Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Juni 2018, Teil 5
N.N.
Paris (Weltexpresso) - DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEÏLA ist ihre erste Zusammenarbeit mit Yvan Attal, Sie haben bis jetzt weder mit ihm als Schauspieler noch als Regisseur zusammengearbeitet. Welche Vorstellungen hatten Sie von ihm und inwieweit haben sich diese bestätigt?
DA: Ich würde mal sagen, man gleicht dem, was man macht und ich finde die Filme von Yvan ähneln ihm wirklich. Ich habe mich von seiner Persönlichkeit überraschen lassen, von seiner Begeisterung, seinem Schwung, seiner Jungend, seiner Großzügigkeit, auch von seinen Widersprüchen. Ich habe in seiner Arbeit all das wiedergefunden, was ich vermutet hatte. Wir kannten uns nicht sehr gut: Claude Berri hat uns bei den Dreharbeiten zu „L'UN RESTE, L'AUTRE PART“ vorgestellt und seitdem sind wir uns nur manchmal über den Weg gelaufen. Aber seit einigen Jahren stand er ganz oben auf der Agenda derjenigen, mit denen ich irgendwann mal arbeiten wollte, sei es als Partner vor der Kamera oder unter seiner Regie.
Und jetzt haben Sie mit ihm gedreht, welche Erfahrungen haben Sie mit dem Regisseur Yvan Attal gemacht?
DA: Yvan wusste ganz genau, was er wollte. Ich als Schauspieler komme immer zum Set mit einer ziemlich neutralen Haltung, sehr offen. Was Mazard betrifft, hatte ich einen wütenden Mann im Kopf und Yvan wollte, dass sich diese Wut nach außen kehrt. Von dem Moment an, in dem sich die Rolle sehr auf das Wort fokussierte, musste man die Dinge stilisieren, damit es nicht zu langweilig auf der Leinwand ausschaut. Wir haben darüber diskutiert und ich habe verstanden, wo er hinwollte und alles klappte prima. Es ist immer sehr angenehm mit einem Regisseur zu arbeiten, der selbst Schauspieler ist, weil er weiß, wie ein Schauspieler funktioniert und was er von ihm verlangen und wie er seinen Wunsch vermitteln kann.
Was war ihr erster Eindruck vom Drehbuch, wie haben Sie sich der Geschichte und der Figur des Pierre Mazard angenähert?
DA: Mir fiel sofort eine Art zeitgenössisches „Pygmalion“ ein. Ich glaube, das Stück von George Bernard Shaw ist charakteristisch für diesen Zynismus. Der Vorteil von DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEÏLA war der Gegenwartsbezug, dank der glaubwürdigen Figuren und Situationen. Ich habe sofort dieses durchdachte und sehr schöne Material gesehen und die Möglichkeit, an einem intelligenten Film mitzuwirken, der davon handelt, wie wir heute sind.
Pierre Mazard, Juraprofessor mit Liebe zur Sprache und zur französischen Kultur, ist vor allem auch ein grober Typ, der gerne provoziert. Das muss vor allem Neïla erfahren, dargestellt von Camélia Jordana. Verstehen Sie ihn trotz seiner Ausfälle und hat er Sie irgendwie berührt?
DA: Natürlich, sonst hätte ich ihn gar nicht spielen können. Die Härte ist ein Charakterzug von ihm, er kann gar nicht mehr ohne diese Schroffheit auftreten. Aber am Ende gibt er etwas weiter. Ich glaube, jeder von uns hat schon irgendwann mal einen Menschen getroffen, dem es an Manieren fehlte, der aber sehr effizient war.
Durch die Begegnung zwischen einer jungen Frau aus der Vorstadt und einem angesehenen Pariser, erzählt DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEÏLA auch von den ganz persönlichen Möglichkeiten, etwas zu erreichen, von der Bedeutung der Erziehung, von der Kultur, davon, was Misserfolg und Erfolg heißen können, vom Gefühl, in unserer modernen Gesellschaft seinen Platz zu haben oder auch nicht.
