt, in denen sich das Licht spiegelt. Das gibt diesem Raum eine Kraft, eine Macht und auch eine gewisse kalte Schönheit. Der Kontrast zwischen der Pariser Wohnung und dem Wohnwagen im Norden gefällt mir sehr. Aber was die Armut betrifft, haben wir nichts ausgemalt, auch nicht bei den Kostümen. Wir wollten nicht, dass der Film wie die TV-Serie „Les Deschiens“ wird. Pierre Richard zum Beispiel ist ein gut aussehender Chef eines Schrottplatzes. Wie ein alter Löwe, der ein unglaublich schönes Gesicht hat.


Unterhalten wir uns über Ihre Schauspieler: Sie haben schon mit Laurence Arné, Line Renaud, Valérie Bonneton oder Guy Lecluyse gearbeitet. War das entscheidend dafür, sie für diesen Film auszuwählen?

Wer außer Line hätte denn meine Mutter spielen können? Außer meiner Mutter selbst natürlich, die aber partout nicht zum Film will. Sie ist mehrmals während des Drehs wegen Line ans Set gekommen, das macht sie sonst nie. Es war sehr bewegend, sie beide wiedervereint im Norden zu sehen. Es gibt einige Sätze, die Line spricht, die eigentlich Ausdrücke meiner Mutter sind. Zum Beispiel als Constance sich ihr zum ersten Mal vorstellt und sie sagt: „Ach, sie sieht in Wirklichkeit weniger wie ein Miststück aus, als auf dem Foto.“ Ich habe mit Valérie als Partnerin in Eyjafjallajökull gearbeitet, und sie hatte eine kleine Rolle in Der Super-Hypochonder.

Wir kennen uns schon sehr lange: Sie hat schon 1995 in der Serie „Les Zacros de la télé“ mitgespielt, die ich für France 2 gemacht habe. Das war ihr so viel wert, dass sie dafür beim JTN – Jeune Théâtre National rausgeflogen ist. Damals haben wir zusammen Figuren gespielt, die Sch’ti sprechen. Ich hatte sehr große Lust, sie in diesem Rahmen zu inszenieren, den sie sehr gut kennt, da sie auch aus dem Norden kommt. Sie funktioniert wunderbar als Paar mit Guy. Ihn mag ich auch sehr. Er hat oft in meinen Filmen mitgespielt. Was Laurence betrifft, ich mochte ihre Verrücktheit in Nichts zu verschenken und ihren Fernsehsketchen; diese Art wie es ihr als Komödiantin gelingt, die Verrücktheit in ihren Figuren zum Vorschein zu bringen und dabei trotzdem sehr realistisch zu bleiben. Ich wollte keine karikaturistische Constance: die hysterischen Pariser, die den realistischen Sch’tis gegenüber stehen. Laurence hat das wunderbar hinbekommen. Und es ist das erste Mal in einem meiner Filme, dass ich eine existierende Liebesgeschichte schreibe, die von den Ereignissen auf die Probe gestellt wird.


Eine Zärtlichkeit, die dank Line Renaud mehrmals überwältigend wirkt...

Darüber bin ich sehr glücklich. Wenn nicht sogar sehr stolz. Ich finde, wenn es einem gelingt, wahre emotionale Momente in eine Komödie einzufügen, gibt das dem Gelächter Eleganz und Tiefe.


Im Gegensatz dazu steht die Figur des Schwiegervaters, der Böse in der Geschichte, gespielt von François Berléand.

Eine Person, die sehr ehrgeizig ist. Er ahnt nicht, dass Valentin alle wegen seiner Herkunft angelogen hat, und er wird die Ereignisse ins Rollen bringen, indem er ihn mit seinem Auto überfährt... Geschockt von dem, was er getan hat, versteckt er sich ebenfalls hinter Lügen und versucht zugleich, die Design-Firma zu retten, in die er sein Geld investiert hat. Es gibt da diesen Moment, während dem man lachen muss, obwohl er dramatisch ist: Nachdem er Valentin angefahren hat, schaut er als erstes, ob sein Auto Spuren vom Aufprall hat, bevor er sich um den leblosen Valentin kümmert. Einmal mehr verkörpert er den Gegensatz zwischen Sein und Schein. Er denkt zuerst an das Gerede der Leute bevor er seinen Pflichten der Menschlichkeit nachkommt und sich um den kümmert, den er angefahren hat. Er ist eine Figur, die beim Schreiben ausgearbeitet und komplexer gestaltet wurde. In den ersten Fassungen war er nicht der Unfallverursacher, er war weniger involviert. Man kann ihn tatsächlich für den Bösewicht halten, aber zu allererst ist er ein Vater, der seine Tochter liebt. Ich wollte, dass man diese Liebe spürt und dieses Streben nach Erfolg, das ihn blind macht. Er zieht die Last der Lüge über den kompletten Film hinter sich her, denn er traut sich nicht, Constance zu gestehen, dass er den Mann angefahren hat, den sie liebt. François ist ideal dafür geeignet, diesen komplexen Charakter zu spielen. Er ist ein Schauspieler mit einem großen Repertoire. Er hat eine unglaubliche komische Stärke, aber er kann auch in den richtigen Momenten emotional überwältigend sein.


