Bildschirmfoto 2018 08 23 um 08.12.07Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. August 2018, Teil 4

N.N.

Berlin (Weltexpresso) - Daß Weltexpresso so viel über den Film GUNDERMANN von ANDREAS DRESEN gebracht hat, hängt damit zusammen, daß dieser Film unsere Geschichte der jüngsten Zeit beschreibt, wobei 'unser' eine gesamtdeutsche Bezeichnung ist, denn auch, wenn nicht jeder Deutsche dies erlebt hat, gehört es künfitg zum kollektiven Gedächtnis des Landes, das immer stärker auch in Filmen sehr differenziert die ehemalige DDR wahrnimmt, nachdem nach 1989 sehr pauschal mit dem Leben der Leute umgegangen und rein auf den (natürlich) vorhandenen Überwachungsstaat reduziert wurde.

Allein wie in diesem Film mit der Stasi umgegangen wird, ist eine neue Seite der Medaille. Es geht auch darum, daß Personen, die im Ostteil des Landes jedem bekannt waren, im Westteil bekannt werden, denn umgekehrt war dies immer der Fall: alles, was aus dem Westen kam, wurde auf geheimen Wegen in der DDR bekannt und nach 1989 dann als ein Überstülpen der Westkultur und massives Dahinsterben der eigenen kulturrellen Identität erlebt. Was heißt erlebt? Es war einfach so. Darum sagen ja viele Leute Anschluß zum wiedervereinigten Deutschland. Anschluß der ehemaligen DDR an Westdeutschland. Das Eindrückliche an diesem Film ist, daß er sich um Politik und Einordnungen sowie Botschaften nicht schert. Er tut das, was Filme können: ein Abbild der Zeit zu geben, die die meisten heutigen Deutschen nicht miterlebt haben. Die Jungen schon gar nicht. GUNDERMANN ist also nicht nur für Wessis interessant, sondern eben auch für alte und junge Ossis.

Daher unser nicht nachlassendes Interesse am Film, was wir weiterführen und im Folgenden aus dem Presseheft mehr über VON HOYERSWERDA NACH BERLIN bringen. .


AM ENDE EINER REIHE

Der wilde Knöterich ist längst einem gläsernen Wintergarten gewichen und bald wird es wieder laut am Spreetaler See unweit von Hoyerswerda. Das kleine ehemalige Gundermannsche Reihen(end)häuschen in einer nicht minder bescheidenen ehemaligen Werkssiedlung gehört jetzt anderen Menschen mit anderen Ideen. Und dort, wo Gerhard Gundermann jahrelang in seinem Bagger 1417 saß, sollen bald Speedboote um die Wette brüllen. Die Uhr ist einfach weitergegangen. Einfach war es nicht immer.

Spreetal ist nun eine Gemeinde in der Lausitz, kein eigenständiger Ort mehr. Sprjewiny Doł heißt er den Wurzeln nach auf Sorbisch, früher auch schon mal Hoffnung III oder Brigitta, benannt nach der Grube gegenüber. Brandenburg und Sachsen sind sich hier sehr nahe. Nur die Bundesstraße 97 hat etwas dagegen und trennt die Länder. Die Gundermanns kamen Weihnachten 1987 als Familie her, weil sie ins Grüne wollten, etwas weiter raus aus Hoywoy, dieser, wie Gundermann textete, „blassen Blume aus Sand. Heiß, laut, staubig und verbaut, du schönste Stadt hier im Land.“ 16 Kilometer nordöstlich wurden sie fündig, tauschten die innerstädtische Fernwärme im Wohnkomplex mit der kohlebeheizten Scholle.

