f dorfblank1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. August 2018, Teil 4

N.N.

Paris (Weltexpresso) - Was war Ihre Reaktion, als Sie das Drehbuch in die Hände bekommen haben?

Ich fand die Idee irre! Ich kannte das Prinzip dieser Happenings, bei denen nackte Massen in seltsamen Umgebungen fotografiert werden – manche von ihnen haben mich sehr beeindruckt. Das auf die Bauern der Normandie anzuwenden, die sogar bei 40 Grad Hitze, wie meine Figur sagt, unter keinen Umständen ihre lange Hose ablegen, das ist wirklich stark! Die Ineinanderblendung dieser beiden Welten hat mich begeistert, zumal damit der Sache der Bauern gedient wurde. Ich liebe Komödien, die zu erfinden wissen.


Kannten Sie vorher schon den Regisseur Philippe Le Guay?

Vor 15 Jahren haben wir es verpasst zusammenzuarbeiten. Damals erschien mir Philippe so einzigartig, dass er mich einschüchterte. Heute bin ich weniger schüchtern, und er ist es zweifellos auch. Ich hatte sofort Lust, den Film mit ihm zu drehen. Ich kenne seine Vorstellung von Kino, ich weiß, wo er hinwill. Ich erinnere mich, dass ich am ersten Drehtag zu ihm gesagt habe: „Philippe, ich werde alles tun, damit du glücklich bist und der Film ein Erfolg wird!“


Warum war das für Sie so wichtig?

Ich stamme aus einer Familie von Bauern. Ich höre noch meinen Großvater zu mir sagen: „Weißt du, was der Preis für ein Kalb vor 20 Jahren war? 500 Euro! Weißt du, wie der Preis heute ist? 500 Euro!“ Die Nöte der Landwirte berühren mich. In EIN DORF ZIEHT BLANK gibt es einen phänomenalen Satz, der ihre Situation auf den Punkt bringt: „Wir haben Frankreich Hunderte von Jahren ernährt, und nun lässt man uns vor Hunger krepieren!“ Es würde eine kleine Revolution brauchen, um die Dinge zu ändern.


Das ist in etwa das, was Ihre Figur den Dorfbewohnern vorschlägt...

Angesichts der verzweifelten Lage, in der sie sich befinden, erscheint ihnen das Angebot des Fotografen als beste Lösung, um sie zu retten; viel wirksamer jedenfalls als die Blockade einer Nationalstraße. Dabei halten sie ihn für durchgeknallt.


Wie würden Sie den Mann beschreiben, den Sie spielen und der sich für seine Gemeinde schonungslos verausgabt?

Wie alle Bürgermeister dieser kleinen Gemeinde kennt er Gott und die Welt. Er hat Überzeugungskraft, Autorität, ist nett und großzügig, aber er hat auch seine Zweifel. Er betrachtet seine Dorfbewohner als seine Kinder, er will, dass sie ihm gehorchen und begreift ihre Widerspenstigkeit nicht. Es ist eine großartige Figur.


...der fast dieselbe Überzeugungsarbeit leisten muss wie Philippe Le Guay bei den Menschen von Mêle-sur-Sarthe, damit sie sich nackt fotografieren lassen!

Balbuzard wurde sicherlich mit größeren Schwierigkeiten bei seinen Wählern konfrontiert, als Philippe sie mit den Bauern hatte! Die Leute wussten, dass er sie nicht verraten würde, und dass dieses Filmprojekt ihre Schwierigkeiten thematisiert – es war auch ihr Projekt. Seine nette Art und seine Aufrichtigkeit haben sie für ihn eingenommen – nur wenige andere Regisseure hätten das geschafft. Es gibt eine schöne Szene, in der meine Figur von den Dorfbewohnern verlangt, sich auszuziehen. „Mir macht das nichts aus, ich werde da hingehen“, sagt eine Landwirtin, „Wenn du mitmachst, mache ich auch mit“, antwortet eine andere... Und das wiederholt sich. Ich habe den Eindruck, dass es bei Philippe in etwa genauso abgelaufen ist. Mit den Körpern, die nicht unbedingt solche sind, die man Lust hätte zu zeigen. Das war sehr selbstlos von Seiten dieser Menschen.


