go COMMUNION 2 thumbVom 18. bis 24. April 2018 gibt das goEast-Festival in Wiesbaden zum 18. Mal einen Einblick in die mittel- und osteuropäische Filmszene, Teil 9

Thomas Adamczak

Darmstadt (Weltexpresso) - Die Menschen sind die Geschichten, die sie erzählen. In dem Dokumentarfilm »Kommunion« wird die Geschichte einer nicht ganz so normalen vierköpfigen Familie erzählt. Der polnische Film handelt von einem autistischer Jungen.

Der Vater ist arbeitslos und trinkt. Die Mutter hat die Familie verlassen und lebt mit einem anderen Mann und einem weiteren kleinen Kind zusammen. Der Sohn ist autistisch. Die knapp ein Jahr ältere Schwester Ola kümmert sich um den Bruder, managt den Haushalt, sorgt dafür, dass der Vater nicht zu lange im Pub bleibt, sucht den regelmäßigen telefonischen Kontakt mit der Mutter, die offensichtlich die gesamte Verantwortung auf dieses Kind abgeladen hat. Vierzehn Jahre alt ist das Mädchen.

Wenn dieser Film als Spielfilm firmierte, wären aus meiner Sicht keine Einwände zu befürchten. Bruder und Schwester wirken in ihren »Rollen«, mit denen sie den Zuschauern Einblicke in ihr Leben gestatten, derartig authentisch und glaubwürdig, dass keine Zuschauerin, kein Zuschauer auf die Idee käme, diese Rollen anders zu besetzen.

Dieser Film treibt dem Betrachter Tränen in die Augen.

Der jugendliche Autist verhält sich in jeder Hinsicht anders als Gleichaltrige: mit seinen bizarren, unkoordiniert wirkenden Bewegungen, durch eine rätselhafte Mimik und Gestik, die unkonventionelle Sprechweise.

»Ich bin nicht aus Luft.« »Ich bin ein Tier.« Solche und ähnliche Sätze sagt er mehrfach, so dass ersichtlich wird, wie schwer eine verständigungsorientierte Kommunikation mit diesem Kind werden dürfte, wenn sie denn überhaupt möglich ist.

Die Schwester aber kann mit dem Bruder reden, für diese Familienverhältnisse sogar gut reden. Sie versteht ihn, und er hört innerhalb bestimmter Grenzen auf sie. Ihr vertraut er. Sie ist für ihn die einzige Bezugsperson, denn Vater und Mutter ignorieren das Kind, wohl auch deshalb, weil sie mit diesem Jungen und sich selbst hoffnungslos überfordert sind.

An zentraler Stelle des Films geht es um die »Kommunion«, die »Heilige Kommunion« des Jungen. Ola, die Schwester, will, dass er die erforderliche Prüfung beim Herrn Pfarrer besteht. Sie drängt den Bruder immer wieder, dafür zu lernen, hört ihn ab, kontrolliert nebenhin seine Schulhefte, schimpft mit ihm, ermahnt ihn, übt sogar mittels Bananenscheiben den Empfang der Hostie bei der Kommunion.

Warum hat die Kommunion diese außerordentliche Bedeutung? Die Kommunion des Bruders, das ist die Hoffnung von Ola, bringt die Familie zusammen, bietet vielleicht die Chance, dass die immer mehr zerfallende Familie wieder zusammenfindet, die Mutter wieder einzieht, dem vierzehnjährigen Mädchen dann vielleicht wenigstens einen Teil der Bürde, die auf dem Kind lastet, abnimmt.

Ein Ausschnitt aus dem Leben einer Familie. Einer »normalen« Familie? Wohl eher einer besonderen Familie, in deren Verhalten ein Abbild des alltäglichen ganz normalen Wahnsinns in vielen heutigen Familien aufscheint.

Der Regisseurin Anna Zamecka, die für den Film mit dem Europäischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, ist ein großartiger Film gelungen. Auf ihr künftiges Werk darf der Cineast wie jeder Liebhaber von guten Filmen und Dokumentarfilmen gespannt sein.

Foto:
© goEast

Info:
https://www.filmfestival-goeast.de/de/film/6502/KOMMUNION