f siebte1FRANKFURT LIEST EIN BUCH: ‚Das siebte Kreuz‘ von Anna Seghers, vom 16. bis 29. April, Teil 17

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Film folgt am Anfang dem Roman, die brutalen Nazis, vorneweg der furchtbare Leiter des KZ-Osthofen Fahrenberg, der Schreibtischmörder Overkamp, die sieben Kreuze zum Aufhängen für die sieben Geflohenen und im Scheinwerferlicht Georg Heisler (Spencer Tracy), der buchstäblich nur durch Waten in Dreck und Schlamm sich vor den Hunden retten kann und vor unseren Augen immer wieder Glück hat, daß sie nicht ihn, sondern nach und nach die anderen sechs Häftlinge fangen. Das wird im Film noch stärker betont, daß immer dann, wenn er fast aufgeflogen und gefaßt worden wäre, ein anderer gefunden wird. Wie die dann gefoltert werden, um Details über die Flucht und mögliche Sympathisanten, wo sie Unterschlupf finden, herauszupressen, wird genauso getreu abgebildet, wie die Erlebnisse des Georg auf seinen Stationen, die, wie gesagt, im Roman alle in Frankfurter Vororten und der Innenstadt spielen, hier aber in Mainz bleiben, was – wie im Roman – mit der Übernachtung im Dom beginnt.

Wie der Film verknappt, aber inhaltlich dabei bleibt, kann eine kleine Szene zeigen, die im Roman anrührend eine alte, schon demente Frau und ihre Enkelin zeigt, der Georg das gefundene Bändchen zurückgibt, das den Zopf gehalten hatte. Es ist die Szene, wo er auf einmal Motorgeräusche hört und über den mit Glasscherben gespickten Zaun springt. Im Film ist nur das kleine Mädchen übriggeblieben, ein herziges Kind, das die Gemüter rührt, wenn es selbst das Bändchen aufhebt und Georg bittet, ihr die Schleife zum Zopf zu binden.

Ja, es gibt einige leicht rührseligen Bilder im Film, aber das finden wir angemessen. Und mit den staunenden Kinderaugen auf der Leinwand fragte sich auch der Zuschauer, wo denn Georg geblieben ist, der eben noch neben der Kleinen auf der Straße ging. Das sind Szenen, wo einem besonders auffällt, wie bildlich Anna Seghers schreibt, denn die gefundenen Bilder im Film sind immer wieder dem Roman schon eingewoben.

Überhaupt kommen die Deutschen im Film recht gut weg, findet man im Nachhinein. Es ist eine schärfere Trennung zwischen den Bösen, den Nazis und den Guten, die Georg trotz der Gefahr für ihr eigenes Leben helfen. Und selbst, wenn einer sich aus Angst heraushält, wie der Architekt Bruno Sauer (George Macready:) im bourgeoisen Zuhause beim Rasieren, als er auf Paul Röders Ansprache lügt, er kenne diese Zusammenhänge nicht, gibt ihm der Film noch einmal eine Chance, die zudem den zweiten Strang des Film, von dem noch keine Rede war, in die Hauptgeschichte flicht Denn derselbe Sauer, der gegenüber Paul Röder dementierte, einen Georg Heisler zu kennen, wird von seiner Frau Hedy motiviert, den Röders u.a. von Franz Marnet (Herbert Rudley:) zu erzählen, dem besten Freund von Georg, der mit einem Paß für Georg und Geld uns schon bekannt war, der aber bisher nicht wußte, wo Georg ist und Georg nicht, wo Franz ist. Im Roman erhält Franz zudem eine besondere Rolle, durch die Art der liebevollen Beschreibung durch Anna Seghers, die überhaupt alle Freunde und damit zumindest inneren Widerständler zum NS-System sehr menschlich darstellt, einschließlich ihrer Ängste.

