go ONCE UPON A TIME IN NOVEMBER thumbVom 18. bis 24. April 2018 gibt das goEast-Festival in Wiesbaden zum 18. Mal einen Einblick in die mittel- und osteuropäische Filmszene, Teil 6

Roman Herzig

Wiesbaden (Weltexpresso) – Wir befinden uns immer noch im Wettbewerb, der ja immerhin 16 Filme umfaßt und als HERZSTÜCK von goEast bezeichnet wird, was ja klar ist, wenn ein Filmfestival Preise verteilt, die von einer unabhängigen fünfköpfigen Jury verteilt werden, in deren Haut wir nicht stecken wollen, denn wir hätten sofort jedem der Filme einen Preis gegeben. Echt.

Es gibt den Preis für den Besten Film und 10 000 Euro, den Preis für die Beste Regie der Landeshauptstadt Wiesbaden und 7 500 Euro und den Preis des Auswärtigen Amtes für kulturelle Vielfalt, mit 4 000 Euro. Aber mehr als um das Geld geht es um die Ehre und die ist schon gegeben dadurch, daß die Filme für diesen Wettbewerb eingeladen wurden, denn beworben hatten sich sehr viel mehr Filme. Die neue Festivalleiterin Heleen Gerritsen kann wohl zufrieden sein und die Festivalteilnehmer auch.


ONCE UPON A TIME IN NOVEMBER

Klar, von der konservativen, doch eher chauvinistisch-reaktionären Entwicklung in Polen kann man in unserer Presse lesen und sich auch im Fernsehen informieren. Und doch ist das alles ein Klacks gegen die Wucht der Gewalt und den Fremdenhasses, der einem in diesem Film durch die wüsten Demonstrationen auf den Straßen Warschaus entgegenglüht: GROSSES POLEN! KATHOLISCHES POLEN!

Die Protagonisten dagegen sind harmlose Menschen. Eigentlich. Da ist die Lehrerin, die mit ihrem Sohn Mareczek, einem Medizinstudenten, aus ihrer Wohnung geworden wird: Zwangsräumung. Wichtig, denn es geht hier nicht um die wirklich Elenden, die in der untersten Kette der Gesellschaft von dieser ausgesondert werden, sondern um das, was wir Mittelstand nennen, auch Kleinbürgertum. Die Gründe, warum sie die Wohnung verlassen muß, sind nicht ganz klar, aber sie liegen im Finanziellen, die verlassenen Häuser sollen gentrifiziert werden und sie stehen noch lange leer, bis der Kapitalismus Gewinn macht.

Zusammen mit dem schwarz-weißen Hund, der eine große Rolle spielen wird, mäandern sie durch die Stadt, schlafen mal in den Lauben von Kleingärten, mal in offiziellen Obdachlosenunterkünften, auch in Frauenhäusern darf die Lehrerin schlafen, was auf Dauer daran scheitert, daß der Hund sie überall findet. Und Tiere sind nicht erlaubt für die Menschen, die sie besonders brauchen. Aber unser Blick auf das Leben der beiden ist doch nur vorgeschoben für das, was wir im Film erst allmählich als die Hauptsache erkennen: wie verroht die polnische Gesellschaft geworden ist und immer noch weiter wird. Regisseur Andrzej Jakimowski verwendet nämlich für seinen Film Originalaufnahmen vom polnischen Unabhängigkeitstag, wo in Warschau 2016 etwa 60 000 Menschen, nämlich „Patrioten“ und Rechtsextreme aufmarschierten und wir die gewalttätigen Auseinandersetzungen miterleben, denen Student Mareczek so eben noch entgehen kann, wie auch der Hund überlebt, um den einen oft bang ist.

Bei aller Düsternis hat die Regie nicht nur durch das Tier auch Menschliches (schon witzig, daß es dazu eines Tiers bedarf) transportiert, sondern die ganze Darstellung des Mutter-Sohnes Paar hat etwas Skurriles, fast Poetisches, so daß die Wirklichkeit noch viel bedrohlicher wirkt.


THE DEAD NATION – DIE TOTE NATION – TARA MOARTA

Zwei Filme sind es, die aus dem Kosmos des ‚normalen‘ Films bei dieser Auflage von goEast herausfallen. Das eine wird der Film aus Litauen THE ANCIENT WOODS sein, dessen Ton nur aus Waldtönen und damit auch Tierlauten besteht, kein Wort, kein Musik, und am Donnerstag ist es THE DEAD NATION, wo eine Fotografie der anderen folgt. Regisseur Radu Jude aus Rumänien ist bekannt, legt aber hier seinen ersten Dokumentarfilm vor, der im Untertitel lautet: FRAGMENTE PARALLELER LEBEN.

Im Südosten des Landes gibt es das „Fotostudio Splendid“, aus dessen Fotoschatz der Jahre 1937 bis 1946 die Darstellungen von Menschen in allen Lebenslagen auf der Leinwand zu bestaunen sind. ‚Alle Lebenslagen‘ ist nicht ganz richtig, denn es ist die Sonntagsfotografie, das Herrichten für die Kamera, das absichtsvolle Porträtieren für die Ewigkeit, die hier zu Ausdruck kommt. Es ist eine ländliche Gegend und die Repräsentanz in Raum und Zeit, also das Aussehen auf den Bildern spielt eine große Rolle. Aber uns interessiert ja etwas anderes dabei, nämlich die Menschen selbst und ihre Geschichten.

Wir bringen die Bilder auch mit den Tönen im Film zusammen, auch wenn sie ursächlich nicht zusammengehören, verdichten sie doch das Gesehene. Denn es werden einerseits Tagebucheinträge des jüdischen Bukarester Arztes Emil Dorian vom Regisseur selbst eingelesen, andererseits zeigen Radioausschnitte und Kommentare sowie nationalsozialistische Lieder, wie antisemitisch die Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger vorging.

Foto:
© goEast

Info:
goEast am 19. April im Caligari Wiesbaden

ONCE UPON A TIME IN NOVEMBER
Deutschlandpremiere

THE DEAD NATION
Deutschlandpremiere