Was ist mit Ihnen, fiel es Ihnen leicht zu akzeptieren, nackt fotografiert zu werden?

Nein. Ich hätte aus diesem Grund auch auf den Film verzichten können. Ich habe sofort zu Philippe gesagt: „Ich bin zu prüde, das ist unmöglich.“ Er hat mich beruhigt, mir gesagt, dass er eine Lösung finden würde, dass meine Geschlechtsteile abgedeckt werden würden. Ich hatte solche Lust, den Film zu machen, dass ich akzeptiert habe. Aber je weiter die Dreharbeiten fortschritten, umso mehr wurde mir bewusst, dass sich alle auf die Sache einließen, nur ich nicht, und das war nicht möglich. Ich habe beschlossen, die Idee, meine Geschlechtsteile abzudecken, einfach zu vergessen.


Das Foto ist sehr sittsam.

Wenn es in Philippes Vorhaben nur die geringste Perversität gegeben hätte, hätten die Leute das gespürt. Aber nein, es ist eine Komödie. Die Einstellung ist aus großer Entfernung gemacht worden, man sieht bloß unsere Umrisse.


Haben Sie sich vor dem Drehen dieser Szene gescheut?

Nein, es fand am Ende der Dreharbeiten statt, und wir hatten am Vortag lange die Ankunft des Bürgermeisters geprobt, den Moment, da er das Signal zum Aufbruch gibt... Schließlich gab es nichts anderes als die Sache durchzuziehen. Ich erinnere mich, dass ich große Mühe hatte, meine Jeans abzulegen, sie hat mir auf der Haut geklebt, so heiß war es, ich habe es endlich geschafft, ich habe die anderen losgehen sehen, ich habe angefangen zu laufen, und plötzlich hatte ich sehr viele Hintern vor mir. Das war witzig und wie eine Halluzination!


Der Film spielt dauernd mit Kontrasten, dem Komischen und dem Tragischen, der Modernität und den Traditionen. Auch Ihre Figur steckt voller Ambivalenzen.

Er ist kämpferisch, aber er hat auch seine Momente der Niedergeschlagenheit wie etwa da, wo er damit droht, Selbstmord zu begehen, aber dennoch mündet die Szene in eine Komödie. Das ist sehr menschlich, ich liebe das.


Das sind sehr feine Nuancen, das ist im Übrigen ein bisschen Ihr Markenzeichen geworden. Sie transportieren damit viel Emotion.

Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich versuche so aufrichtig wie möglich zu sein, wenn ich einen Schritt ins Dunkle gehe, weil es sich um eine dramatische Szene handelt, oder ich mich im Gegenteil zum Lächerlichen wende, wenn es sich um eine komödiantische Szene handelt. Ich mache mich dabei über mich selbst lustig, ich mag es gern, lächerlich zu wirken, ich liebe das.


Sie kommen in fast jeder Einstellung des Films vor. Wie haben Sie den Film mit Philippe Le Guay vorbereitet?

Philippe ist mehrmals zu mir nach Hause gekommen. Ich habe immer das Bedürfnis, ein Drehbuch Szene für Szene mit dem Regisseur aufzudröseln, ihm Fragen zu stellen. Wir sprechen über alle Rollen – ich muss wissen, was ich zu tun und zu lassen habe, um nicht einer anderen Figur auf die Füße zu treten. Ich mache mir Notizen. Die Zusammenkünfte mit Philippe sind sehr fruchtbar gewesen.