Conny Gundermann ist nicht mehr oft in Spreetal. Sie zog fünf Jahre nach dem Tod ihres Mannes weg, wohnt in Berlin, hat sinnbildlich die Spree mitgenommen. Den riesigen Berg Erinnerungen sowieso. An eine schöne, lebendige, aufreibende, traurige Zeit mit allem, was dazugehörte. Eben auch der Sommeranfang 1998 mit Gundis Ende. Besonders aber die gemeinsame Zeit mit den Kindern, den Freunden und Gästen, dem Regen, der gegen den dichten Knöterich am Haus kaum eine Chance hatte. Und die Nachbarn? „Ach“, sagt Conny, „für die waren wir die Künstler.“

Von hier aus fuhr Gundermann mit dem Klapprad zu Früh-, Spät- und Nachtschicht, ging Conny ins nahe Kulturhaus. An diesem Tag unterlassen wir es, über die Absperrung des Wäldchens zu steigen, um ihre ehemalige Wirkungsstätte zu besehen. Das alte Gebäude schläft. Die lauten Boote, Synonym für etwas Hoffnung auf Tourismus im fast fertig gefluteten Seenland, sollen es wecken. Vielleicht. Beim Blick übers noch aufsteigende Wasser, dort hinüber, wo Gundis Bagger schaufelte, wo ihn Conny und ihre „nachgezügelte“ Tochter Linda manchmal sonntags mit Kuchen besuchten, wird noch mal so richtig klar, wie eng es war. Was es wirklich bedeutet hat, wenn Gundermann sagte, er fresse sich auf sein eigenes Häuschen zu.


FABRIK FÜR IDEEN

Vormittags im Café am Hoyerswerdaer Markt ist Connys begrüßendes Lächeln ein offenes. Nur ganz versteckt ist ein wenig Skepsis zu sehen. Der Idee, gemeinsam mit ihr einige Orte zu besuchen, die wichtig sind und waren für sie und ihren Gundi – dessen richtiger Vorname an diesem Tag kein einziges Mal fällt –, hat die 62-Jährige trotzdem zugestimmt. Das Café hat sie gewählt, nicht, weil es besonders schön ist, sondern weil die Kulturfabrik gleich um die Ecke liegt. Die KuFa also – sehr wichtig für die Gundermanns. Dort müssen wir hin!

Geschäftsführer Uwe Proksch, Jahrgang 1961, kam mit sieben nach Hoyerswerda. Mit 16 begann er, Konzerte zu organisieren. Mit Gundermann. „Es war in einem schlichten Partykeller aus Beton im Hochhaus, dort hat er solo gespielt. Er und Hoyerswerda werden einfach zusammengebracht. Wir leben das! Wir wollen das!“ Selbst der Bürgermeister von der CDU soll ein Fan sein. In einer Stadt, die in den letzten drei Jahrzehnten weit über die Hälfte ihrer einst 70.000 Einwohner verloren hat, könnte auch in Kulturkreisen das Lamentieren siegen. Nicht an diesem Tisch!

Conny Gundermann und Uwe Proksch reden angeregt über das, was Gundi in Hoyerswerda hinterlassen hat. Zwei Beispiele nur: Ein offener Bürgerchor singt seit 2016 seine Lieder, in einem weiteren Projekt wurden sie von Alt und Jung vertanzt. Conny Gundermann: „Es gibt hier immer wieder kreative Ideen und viele Menschen, die Gundi tief in sich haben. Dass die Entdeckungen aber so generationsübergreifend sein würden, habe ich nicht gedacht. Du kannst viele Lieder universell interpretieren. Als Liebeslied für eine Frau, für ein Kind, an die Menschen an sich. Immer aber geht es ums große Ganze, um gesellschaftliche Zusammenhänge in wunderbaren, poetischen Bildern. Die kleine und die große Geschichte können mit seinen Liedern erzählt werden und das gemeinsame Singen hat diese Lieder noch stärker gemacht.“ Viel stärker, als es ein offizieller Straßenname manifestieren könnte. Immer wieder wird – mal leiser, mal lauter – darüber debattiert. Uwe Proksch: „Ach, der Platz vor der Kulturfabrik heißt im Volksmund eh schon GundermannPlaza ...“ Und im Erdgeschoss des Hauses ist gerade eine Gundermann-Schaltzentrale ans Netz gegangen, als einem Bagger-Führerstand nachempfundene Multimediastation mit Texten, Videos, Musikdateien und Fotos.
Hoywoy – du bist ihm treu ...