DA: Einverstanden, aber die Geschichte erzählt sich durch das Erscheinungsbild: Die renommierte Persönlichkeit wird aus der Perspektive von außen gesehen, vielleicht ist er im Grunde viel moderner oder viel jünger als eine Reihe seiner Studenten! DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEÏLA ist vor allem ein Film über Vorurteile und es gefällt mir, dass am Ende die Intelligenz triumphiert. Neïla setzt sich gegen die Vorurteile von Mazard durch, ein sehr schwieriger Mensch. Aber auch einer, der viel gibt. Er ist nicht politisch korrekt, er ist ein Provokateur. Aber es tut gut, dass man so etwas heute in einem Film zeigen kann.
Es handelt sich um einen Mann mit persönlichen Schwierigkeiten, aber Yvan Attal und die Drehbuchautoren, vertiefen dieses Thema nicht. Brauchten Sie seine Geschichte?
DA: Ja, aber ohne mich damit aufzuhalten. Diese Geschichte wird nicht erzählt, erlauben Sie mir, sie also geheim zu halten.
Pierre Mazard bewegt sich im universitären Milieu, in den Vorlesungssälen der juristischen Fakultät von Assas mit visuell sehr beeindruckende Locations. Kennen Sie diese Welt?
DA: Überhaupt nicht, wenn man mal davon absieht, dass ich im Mai ´68 eine Universität in Avignon besetzt habe. Damals war ich schon beruflich engagiert und habe also nie eine Universität besucht. Aber das Universitätsleben und dieser ganze Wissenskomplex haben mich immer fasziniert: Diese Vorstellung, dass ein Mann oder eine Frau einem Dinge lehren kann, die einen intellektuell aufbauen. Ich dagegen bin mit meinen „Waffen“ als Autodidakt meinen Weg gegangen und ich lerne heute noch. Aber ich gebe zu, in diesem riesigen Vorlesungssaal beschlich mich das Gefühl wie in einer Kathedrale: Intelligenz, Wissen oder Kultur haben schon etwas Sakrales an sich.
Wie war die Zusammenarbeit mit Camélia Jordana, mit der Sie ein von Anfang an funktionierendes und herzergreifendes Gespann bilden?
DA: Ich hatte sie mal gesehen und im Fernsehen singen gehört und mir gefiel ihre Stimme, aber ich kannte sie nicht persönlich. Bei der Vorbereitung und am Set habe ich eine junge Schauspielerin getroffen, die auf Anhieb den Sinn ihrer Rolle verstanden hat. Camélia war sich der Herausforderung bewusst und ich finde sie einfach großartig. Die Aufteilung zwischen uns war sehr genau, weil DIE BRILLANTE LE MADEMOISELL NEÏLA auch ein Film über die Sprache ist. Das Gefühl, das Sie erwähnen, hat sich irgendwann verflüchtigt, umso besser.
Ihre Darstellung von Mazard ist überzeugend und sehr dicht: Haben Sie das Gefühl, einem besonderen Menschen begegnet zu sein, wichtig in diesem Moment ihrer Schauspielkarriere?
DA: Ein Schauspieler bringt seine persönliche Entwicklung in die Figuren ein. Im Laufe der Zeit spielt man natürlich mit der Bürde der Jahre auf den Schultern. Mir sind diese wundervollen Begegnungen mit Regisseuren und herausragenden Kollegen im Laufe meines Berufslebens zu Gute gekommen. Die Rolle des Mazard ist keine Selbstverständlichkeit (und deshalb machte sie auch so großen Spaß), aber die Geschichte seiner Entwicklung ist selbstverständlich, geht es doch um menschliche Bedürfnisse, um die Notwendigkeit, etwas weiterzugeben. Dieses Gefühl spüre ich in diesem Moment wie auch als Regisseur. Diese Lust hat sich mit der Zeit entwickelt, wie die Lust, Teil eines gemeinsamen Filmprojektes zu sein. So freue ich mich schon darauf, mit Gerard Depardieu, Sandrine Kiberlain oder Adriana Ugarte meinen nächsten Film zu realisieren.
