Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. August 2018, Teil 9
Hanno Lustig
Köln (Weltexpresso) – Neapel. Wer diese Stadt liebt, wird auch diesen Film mögen, in dem Neapel oft schöner auf der Leinwand erscheint, als man es in natura kennt. Neapel. Wer mit Rom die Reichen und Schönen assoziiert und mit Mailand das moderne Italien mit eilenden Geschäftsleuten, verdammt gut angezogen, für den ist Neapel ein Zwitter: zum einen die dustere, gefährliche Stadt des Verbrechens, zum anderen die kulturelle Sättigung seit der Antike her und das wirkliche Bewußtsein einer italienischen Nationalität.
Doch, doch, man wandelt mit der Hauptfigur Adriana (Giovanna Mezzogiorno) durch die Straßen und versucht mit ihr, auf die Reihe zu kriegen, was ihr da gerade passiert ist und wie es weitergeht. Der Anfang ist wie aus einem Baedeker (kennt man heute diesen Begriff, will sagen, erkennt man die Assoziation noch?) für nicht mehr junge Frauen durch einen jungen Mann einen Gesund- und Verjüngungsbrunnen zu erleben. Diese Adriana hat einen für den Normalverbraucher interessanten Beruf. Sie ist Rechtsmedizinerin, wozu andere Pathologen sagen, also ein Berufsbild, das qua Amt mit Verbrechen zu tun hat. Hier jedoch ist sie auf einer Party, zu der sie nicht gehen wollte, weil sie dieses geschäftige gesellschaftliche Leben weder schätzt, noch darin beteiligt ist, als ihr ein junger und sehr gut aussehender Mann namens Andrea (Alessandro Borghi) so auf die Pelle rückt, daß sie merkt, das ist nicht zufällig, sondern er meint wirklich sie. Das ist die gemeinste Verführungsfalle, die man sich vorstellen kann, in die sie prompt hineintappt und tatsächlich mit diesem Schönling in ihr eigenes Bett steigt, woraufhin die Nacht sich genau so entwickelt, wie sie es nur aus ihren Träumen kennt.
Nicht nur das. Er will sie wiedersehen und verabredet sich mit ihr an seinem Arbeitsplatz, dem Archäologischen Museum von Neapel. Nebenbei, dieses Museum ist wirklich ein Zentrum Neapels, weil Vergangenheit und Zukunft hier zusammenlaufen. Also eilt sie zum Treffen, durcheilt dann sogar das Museum, einfach, weil er nicht zu finden ist. Sie fühlt sich gedemütigt und will nichts wie weg. Und dann nach Zwischeneinstellungen trifft sie ihn doch. Aber wo? Auf ihrem Seziertisch, denn der schöne junge Mann liegt als Leiche vor ihr. Das hat schon was an Absurdität, aber auch Stringenz, daß wir hier in einem Film verfolgen, was jetzt passiert. Denn uns ist die Leiche ja fast so wichtig wie Adriana selbst. Mit ihr sind wir fassungslos, daß dem Mann die Augen entfernt wurden. Was bedeutet das? Mit ihr sind wir aber auch fassungslos, wenn sie bei ihrem Eilen durch Neapel auf einmal seine Silhouette ganz deutlich sieht und sogar das Gesicht erkennt?
Was wie eine Liebesgeschichte anfängt, zum Krimi geriert wird nun zu einem Mysterythriller, der dann aber von einer Psychogeschichte abgelöst wird, längst auch ein Familiendrama offenlegt. Denn, als sie selbst sich aufmacht, die Geschichte des Toten zu erkunden, landet sie schnell bei ihrer eigenen Familie. Was uns ständig suggeriert wird, ist: Neapel ist voller Geheimnisse. Die teils wie aus der Werbung farbgesättigten Bilder auf der Leinwand tuen ein übriges, daß wir als Zuschauer immer mehr erwarten, als wir bekommen. Es wird eine Spannung aufgebaut, die die Geschichte dann nicht halten kann.
Aber: für echte Neapelfans ist das kein Grund, sich den Schwelgereien auf der Leinwand (Gian Filippo Corticelli) nicht hinzugeben.