Verleihung der Hessischen Film- und Kinopreise 2011 in der Alten Oper in Frankfurt am Main am 14. Oktober
von Anna von Stillmark und Hans Weißhaar
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist nun schon Tradition, daß auch der Hessische Ministerpräsident bei der Verleihung der Kino- und Filmpreise seinen persönlichen Ehrenpreis verleiht und dies begründet. Um den ausgewählten Heiner Lauterbach ging es allerdings weniger, als Volker Bouffier als Letzter die Bühne betrat und leutselig über alles mögliche sprach, was nicht immer gut verständlich war, hatte er doch ein Bonbon im Mund, das wohl am Gaumen pappte, das er hin- und herzuschieben versuchte, und schließlich auf das Geraune aus dem Publikum reagierend, äußerte: Ich habe das Ding nicht schnell genug zu Ende gebracht“, denn er habe seiner schweren Grippe wegen ein Halsbonbon gelutscht. Da sollte man doch vielleicht neben den vielen vielen Preisen noch einen Komikerpreis ausloben, denn der Ministerpräsident selbst ausruft, die Kandidaten selbst nominiert, sie dann auswählt, und sich selbst dann auf der Bühne den Preis übereicht.
Dann wäre er ähnlich omnipotent wie es diesmal Matthias Schweighöfer war, der den SONDERPREIS DER JURY erhielt für WHAT A MAN, wo er in einem das Drehbuch, Produktion, Regie und die Hauptrolle verantwortet, also dieser WHAT A MAN persönlich ist.
Mavie Hörbiger begründete dies unter rauschendem Beifall, denn der vollbesetzte Große Saal mit über 1000 Gästen in der Alten Oper goutierte, daß der Film in Frankfurt spielt. Schweighöfer wiederum bedankte sich für den undotierten Preis damit, daß er nur dank der Hessischen Filmförderung diesen Film habe verwirklichen können, diese Stadt als Filmstadt klasse fände und gerne alle seine weiteren Filme hier ansiedeln möchte.
Darüber entscheidet u.a. die Geschäftsführerin der Hessischen Filmförderung, Maria Wismeth, der so oft gedankt wurde, daß ihr die Ohren geklingelt haben müssen, die aber seit Jahren für ihren großen Einsatz und kluge Entscheidungen auch außerhalb von Ehrungen und Gala-Publikum gelobt wird. Sie war Mitglied der Jury, die den Hauptpreis der Hessischen Filmpreise (25 000 Euro), den Spielfilm WER WENN NICHT WIR auszeichnete, bei dem Andres Veiel Regie führte. Zwischen Nennung und Preisübergabe werden jeweils Filmausschnitte groß auf der Bühnenleinwand gebracht, was wenigstens einen atmosphärischen Eindruck der jeweiligen Filme vermittelt.
Hier kam WER WENN NICHT WIR gleich zweimal mit nur leicht unterschiedlichen Ausschnitten, denn auch der Hessische Fernsehpreis für die beste Darstellerin ging für ihre Darstellung der Gudrun Ensslin an Lena Lauzemis in diesem Film, der behutsam und deutlich zugleich das Milieu der Sechziger schildert, aus dem heraus eine Pfarrerstochter wie die Ensslin sich erst in den Sohn des NS-Dichters Bernward Vesper (August Diehl) verliebt und diesen für Andreas Baader dann verläßt. Da die Lauzemis in Madrid Theater spielt, konnte sie den undotierten Preis nicht entgegennehmen, was für sie Mitspieler August Diehl tat.
Diehl war allerdings beim folgenden männlichen Darstellerpreis als Vesper zwar nominiert, ausgezeichnet jedoch wurde Justus von Dohnányi für seine Rolle in TATORT – EINE BESERE WELT, unter der Regie von Lars Kraume, dem Dohnányi dann dankte. Dabei muß die Laudatorin Katharina Wackernagel schon deshalb hervorgehoben werden, weil sie ihr Lob in Reimen vorbrachte, zum großen Vergnügen der Anwesenden, denn die Reime waren richtig gut! Sie fiel auch in der anschließenden Feier im ganzen Haus dadurch auf, daß sie einerseits ihrer Rolle als sehr bekannte Schauspielerin gerecht wurde, sich andererseits aber auch im normalen Publikum bewegte, Gespräche führte und überhaupt Glanz in die kleinere Hütte, sprich Zwischenfoyer brachte. Dort fühlte sich auch Eva Kühne-Hörmann, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst sehr wohl, der alles hessische Filmschaffen untersteht.