Interview mit Camélia Jordana
Sie sind bekannt als Musikerin und Sängerin, aber seit einigen Jahren sieht man sie auch im Kino. Woher kommt Ihre Lust, in Komödien mitzuspielen?
CJ: Da, wo ich aufgewachsen bin, gab es im künstlerischen Milieu nur Amateure und mein heutiges Leben mit meinen Künstlerfreunden schien eigentlich unerreichbar für mich. Und dann ist die Musik zu meinem Beruf geworden... Ich habe damals relativ schnell zu meinem Manager gesagt, wenn sich diese Träume verwirklichen, habe ich noch einen anderen: Schauspielerin zu sein.
Welche Schauspielerinnen oder Filme haben Sie als Jugendliche zum Träumen gebracht?
CJ: Nicole Kidman, Kate Winslet, Victoria Abril und die Filme von Pedro Almodóvar, mit denen ich groß geworden bin. Ich erinnere mich auch noch wie mich auf dem Gymnasium DEAD MAN von Jim Jarmusch so richtig aufgewühlt hat. Genau in diesem Moment habe ich verstanden, dass man dank des Kinos Zugang zu einer wahren Freiheit hat, durch Bilder und Worte, was mir bis dahin nicht so klar war.
Die Rolle der Neïla in DIE BRILLANTE MADEMOISELLE NEÏLA ist zweifellos ein wichtiger Schritt in ihrer zukünftigen Karriere auf der großen Leinwand. Aber auch bisher war ihre Rollenwahl sehr anspruchsvoll und interessant, wenn man mal VOLL VERSCHLEIEERT, NUR WIR DREI GEMEINSAM oder BIRD PEOPLE betrachtet...
CJ: Ich habe die Chance, ein Musikprojekt zu verantworten und ich glaube, dass die Kinoprojekte, für die ich mich engagiere, auch eine Verbindung zu dem haben, was ich gerne in der Musik erzähle. Ausschlaggebend bei einem Kinofilm ist für mich vor allem das Drehbuch, dann der Regisseur und dann die Besetzung. Für mich muss ein Film etwas zur Sprache bringen, was ich verteidigen möchte, ein Thema, dem ich mich nahe fühle...
Ich nehme mal an, die Figur der Neïla gehört in diese Kategorie...
CJ: Aber natürlich. Schon beim Lesen des Drehbuches hat sie mich sehr berührt. Neïla ist ein junges Mädchen, das versteht, dass Sprache eine Waffe sein kann und wer sich ihrer bedient, kann sich verteidigen und andere, die es nötig haben. Diese Intelligenz hat mir wirklich gefallen. Ich mochte auch den Zusammenprall zweier Generationen, der von Neïla und der von Pierre Mazard, völlig gegensätzliche Charaktere, obwohl beide in demselben Land aufgewachsen sind und die gleiche Kultur teilen, obgleich sie sich nie begegnet sind. Ihre Begegnung beruht nur auf der Verspätung von Neïla bei ihrer ersten Vorlesung von Mazard, eine eskalierende Situation. Aber das Leben sorgt dafür, dass der eine den anderen für seine Ziele benötigt.
Ich finde es sehr interessant, dass der Film die Idee des „gemeinsam leben“ gründlich unter die Lupe nimmt, aber ohne eine aufdringliche Botschaft zu verkünden. Ich möchte noch hinzufügen, dass es mir sehr gefällt, wie Yvan den Film mit dieser Antwort enden lässt: „Mademoiselle Neïla Salah, Sie haben das Wort...“. Ich habe das Gefühl, das die Leute meines Alters durch Enttäuschung und Desillusion oft den Glauben an sich selbst verlieren. Meine Generation ist irgendwie amorph, geisterhaft, gefesselt an das Handy, das fast ein Teil ihrer selbst ist. Eine Jugend, der der Zugang zu vielen Möglichen fehlt, die man ihr versprochen hat. Jetzt nimmt sie die Mittel selbst in die Hand, um ihr Ziel zu erreichen. Ich finde es amüsant, dass sie dabei die neuen Technologien benutzt und die permanente Verfügbarkeit in Kauf nimmt und sich sagt, ich kann meine Wünsche realisieren: „Ich gehöre nicht zur Generation meiner Eltern, ich kann bekommen was ich will“. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Übermittlung und Weitergabe von Wissen, Kultur, der französischen Sprache und den wunderbaren Texten... Und diese Weitergabe kennzeichnet die Beziehung zwischen Neïla und Mazard, sie lernen voneinander trotz aller Unterschiede.
