IN DEN GÄNGEN im Rahmen von WAS TUT SICH – IM DEUTSCHEN FILM? im Deutschen Filmmuseum Frankfurt
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Noch bevor am 24. Mai IN DEN GÄNGEN in den Kinos anläuft, war im Kino des Deutschen Filmmuseums nicht nur der Film zu sehen, sondern bestand die Möglichkeit, erst dem Gespräch zwischen dem Autor Clemens Meyer, dem Regisseur Thomas Stuber und Rudolf Worschech zu folgen und dann selber Fragen zu stellen.
Clemens Meyer und Thomas Stuber arbeiten in diesem Film das dritte Mal zusammen. Auch der Abschlußfilm von Stuber VON HUNDEN UND PFERDEN (2011) wurde gleich mit Preisen ausgezeichnet. Und die zweite Zusammenarbeit HERBERT (2015) erhielt drei der deutschen Filmpreise, darunter auch den für den Hauptdarsteller Peter Kurth. Thomas Stuber muß wirklich ein Schauspielerregisseur sein, denn auch für IN DEN GÄNGEN erhielt gerade im April der Hauptdarsteller Franz Rogowski den Deutschen Filmpreis für den Besten Hauptdarsteller 2018.
Vor dem Film las Clemens Meyer den Beginn seiner Erzählung IN DEN GÄNGEN, die in DIE NACHT, DIE LICHTER im S.Fischer Verlag 2008 erschienen ist. Erst einmal aber erzählte er, daß er selbst von 2000 bis 2003 in einem Großmarkt als Gabelstaplerfahrer gearbeitet hatte und diesen Kosmos zum Ausgangspunkt seiner Erzählung nahm. Darin wird der Leser mit dem bisherigen Leben, nein, besser: dem bisherigen Beschäftigungsverhältnis des Christian konfrontiert. Verheerend diese Arbeitsbedingungen auf dem Bau, wo er als Hilfsarbeiter die schwersten Säcke schleppen muß und nur mit Zerstörung, mit Abreißen und Niedermachen zu tun hat. Und dann auch noch entlassen wird. Nun bewirbt er sich als Warenverräumer, eine Berufsbezeichnung, die einem so fremd ist, wie das ganze geheime Leben dieser verschworenen Arbeitnehmergruppe in einem x-beliebigen Großmarkt, der zwar überall stehen könnte, aber in der menschlichen Dimension der dortigen Mitarbeiter immer noch die Wärme von DDR-Belegschaften atmet. Davon war an diesem Abend nicht die Rede, muß auch nicht sein, der Film wirkt für sich.
Er war nicht nur als einer von vier deutschen Filmen zur diesjährigen BERLINALE eingeladen, sondern wurde sowohl bei der Pressevorführung, der Pressekonferenz und der anschließenden Premiere geradezu gefeiert. Was uns anging, war es so, daß wir erst mal keine großen Erwartungen hatten und dann von der Lakonie und Zärtlichkeit dieser kleinen Geschichte mit den großen Gefühlen von kleinen Leuten geradezu verführt wurden und selbst große Gefühle entwickelten. Das ist einfach ein sehr guter Film. Das zeigte das zweite Mal als Pressevorführung und auch beim dritten Mal im Deutschen Filmmuseum entdeckte man wieder Feinheiten, wie das zusammenhängt mit den Absichten des Regisseurs und dem Geschehen auf der Leinwand. Ein kluges Konzept und eine perfekte Umsetzung dessen, was die Erzählung vorbereitete, wobei die Musik nicht allein Begleitung, sondern dramaturgische Funktion erhält.
Die Geschichte von Christian (Franz Rogowski) und der Süßwarenmarion (hinreißend zupackend und gleichzeitig scheu: Sandra Hüller) kommt als Zugabe noch drauf auf eine Geschichte, wie einer lernt, mit den Gabelstaplern umzugehen, einschließlich Führerscheinerwerb, und eigentlich alles Bruno (Peter Kurth) zu verdanken hat, der bisher in der Getränkeabteilung die Paletten vertikal und horizontal an ihren Platz bringt, nur selber nicht weiß, wo sein Platz im Leben noch ist. Diese Melange aus Zuversicht und Hoffnungslosigkeit, wo einer auf den anderen achtet und man einander doch nicht kennt, ist eine durchgehende Situationbeschreibung, in der aber das Gefühl, die Schwierigkeiten gemeinsam zu meistern überwiegt. Für die meisten. Doch wie es drinnen aussieht, geht zwar jeden an, weiß aber keiner.
Im anschließenden Gespräch ging es erst einmal darum, wie das Drehbuch entstand, das Stuber und Meyer zusammen schrieben und wo im Unterschied zu Romanen, wo dauernd etwas weggenommen werden muß, dringend etwas hinzugefügt werden muß, damit aus der Kurzgeschichte eine pralle Leinwand wird. Für Thomas Stuber ist bei diesem Prozeß das Wichtigste das Verrinnen der Zeit. Er hatte sowieso dauernd anderes zu tun, z.H. HERBERT zu drehen und bei jeden neuen Anlauf gewann die Geschichte an Präzision mit all den Ideen, die im Kopf schon den Film ablaufen lassen.
Konkret konnten die beiden auch ganze Motivbündel im Film benennen, die in der Erzählung überhaupt nicht vorkommen, wie die anrührende Weihnachtsfeier im Betrieb und auch solche Zusätze, daß Christian die krankgeschriebene Marion besuchen will, die unglücklich verheiratet ist, wobei ihr Mann gerade das Haus verläßt. Dieser Mann ist im Film Clemens Meyer, allerdings beschränkt sich sein Auftritt auf diese kurze Szene, denn die Zuschauer hatten an diesem Abend ihn auch in anderen Rollen wiedererkannt. Fälschlich.
Ein starkes Moment im Film ist die Wortlosigkeit, besser: die wenigen Worte, die die Darsteller machen. Und dafür werden dann die richtigen Worte gefunden, wenn Marion gleich bei den ersten Zusammentreffen am Kaffeeautomaten – der Geld kostet – zu Christian, den sie lange nur Frischling nennt, sagt: „Bist ja ne richtige Tratschtante. Da kommt man ja überhaupt nicht zu Wort.“
Thomas Stuber berichtet von den Dreharbeiten an zwei Großmärkten, die im Film zu einem werden, die nur nachts stattfinden konnten, wenn der Markt geschlossen war und die normale Belegschaft zu Hause war: zwischen 20 Uhr bis 6 Uhr morgens. Das sind schon starke Herausforderungen. Aus dem Publikum wurde dann nach der Musikauswahl gefragt, die mit AN DER SCHÖNEN BLAUEN DONAU beginnt, eine Hommage an Kubricks 2001 – ODYSEE IM WELTRAUM, wozu dann die Gabelstapler durch die Gänge fahren, ach was, tanzen. Das hat schon was.
Mehr demnächst, wenn der Film anläuft.
Foto:
© Verleih
Info:
D 2018. R: Thomas Stuber Start: 24.5.2018. Zorro Verleih
Darsteller
FRANZ ROGOWSKI
SANDRA HÜLLER
PETER KURTH
ANDREAS LEUPOLD
SASCHA NATHAN
HENNING PEKER
RAMONA KUNZE-LIBNOW
MICHAEL SPECHT