Die läßt der Film nicht weg, macht aber aus den Helfern des Georg sehr viel heroischere Menschen. Und dramatisiert, in dem er Franz aus dem fernen Berlin herbeieilen läßt, was ja erklärbar macht, daß Georg auf seiner Flucht auf ihn nicht baut. Im Roman dagegen verfolgen wir des Franzens Wanderung f siebte2vom Taunus her in die Stadt und sein Bemühen, an Georg heranzukommen. Das führt zu einer ganz wesentlichen Änderung des Films gegenüber dem Buch, das überhaupt nichts mit dem Inhalt, der Verlaufsschilderung zu tun hat, sondern grundsätzlich ist: im Roman, der eine Geschichte von kleinen Leute ist, die im Gemenge zwischen Kleinbürgertum und Proletariat, übrigens genau die Zielgruppe der Nationalsozialisten, ist Georg keiner, der im Alltag mit Anzug und Krawatte herumläuft. Aber genau dazu wird er im Film gemacht. Ist das das Amerikanische am Film, überlegten wir uns, die wir ja auch heute in einer Gesellschaft leben, die Männern ziemlich sklavisch immer noch zumindest das Hemd zum Jacket und meist auch die Krawatte vorschreibt.

Im gewissen Sinne steigt Georg also gesellschaftlich im Film sogar auf. Und er reißt ein bißchen seine Freunde mit, denn auch der Arbeiter Paul Röder trägt Hemden unter dem Jacket, das allerdings für alle Männer üblich war.

Der Film kürzt und verlegt die Handlungsszenen des Abschieds durch das couragierte Auftreten mit einer beginnenden Neigung der Kellnerin für Georg in ein Lokal mit Übernachtung, wo die im Roman namenlose Kellnerin als zusätzliches Zimmermädchen Toni heißt, tatsächlich – lebensentscheidend - Georg vor der SS rettet, sich beide ineinander verlieben und küssen, während es im Roman zurückhaltend heißt: „Mit ihr hätte ich alles teilen können, dachte Georg, mein ganzes Leben, aber ich habe ja kein Leben zu teilen.“ (428)

In dieses Lokal verlegt die Drehbuchautorin auch das Zusammentreffen von Paul Röder mit den anderen Helfershelfern, zu denen – siehe oben – sogar der Architekt Bruno Sauer stößt, wenn er von Franz berichtet und dieser mit den anderen endlich vereint ist, um Georg seinen gefälschten Paß zu übergeben.

f siebteWir haben so viele Szenen, die einfach herausragende Bildqualität haben, nicht erwähnt, insbesondere die heimeligen Familienbilder bei den Röders (Hume Cronyn und Jessica Tandy). Das Zusammenspiel beider ist besonders gelungen und man liest später, daß beide auch im wirklichen Leben verheiratet sind und daß er für seine Rolle des Paul eine Oscarnominierung erhielt. Auch die Aufnahmen bei der Kostümbildnerin und -verleiherin, zu der Mithäftling und Ausbrecher Bellani (George Suzanne) ihn schickt, und die ihn in neue Kleider steckt und vor der Verfolgung rettet, sind hinreißend. Bellanis Tanz auf dem Dach, die Verfolgung durch die Polzei und Gestapo und sein Sturz vom Dach ist so poetisch wie thrillerhaft. Und immer sehr vom Bild und der Wirkung auf den Zuschauer gedacht, einschließlich der Bevölkerung, die aufgebracht und sensationshungrig dem nicht nur zusieht, sondern Verfolgung Tod begrüßt.


Fotos:
© Verleih

Info:

Die deutsche Premiere fand im deutschen Fernsehen (ZDF) am 10. Januar 1972 in der Programmreihe „Der besondere Film“ statt.

Besetzung

Spencer Tracy: Georg Heisler
Hume Cronyn: Paul Roeder
Jessica Tandy: Liesl Roeder
Signe Hasso: Toni
Agnes Moorehead: Madame Marelli
Ray Collins: Wallau
Herbert Rudley: Franz Marnet
George Macready: Bruno Sauer
Katherine Locke: Hedy Sauer
Steven Geray: Löwenstein
Konstantin Shayne: Füllgrabe
George Suzanne: Bellani
John Wengraf: Overkamp
Martin Berliner: Beutler
Paul E. Burns: Pelzer
William Edmunds: Aldinger
Alexander Granach: Zillich
Felix Bressart: Poldi Schlamm
Eily Malyon: Fräulein Bachmann
George Zucco: Fahrenburg