Beim nächtlichen Feiern waren der Buchmessenchef Juergen Boos und sein für die beste Internationale Literaturverfilmung ausgewählter Preisträger David Heyman schon weitergezogen. Heymann wurde als Produzent aller Harry-Potter-Filme ausgezeichnet und darf das Preisgeld von 10 000 Euro mitnehmen, die Showeffekte waren auf der Leinwand zu sehen; aber David Heyman ist auch für andere Filme bekannt, besser muß man sagen, die Filme sind bekannt, die er produziert, denn das Publikum will das Ergebnis sehen und beurteilen. Die Männer im Hintergrund interessieren nur die Fachleute. Heyman ist diesjährig auch Mitspieler auf der Buchmesse, denn zwischen den hundertausenden von Büchern hat Juergen Boos seit Jahren dem Film und dem Filmschaffen, vor allem aber der Verbindung von Buch und Film einen großen Platz eingeräumt, der nicht nur zum laufend spielenden Kino auf der Buchmesse führte, sondern eben auch zu vielen Seminaren und Symposien, Veranstaltungen und Treffen, auf denen diesmal auch Heymann sein Filmwissen weitergab.
Die Veranstalter, wie schon seit Jahren Barbarella Entertainment, hatten es diesmal geschafft, die Preisverleihungen auf zwei Stunden zu kürzen, was zur Folge hatte, daß es nur um die Preisträger, nicht mehr um die meist im Dreierpack Nominierten ging, was schade, aber einsehbar ist. Daß es auch kurzweilig erschien, hat sicher mit AUGUST ZIRNER UND DAS SPARDOSEN-TERZETT zu tun. Der bekannte Schauspieler ist also auch Querflötenspieler und jazzte gekonnt und schräg mit seinen Männern. Da hätte man noch lange zuhören wollen.
Und – so ist das im Leben und auch in der Zeitung – diejenigen, für die die errungenen Preise viel wichtiger als für die schon bekannten Leute sind, weil sie die dotierten Auszeichnungen in einer Lebensphase erhalten, wo auch das Preisgeld gut für das nächste Vorhaben paßt, diejenigen werden jetzt nur noch kurz, aber mit ihren Jurys und den Begründungen benannt:
HESSISCHER HOCHSCHULFILMPREIS
Preisträger: „Frankfurt Coincidences“
Regie: Enkelejd Lluca
Preisgeld: 7.500 Euro
Laudatoren: Dominic Raacke & Rike Schmid
Jurybegründung: Großes Kino made in Frankfurt! Zufällige Begegnungen im Leben der Großstädter verwebt Enkelejd Lluca in seinem episodischen Spielfilm „Frankfurt Coincidences“ kunstvoll zu einem vielschichtigen Porträt einer kosmopolitischen Metropole. Mit den klaren, pointierten Bildern seines Kameramanns Dennis Mill und überzeugenden Darstellern zieht Lluca den Zuschauer immer tiefer in seine Erzählungen hinein und lässt ihn an der Frage teilhaben, was das Leben in der Großstadt trotz aller Widrigkeiten lebenswert machen kann.
HESSISCHER FILMPREIS: DOKUMENTARFILM
Preisträger: „Joschka und Herr Fischer“
Regie: Pepe Danquart
Preisgeld: 25.000 Euro
Jurybegründung: Pepe Danquart zeichnet das bewegte Leben von Joseph „Joschka“ Fischer durch sechs Jahrzehnte deutsche Nachkriegsgeschichte, vom Stadtguerillero zum deutschen Außenminister. Die Biografie, die weit über das hinausgeht, was man unter diesem Begriff im Dokumentarischen kennt, komprimiert aus über 300 Stunden Archivmaterial 24 kurze Filme, die in jeweils drei Minuten Länge geschnitten als Loops, Endlosschleifen, auf Glaswände projiziert werden, zwischen denen sich der Protagonist bewegt und aus seinem turbulenten Leben erzählt – kaum selbstverliebt, manchmal selbstkritisch und selbstzweifelnd, immer selbstironisch. Packender Geschichtsunterricht mit einer polarisierenden Persönlichkeit.