Wie würden Sie die Figur von Pierre Mazard charakterisieren? Ist er ein Provokateur, ein Reaktionär, ein Fascho oder ganz einfach nur ein unglücklicher Mann?
CJ: Ich würde mal sagen, er ist vor allem ein Provokateur, weil er unglücklich ist. Daniel schafft es, ihn so darzustellen, dass er den Zuschauer berührt mit seiner Einsamkeit und seinem Schmerz. Ich glaube nicht, dass Mazard ein unkultivierter Rassist ist, den die Angst vor dem Anderen umtreibt, dem Unbekannten. Er ist ein renommierter Pariser Anwalt, er lebt nichtzurückgezogen, obgleich er sehr allein ist. Seine Provokation ist wie eine komfortable zweite Haut, die er sich während der Vorlesungen aneignet, wo er sich immer wieder einen Buhmann herauspickt. Wie die beiden aufeinander zugehen, wird ihn im Grunde aber nicht ändern: Er ist und bleibt ein Provokateur.
Wie war die Zusammenarbeit mit Daniel Auteuil? Mussten Sie erst einmal vergessen, dass sie einem der ganz großen französischen Schauspieler gegenüberstanden?
CJ: Ihn zu treffen und mit dieser Ikone des französischen Films gemeinsam vor der Kamera zu stehen, hat mich schon sehr bewegt, ich kenne seine Filme seit meiner Kindheit und auch meine Familie findet ihn ganz toll. Ehrlich gesagt, lief alles ganz einfach. Nachdem Daniel mich begrüßt hatte, erzählte Yvan einen Riesenwitz und wir haben uns halbtot gelacht, so entspannte sich die Atmosphäre. In der Arbeit lässt Daniel keine Gefühle durchschimmern, er ist sehr schüchtern. Zurückhaltung und Feinsinnigkeit prägen sein Verhalten und seine Aufmerksamkeit dem anderen gegenüber. Es war ein großes Vergnügen und eine große Ehre mit ihm zu arbeiten.
Yvan Attal hat Sie zusammengebracht. Wie sehen Sie ihn als Regisseur und Mensch?
CJ: Ich bewunderte ihn schon vorher als Schauspieler und Regisseur. Wir haben uns während der Proben kennen gelernt und schnell eine große Vertrautheit zwischen uns gemerkt, fast wie zwischen Geschwistern. Der Ton zwischen uns und der Humor waren super, es lief alles wie von selbst. Es war wie ein Treffen mit neuen Leuten, die einem wie alte Freunde vorkommen. Das hat sich bei den Dreharbeiten gezeigt, bei denen Yvan nicht lang und breit etwas erklären musste, sondern es reichte ein kurzer Satz, eine kleine Anweisung. Uns verbindet eine zweite gemeinsame Kultur. Im Roman „La Promesse de l'aube“ spricht Autor Romain Gary vom „russischen Ausdruck“ seiner Mutter. Ich glaube, Yvan und ich teilen den „semitischen Ausdruck“. Das ist nicht nur eine Sache der Erziehung, sondern auch eine Lebensart und darin haben wir uns selbst wiedererkannt.
Foto:
© Verleih
Info:
BESETZUNG
Pierre Mazard Daniel Auteuil
Neïla Salah Camélia Jordana
Mounir Yasin Houicha
Neïlas Mutter Nozha Khouadra
Universitäts-Präsident Nicolas Vaude
Benjamin Jean-Baptiste Lafarge