Bildschirmfoto 2018 04 29 um 11.12.25Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. April 2018, Teil 13

N.N.

Paris/Athen/Istanbul (Weltexpresso) – Woher hatten Sie die Idee zum Film?
Die Idee entstand durch die Rembetiko-Musik, die ich 1983 auf einer Reise in die Türkei entdeckte, als ich dort meinen Film LES PRINCES vorstellte. Rembetiko hatte seine Anfänge in der rauen Nachbarschaft von Athen und Thessaloniki und verbreitete sich dann weiter auf die Inseln, als Atatürk die Griechen aus der Türkei vertrieb. Die Musik besteht nicht aus Wut, sondern vielmehr aus Rebellion und Melancholie. So wie bei jeder Musik, die ich mag. Es ist die Musik der Ungeliebten, für Menschen, die stolz darauf sind, wer sie sind. Subversive Musik. In Rembetiko besteht der Text aus Wörtern, die heilen.


Auf was führen Sie diese Kraft zurück?

Ich führe diese Kraft auf den kulturellen Schmelztiegel zurück. Ich glaube fest daran. Das eigene Land zu verlassen, kann auch etwas Gutes sein – neue Horizonte entdecken, neue Lebensweisen. Was ich am Rembetiko mag, ist die Mischung aus Orient und Okzident. Von da komme ich her. Osten und Westen befinden sich schon seit meiner Kindheit in mir.


Warum einen Film über diese Art von Musik machen und warum jetzt?

Die Rembetiko-Lieder sind Lieder des Exils: der Aufbruch der Griechen von Izmir, das Überqueren des Meeres mit Ruderbooten ... In meiner Arbeit leitet sich alles von Musik und vom Exil ab. In den frühen 60ern, als ich noch ein Kind war, sah ich europäische Siedler Algerien verlassen. Ich sehe sie immer noch vor mir, weinend, auf Koffern sitzend am Hafen von Algier, wie sie auf ein Boot zum französischen Festland warten. Ich war mit ihnen dort. Ich sehe auch die vietnamesischen Bootsleute vor mir, 20 Jahre später, mit ihren gekenterten Schiffen und es erinnert mich stark an das Schicksal der Migranten von heute, die mit ihren maroden Booten an der Küste von Lesbos angespült werden. Ich habe so viele Leute gesehen, die ins Exil verdammt wurden, und mit diesem Film wollte ich von den Migranten – von damals und heute – erzählen. Rembetiko und der Drang, eine unkonventionelle, junge Frau zu filmen, gaben mir die Kraft, dieses Projekt durchzuführen.


Es geht um zwei junge Frauen, die unterwegs sind ...

Djam, die erste, ist auf dem Weg nach Hause und nimmt die zweite unter ihre Fittiche. Avril ist eine 19-jährige Französin, die in die Türkei gekommen ist, um freiwillige Hilfsarbeit zu leisten, sich aber komplett verirrt. Zusammen reisen sie von Istanbul nach Mytilini auf die Insel Lesbos, dieselbe Route, die auch die Zuwanderer nehmen. Wenn Djam anfängt, einen Rembetiko-Song zu singen, wird sie eins mit der Musik und drückt seine komplette Bedeutung in einer Mischung aus Frechheit, Rebellion und Gelassenheit aus. So wie Djam ist Daphné Patakia frei von Gewalt. Alles was sie sagt oder mit ihrem Körper ausdrückt, macht sie mit vollem Einsatz, so ursprünglich wie die feinste Materie – sie ist aus schönem Stein gehauen – aber auf keinen Fall brutal.


Daphné ist omnipräsent. Sie singt, sie tanzt. Wie hat sie sich darauf vorbereitet? Haben Sie ihr spezielle Regieanweisungen gegeben?

Ich habe Daphné darum gebeten zu lernen, wie man singt, Musik spielt und Bauchtanz tanzt. Der ganze Gesang im Film ist von ihr selbst, da ist nichts gestellt. So wie die meisten Griechen hat sie eine tolle musikalische Kultur. Sie kannte die meisten Rembetiko-Lieder bereits auswendig, aber ich war überrascht, wie schnell sie lernte und wie hart sie gearbeitet hat. Das erste Mal als wir uns trafen, fragte ich sie, ob sie singen kann und ob sie damit einverstanden wäre, den Bauchtanz zu lernen. Ich gab ihr außerdem ein Baglama, das Instrument, das im Rembetiko verwendet wird, und bat sie, es zu lernen. Alles was sie in dem Film zeigt, hat sie sich hart erarbeitet.


Djam ist Daphnés erste Hauptrolle und ihr erster französischer Film. Wie haben Sie sie gefunden?

Ich habe lange gebraucht, eine Schauspielerin für Djam zu finden. Sechs Monate vor dem Dreh hatte ich immer noch keine gefunden. Sie musste nicht wunderschön sein, aber sie sollte Griechisch und Französisch sprechen können. Mein Assistent in Griechenland hat mir dann von Daphné erzählt – beide Eltern Griechen, geboren in Belgien, spricht perfektes Französisch. Sobald wir uns trafen, begann der Film durch sie seine Form anzunehmen. Ich spürte, dass sie alles geben würde, was sie hatte, absolut alles. Obwohl sie in Belgien aufgewachsen ist, verlor Daphné nie die griechische Kultur aus den Augen. Sie weiß, was Exil bedeutet.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Daphné Patakia © Verleih

Info:
Besetzung

Djam             Daphné Patakia
Kakourgos    Simon Abkarian
Avril              Maryne Cayon
Pano             Kimon Kouris
Solon            Solon Lekkas
Vater             Yannis Bostantzglou
Maria            Eleftheria Komi

DAPHNÉ PATAKIA (DJAM)
Daphné wuchs in Belgien auf und machte ihren Abschluss am griechischen Nationaltheater, seitdem kann man sie immer wieder in Major-Produktionen aus ganz Europa entdecken. Bekannt wurde sie durch ihre Rolle in Yorgos Zois‘ INTERRUPTION, der 2015 auf den Filmfestspielen Venedig seine Premiere feierte. Daphné war außerdem 2015 als Gangmitglied in Constantine Giannaris‘ Film SPRING AWAKENING zu sehen. Anfang 2016 wurde sie auf der Berlinale von einer Jury aus Experten zu einem der interessantesten Shootingstars Europas gewählt.

SIMON ABKARIAN (KAKOURGOS)
Seine Kindheit verbrachte der Armenier Simon Abkarian im Libanon, wo es eine große armenische Gemeinde gibt. Danach zog er nach Los Angeles, um Mitglied einer armenischen Theatergruppe unter der Führung von Gérald Papazian zu werden. 1985 zog er nach Paris und trat dem Théâtre du Soleil von Ariane Mnouchkine bei. Abkarian hat in ungefähr dreißig Filmen mitgewirkt.