Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. März 2018, Teil 10
Hannah Wölfel
Berlin (Weltexpresso) - Man kann sich den Horror kaum vorstellen, als normaler Mensch zwangsweise in die Psychiatrie zu geraten. Das passiert einer jungen Frau in dem Psychothriller UNSANE - AUSGELIEFERT, der heute in die Kinos kommt.
Die ehrgeizige Bankerin Sawyer Valentini beginnt in einer fremden Stadt einen neuen Job. Rasch wird sie von ihrem Chef gelobt, aber auch sexuell bedrängt. Des Abends schmeißt sie einen Mann aus ihrer Wohnung, mit dem sie eigentlich zum One-Night-Stand verabredet war. Bald wird deutlich, dass Valentini (Claire Foy) zwei Jahre lang von einem irren Stalker verfolgt und dadurch stark traumatisiert wurde. Sie wechselt zwar häufig ihre Wohnorte und Jobs, um dem Verfolger zu entkommen, aber ein normales Leben gelingt ihr nicht.
Nach einer kurzen Sitzung mit einer Psychologin unterschreibt sie achtlos mehrere Papiere. Weil sie dadurch ihrer eigenen geschlossenen Unterbringung zugestimmt hat, landet sie in einer Anstalt. Als sie sich wehrt, wird sie gegen ihren Willen festgehalten, in Anstaltskleidung gesteckt und mit Medikamenten ruhig gestellt. Ihr gesunder Widerstand gegen alle weiteren Zwangsmaßnahmen wird von Pflegern und Medizinern als Beweis ihrer Gefährdung für sich selbst und andere gemaßregelt.
Ein Mitgefangener empfiehlt ihr, sich ruhig zu verhalten, die Klinik sei unterbelegt und würde krankenversicherte Patienten einige Wochen zwangsbehandeln. Danach kämen sie wieder frei, denn das Spital wolle nur vorübergehend alle Betten belegen. Doch Valentini gibt keine Ruhe, fordert energisch die Polizei an, die nichts unternimmt, und telefoniert heimlich mit ihrer Mutter, die von der Klinik abgewimmelt wird. Als sie in einem Pfleger ihren Verfolger (Joshua Leonhardt) wiederzuerkennen scheint, fühlt sie sich ihm hilflos ausgeliefert, flippt völlig aus und wird im Keller in Einzelhaft gesperrt.
Mehr wollen wir von der spannenden weiteren Handlung nicht erzählen, denn Valentinis beklemmenden Albtraum geht unaufhaltsam weiter. Jedoch selbst als einfühlsamer Zuschauer zweifelt man am Geisteszustand der Patientin: Wie soll ihr Peiniger plötzlich als Mitarbeiter in die Klinik gekommen sein? Kann diese Frau überhaupt noch Wirklichkeit und Wahn unterscheiden?
UNSANE - AUSGELIEFERT ist sehr eigenartig gefilmt, die Bilder sind gelegentlich grobkörnig und verwischt, dann wieder gestochen scharf. Die seltsam verfremdeten Nahaufnahmen vieler Gesichter oder des mitunter hektischen Getümmels, lassen uns an der - möglicherweise - wahnhaften Wahrnehmung der Ausgelieferten teilhaben. Die bizarren Bilder sowie die großartige Schauspielerin Claire Foy ziehen einen stark in ihren Bann. Soderbergh drehte das Werk mit einer kleinen Crew auf iPhones. Erstaunlicherweise taugt der Streifen dennoch als professioneller Film auf der großen Kinoleinwand, gerade die eigenartige Smartphone-Ästhetik gibt der beklemmenden Geschichte ihre starke Authentizität.
Zwar ist das neue Werk des Regisseurs Steven Soderbergh ein aufregender Psychothriller, jedoch kein unrealistischer Horrorfilm. Denn die dargestellten Zustände waren in den psychiatrischen Kliniken Europas und der USA bis in die 1980er-Jahre hinein üblich - und sind es in Einzelfällen auch heute noch*. Der Schrecken, den der Regisseur aufbaut, ist kein Selbstzweck, sondern wird gleichsam gesellschaftskritisch ohne politische Überfrachtung aufgeladen. Mit diesem Film ist Soderbergh eine erneute Synthese zwischen künstlerischem Kino, politischer Aufklärung und aufregendem Thriller gelungen.
Foto:
© Fingerprint Releasing / Bleecker Street
Info:
UNSANE - AUSGELIEFERT, USA 2017, 98 Minuten, FSK 16 Jahre. Regie Steven Soderbergh mit Claire Foy, Joshua Leonhardt, June Temple und anderen.
Kinostart am 29. März 2018
Die Enquete-Kommission der Deutschen Bundesregierung formulierte 1974: „dass eine sehr große Anzahl psychisch Kranker und Behinderter in den stationären Einrichtungen unter elenden, zum Teil als menschenunwürdig zu bezeichnenden Umständen leben müssen.“
Aktuell sei an das Schicksal von Gustl Ferdinand Mollath erinnert, der neun Jahre lang (bis 2014) zu Unrecht in Bayern in der forensischen Psychiatrie saß.