Außerdem habe ich die Gewohnheit, allein zu arbeiten. Ich habe das Bedürfnis, mir die Geschichte anzueignen. Ich schreibe die Dialoge um, auch wenn ich dann zu denen des Drehbuchs zurückkehre. Es kann sein, dass ich dem Regisseur entsprechende Vorschläge mache, wenn ich glaube, eine bessere Replik gefunden zu haben, aber meistens schlage ich vor, eine Szene zu spielen statt sie zu sprechen – ich mag es, auf Dialoge verzichten zu können und ein Gefühl einfach über einen Blick, oder eine Geste auszudrücken. Und ich messe den Kostümen große Wichtigkeit bei. Sie sind essentiell.


Wie haben Sie das von Balbuzard ausgewählt?

Das ist nicht einfach eine Kluft, das ist ein Kostüm, das mich innerlich bewegt. Ich habe das Bedürfnis zu fühlen, dass man mich anfassen kann. Bei Balbuzard haben mir gerade auch die Schuhe dieses Gefühl gegeben. Elizabeth Tavernier, die Kostümbildnerin, hat sie mir im letzten Moment eingetauscht, das mag blöd erscheinen, aber indem ich sie anzog, wurde ich Balbuzard. Es kann sogar eine Dimension von Lächerlichkeit an einem Kostüm geben, das ist wichtig für das Spiel, man darf keine Angst davor haben, sich über sich selbst lustig zu machen.


Sie arbeiten sehr viel vorher...

Ja, viel, ich will das Drehbuch gründlich kennen, bevor ich zum Drehen komme, ich brauche dann nur noch die beschriebenen Situationen zu leben. Schauspieler zu sein ist für mich wirklich leben. Während der Dreharbeiten weiß ich genau, was meine Figur sagen wird, ich entdecke mir das alles.


Georges Balbuzard leitet einen Milchhof. Hatten Sie das Bedürfnis, in dieses Milieu einzutauchen?

Nein. Schließlich habe ich all meine Ferien bei meinen Großeltern auf dem Lande verbracht. Der Stall, das Melken, um vier Uhr morgens aufstehen, um einer Kuh beim Kalben zu helfen, ich kannte das alles. Ich weiß, wie man die Tauben rupft. Es ist wichtig für mich, dass ich mich auf meine eigene Lebensgeschichte stützen kann. Ich muss eine bestimmte Nähe zu meinen Figuren finden, ein Echo in den Figuren, die ich verkörpere, sie sollten ein Verhältnis zu meinem Leben haben. Daraus schöpfe ich die Emotionen, die ich zeige.


Vom LANDARZT VON CHAUSSY von Thomas Lilti bis zum Film von Philippe Le Guay, und überhaupt ganz allgemein, erwecken Sie den Eindruck, dass Sie Ihre Rollenauswahl an den Themen ausrichten, die Sie interessieren: Ökologie, Landleben, soziale Gerechtigkeit...

Das ist wahr, aber es spielt auch der Zufall mit, und wofür das Herz gerade schlägt. Im Allgemeinen drehe ich die Filme, die mich motivieren, und die mir Lust machen, genau diese Figur zu sein, sie zu leben, an sie zu glauben. Und die Rolle in EIN DORF ZIEHT BLANK hatte mich sofort fasziniert.


Was für eine Art Regisseur ist er beim Drehen?

Wie alle guten Kino-Regisseure achtet er darauf, dass seine Darsteller glücklich sind und sich der Situation hingeben, die zu spielen ist, er weiß, dass es nutzlos ist, ihnen Anweisungen zu geben, wenn sie auf dem richtigen Weg sind, er lässt sie machen, präzisiert aber, was ihm wichtig ist. Aber wenn er spürt, dass Sie vom Weg abkommen, ist er sehr präsent. Ich wusste zum Beispiel überhaupt nicht, wie ich die Sequenz spielen sollte, in der ich dem Fotografen ein neues Feld zeige. „Nimm´ die Sache in die Hand“, hat er mir gesagt, „gehe fast bis zur Eiche, um sie ihm zu zeigen, und die Kühe, nähere dich ihnen.“

Das war eine prima Anweisung: Um Toby Jones davon zu überzeugen, einen anderen Ort zu suchen, muss Balbuzard geschickt wie ein Autoverkäufer vorgehen. Philippe hat dieser Szene viel Komik gegeben. Gegenüber den Leuten aus dem Dorf war er natürlich gezwungen, viele Dinge zu erklären – sie brauchten das. Er tat es stets mit viel Wohlgesonnenheit, einer Sanftheit, die sie zuhören ließ. Er spricht sehr tief. Wenn jemand so spricht, leiht man ihm sein Ohr.