Und dann ist da noch Pierre Richard, ursprünglich auch ein Sch’ti...

Ja, aus der Gegend von Valenciennes. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob er den Dialekt der Gegend spricht und er hat ja gesagt, allerdings müsse er daran arbeiten, denn in seiner bürgerlichen Industriellenfamilie habe man alles getan, um den Dialekt auszulöschen. Das hat eine Kindheitserinnerung in mir geweckt: Ich kannte ein sehr reiches Paar, dem ich als Kind begegnet bin. Der Mann fuhr zur Fasanenjagd, in seiner Jäger-Kleidung, begleitet von seiner Frau, die Bianca Castafiore (aus Hergés „Die Abenteuer von Tim und Struppi“) ähnelte. Sie drückten sich auf sehr zivilisierte Weise aus, bis sie sich aufregten und der Sch’ti-Akzent die Oberhand gewann, völlig außerhalb ihrer Kontrolle. Meine Mutter meinte übrigens, ich hätte den Akzent eines Angebers, als ich den Dialekt des Nordens ablegte.


Haben Sie mit ihm als Schauspieler auch über Abstammung gesprochen?

Es hat mich sehr berührt, dass er in meinem Film mitspielen wollte. Während der ersten Drehtage konnte ich es nicht glauben und sagte mit leiser Stimme zu meinem Team: „Habt ihr gesehen, das ist Pierre Richard. Wir drehen mit Pierre Richard!“ Ich bin mit seinen Filmen aufgewachsen und habe sie bewundert. Bei Pierre ist auffällig, dass er ein Kind geblieben ist. Und genau da müssen wir unsere Herkunft suchen. Das zeigt sich in der Art, wie wir unsere Körper benutzen, wie Clowns, um Komik, aber auch Gefühle, zu erzeugen. Ich habe es geliebt, ihm Dinge vorzuschlagen, die er lange nicht gespielt hat. Wir haben gemeinsam nach Ideen für Gags gesucht und mehrmals hat er mir gesagt: „Du schaffst es, dass ich mich wieder wie 30 fühle“. Ich musste Einiges rausschneiden, da mein erster Schnitt zu lang war, aber ich hätte gerne alles behalten. Er ist eine echte Komikmaschine. Ich erinnere mich an eine Szene, in der er Hühner in einem Hühnerstall verfolgen muss. Es war unmöglich, ihn zu stoppen. Er wollte einfach immer weiter machen. Ich sah, wie er sich mehrmals zu Boden warf, rudernd wieder aufstand und habe zu meinem Team gesagt: „Er ist nicht 82 Jahre alt, das ist völlig unmöglich“. Ich habe große Lust dazu, erneut mit ihm zusammenzuarbeiten.


Wenn wir schon davon sprechen: DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN ist Ihr sechster Film als Regisseur und Sie haben sich von der Bühne verabschiedet. Und jetzt?

Ja genau, was mache ich jetzt? Ich werde Drehbücher für Kinofilme schreiben und die Rollen annehmen, die man mir anbietet. Ich bekomme sehr interessante und unterschiedliche Angebote. In Frankreich, in den USA und selbst in China... Obwohl ich mit ausländischen Projekten sehr vorsichtig bin, vor allem mit amerikanischen, bei denen die künstlerische Freiheit oft eine Illusion ist. Ansonsten bin ich Schauspieler in einem Film von Jalil Lespert mit Guillaume Galliens. Und ich weiß, dass die Produzenten von Nichts zu verschenken und der Regisseur Fred Cavayé an einer Fortsetzung schreiben. Ich warte ungeduldig darauf, das Drehbuch zu lesen.

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG

Valentin                       Dany Boon
Constance                  Laurence Arné
Mutter                         Line Renaud
Gustave                      Guy Lecluyse
Louloute                     Valérie Bonneton
Schwiegervater          François Berléand
Vater                           Pierre Richard