HESSISCHER DREHBUCHPREIS
Preisträger: „He da, die Verrückte“
Drehbuch für einen Spielfilm von Eva Heldmann
Preisgeld: 7.500 Euro
Laudatorin: Pegah Ferydoni
Jurybegründung: Die französische Malerin Blandine lebt mit ihrem Freund in Frankfurt. Grenzgängerisch durchwandert sie die Stadt und lädt Männer ein, ihr Modell zu sitzen. Sie ist eine Forscherin in Sachen Kunst und Liebe. Ihre Arbeit in der Bahnhofsbuchhandlung hält sie nur an losen Fäden in der Realität, der sie immer fremder wird.
Der Autorin ist ein brüchiges Frauenporträt gelungen, ohne dass sie der Versuchung der Psychologisierung erliegt. Sie kreiert ein Gewebe aus Bildern und Ereignissen, in denen die Stadt eine aktive Rolle spielt. Ein gelungener Versuch durch oft assoziative Verknüpfungen eine extreme städtische Existenz lebendig werden zu lassen. Dadurch, dass die Autorin die Briefe der Patricia Boulay zur Grundlage ihrer Arbeit macht, wächst dem fiktionalen Buch ein Moment des Dokumentarischen zu, das immer wieder die Linearität der Geschichte durchsetzt.
HESSISCHER FILMPREIS: KURZFILM
Preisträger: „n gschichtn“
Regie: Eva Becker
Preisgeld: 10.000 Euro
Laudatoren: Alexander Fehling & Natalia Avelon
Jurybegründung: Was tun, wenn die Kausalität nicht mehr hochfährt? Wie lebt es sich an der Peripherie eines Datennetzwerks, wo man die Datenautobahn nur noch leise rauschen hört? Trocken, überraschend
und mit anarchischem Humor beantwortet Eva Becker in ihrem Kurzfilm „n gschichtn“ Fragen wie diese und erforscht die Absurditäten des Lebens. Ein Meisterwerk des Un-Sinns, eine genialistische Reflektion auf die Unebenheiten des virtuellen Raums.
Den größten Batzen erhält mit 95 000 Euro der HESSISCHE KINOKULTURPREIS. Der geht allerdings an viele, konkret 17 Preisträger, die für ihren Einsatz fürs Kino geehrt werden, differenziert in gewerbliche und kommunale Kinos, wobei jeder einen anderen Scheck erhält. Den höchsten mit 15 000 Euro das MAL SEH’N KINO in Frankfurt am Main. Aber auch NAXOS.KINO IM THEATER, ebenfalls aus Frankfurt wird sich über die 1 000 Euro gefreut haben und wir uns über die dortige Aufführung von FRITZ BAUER.TOD AUF RATEN von Ilona Ziok
Ach, etwas hätten wir jetzt doch fast vergessen. Schon wieder gab es einen Sonderpreis der Jury zum Hessischen Fernsehpreis. Als Preisträger wurde das Ensemble von EIN GUTER SOMMER, nämlich Jördis Triebel, Andreas Schmidt und Devid Striesow ausgezeichnet. Und die Jury sagte dazu: „… In diesem Film erleben wir drei Menschen, die jeder auf seine ungewöhnliche Art und Weise aus dem Leben fallen und diese drei Schauspieler machen die Engführung dieser drei Lebensläufe, die sich für einen Sommer zu einem Lebensstrom verbinden, ganz plausibel und nachvollziehbar. Die Figuren erleben Augenblicke von höchstem Glück und tiefster Verzweiflung und wir erleben, wie die Schauspieler hinter diesen Augenblicken verschwinden, weil sie selbst sich vor dem Erleben ihrer Figuren verbeugen. Das ist die höchste Schauspielkunst: Etwas durch Demut ganz an sich ziehen, es aufgeben, es loslassen und es uns zu schenken. Wer schaut schelmisch-melancholischer als Andreas Schmidt, wer liebt impulsiver als Jördis Triebel ihre Figuren lieben lässt und wer ist als Harlekin unberechenbarer und launisch-lustiger als Devid Striesow?“ Da können wir nur zustimmen und auf den nächsten Hessischen Film- und Kinopreis 2012, wie immer im Rahmen der Buchmesse, gespannt sein.