STADTWÄRTS

Wir fahren durch die Straßen, um zu sehen, was noch da ist und wo das Abgerissene stand, das Conny und Gerhard verbunden hat. Sie erzählt von gemeinsamen Schulwegen, auf denen der ein Jahr ältere Gundi wohl zeitig sein Auge auf das Mädchen von nebenan geworfen hatte. Von elterlichen Wohnungen, ersten Kontakten beim Singen und die vor allem für Conny sehr ferne Aussicht, sie könnten ein Paar werden. Nur die Zeit, sie arbeitete für die beiden.

Das „Knie“ ist noch geknickt, jenes trutzige Hochhaus mit Gundermanns Junggesellenbude, die mit Che Guevara überm Bett. GUNDERMANN als Film zeigt auch, wie er um Conny gekämpft hat. Hartnäckig ist da noch untertrieben. Sie erinnert sich: „Ich brauchte den Austausch. Gundis Chance, bei mir zu landen, bestand genau darin. Er konnte mir Austausch geben. Deshalb sind wir zusammengekommen. Gundi hat erkannt, wer ich bin. Es war anfangs so, als würde ich von außen auf mich selbst sehen. Ich war überrascht davon, was er entdeckt hat und darüber habe ich ihn entdeckt. Er hat mit mir Gespräche geführt, an denen ich gewachsen bin. Ich habe mit ihm sehr viel Wärme gespürt. Nicht jedem hat er diese Wärme gezeigt, aber ich war eine der ersten, die Gundis großes, unruhiges Herz gesehen hat. Er hat mich in seine Art zu leben hineingezogen. Das kannte ich zuvor nicht. Es fühlte sich richtig an. Es war richtig. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, bei uns wurde auf menschliche Bildung Wert gelegt, Gundi aber war sehr belesen. Er hat mir eine neue Welt eröffnet. Darin war er sehr geduldig, was mich überrascht hat. Denn mit anderen Menschen war er nie sehr geduldig.“

Und dann kam Linda. 1992, parallel zu Gundermanns neuem Durchstart mit der Seilschaft. Zwei Tage vor Lindas Geburt hatte die Band ihren ersten Auftritt. „Meine beiden Kinder aus erster Beziehung waren groß, Yvonne 17, Steffen 14 – raus dem Gröbsten, wie man so schön sagt. Mir ging es nicht darum, noch ein Kind zu bekommen, sondern eines mit Gundi zu bekommen. Was für ein Glück, dass mir das passiert ist! Und was für ein Glück, dass es Gundi passiert ist! Es hat ihn noch einmal weicher gemacht, ihm neue Blickwinkel geöffnet. Linda hat ihm noch einmal neu Geduld gelehrt.“ 


Die Redaktion:
Weltexpresso hatte schon verschiedentlich über den Film GUNDERMANN, seine 2. Weltpremiere, das dazugehörige Konzert und auch ein Interview mit Andreas Dresen veröffentlicht. Hier die Links:

https://weltexpresso.de/index.php/kino/13660-gundermann
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/13592-gundermann-film-hommage-an-den-leidenschaftlichen-singer-songwriter
https://weltexpresso.de/index.php/musik/13659-da-geht-was-ich-spuer-s
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/13593-interview-mit-andreas-dresen


Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller
Gerhard Gundermann       Alexander Scheer
Conny Gundermann         Anna Unterberger
Helga                                Eva Weißenborn
Führungsoffizier                Axel Prahl
Puppenspieler                  Thorsten Merten
Wenni                                Benjamin Kramme
Parteisekretär                   Bjarne Mädel
Irene                                 Kathrin Angerer
Volker                                Milan Peschel


Zum Kinostart am 23. August 2018 erscheint bei BuschFunk der Original-Soundtrack: Alle Songs des Kinofilms als vollständige Tracks auf CD, als Download und auf einer limitierten Doppel-LP überall erhältlich. www.BuschFunk.com: Künstler + Konzerte + Konsum. Natürlich mit allen CDs, DVDs und (Song-) Büchern von und über Gerhard Gundermann

Außerdem gibt es das Buch zum Film
Andreas Leusink (Hg.) GUNDERMANN Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse Briefe, Dokumente, Interviews, Erinnerungen Ch. Links Verlag, 184 Seiten, ca. 80 Abb. Klappenbroschur ISBN 978-3-96289-011-7 20,00 Euro (D), 20,60 Euro (A)