Sie haben enorm viele Szenen mit Leuten aus dem Dorf: Wie spielt es sich mit Amateuren?

Von der ersten Szene an, die wir gedreht haben, die der Versammlung im Gemeindesaal, wo die Aktionen besprochen werden, die man machen könnte, haben wir uns entschieden, die Sache so anzugehen, als wäre es die Realität. Sie waren verblüfft von der Überzeugungskraft, mit der ich zu ihnen sprach, und haben mir sogar applaudiert. Und zur nächsten Aufnahme sind sie auch gekommen. Mit derselben Überzeugung. Das hat überall geklappt, das war prima. Natürlich war es notwendig, viel wegzuschneiden. Wir machten selten viele Takes, aber bei der Szene machten wir zwanzig. Es war sehr berührend zu spüren, wie viel Zeit sie zur Verfügung stellten: Sie waren bereit, sich wie die Irren für jeden Take zu verausgaben, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, die ihrem tatsächlichen Aufwand entsprochen hätte. Sie haben begriffen, dass dieser Film das Abenteuer ihres Lebens war, dass es für sie vielleicht kein zweites dieser Art geben würde und dass es eine fantastische Erinnerung für sie sein würde.


Bisher hatten Sie noch nicht mit Philippe Rebbot, Arthur Dupont und den anderen gedreht.

Wie mit Philippe Le Guay haben wir uns sofort prima verstanden, wie Liebe auf den ersten Blick. Sie haben ein offenes Herz, wie er; es sind Superdarsteller und Superpartner, jederzeit bereit, sich auszutauschen. Es ist unheimlich wichtig, zusammen zu spielen. Es ist eine Frage des Anstands. Manchmal ist man nur dazu da, um einem Kollegen einen Impuls zu geben. Ich glaube nicht an die einsame Leistung des Darstellers.


Seit Jahrzehnten haben Sie nicht mehr mit angelsächsischen Kollegen gespielt. Erzählen Sie uns von Toby Jones, der den amerikanischen Fotografen spielt.

Bei ihm geschieht alles über den Blick. Er besitzt das, was wir in unserem Metier ‚die innere Logik der Figur‘ nennen. Die Angst, die er durch seine Augen ausdrückt, als Grégory Gadebois ihn in der Pension mit einem Messer bedroht, und wie er sich dann in eine Ecke verkriecht, ist unglaublich witzig. Es war ein Vergnügen, mit ihm einen französischen Film zu drehen. Ich spreche Englisch nicht fließend genug, um Dreharbeiten im Ausland schätzen zu können. Ich liebe zu sehr das Kollektiv, das soziale Umfeld beim Drehen, um das zu riskieren.


Man sieht Sie bald wieder im Kino. Sie haben inzwischen nicht aufgehört zu drehen...

Ich habe kein Interesse daran, einen Film nach dem anderen herunterzukurbeln, aber wenn es ein schönes Projekt gibt, bleibe ich nicht an der Seitenlinie stehen.

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG

Georges “Balbu” Balbuzard           FRANÇOIS CLUZET
Blake Newman                               TOBY JONES
Thierry Levasseur                           François-Xavier Demaison
Vincent                                           ARTHUR DUPONT
Roger                                             Grégory Gadebois
Bradley                                           Vincent Regan
Eugène                                           PHILIPPE REBBOT
Maurice                                          Patrick d'Assumçao
Valérie Levasseur                           Julie-Anne Roth
Charlotte                                        DAPHNÈ DUMONS
Chloé                                             PILI GROYNE

Text Abdruck aus dem Presseheft