Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 2/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) - Der Film des diesjährigen Jury-Präsidenten Wong Kar Wai, der heute die Berlinale eröffnete und in der Sektion Wettbewerb; aber außer Konkurrenz läuft, ist ein poetischer, ja sogar wehmütiger, wunderschön fotografierter Film über die Geschichte der heute Martial Arts genannten chinesischen Kampfkunst, die sich aus verschiedenen Schulen/Stile speiste und zusammenfassend als Kung Fu bezeichnet wird.

 

Martial Arts Produktionen kennen wir heute aus Hollywoodfilmen als unterhaltsame, eher lustige Filme. Diese Körper- und Kampfkunst wird unter der Regie von Wong Kar Wai zu einer Lebensphilosophie –wie sie in Chinas auch existierte - , die in der organischer Körperbeherrschung meisterhaft choreographiert uns wie ein filmischen Tanztraum vorkommt. In der Tat ist der Begriff TRAUM in diesem realistischen Geschichtsepos über viele Jahrzehnte des mittleren 20. Jahrhunderts einer, an dem man viele Erfahrungen im Film festmachen kann.

 

Wenn sich die eigentlichen Kämpfe abspielen und die Hauptperson Yip Man gegen ganze Armeen – wir sind in den Hauptszenen zu Zeiten der grausamen japanischen Invasion - mit Handbewegungen und dem richtigen Tritt zu richtigen Zeit am richtigen Ort des Gegners landet, dann fühlt man sich an eigene kindliche Omnipotenzphantasien erinnert, in denen man selbst immer Sieger im Getümmel blieb, dabei allerdings nicht so schön, so beherrscht und so konzentriert ruhig aussah.

 

Letzten Endes -und das betont der Regisseur ausdrücklich - geht es also um die Philosophie, die Kung Fu als Lebenshaltung besitze. Aber gerade das, was die chinesische Gesellschaft angetrieben hat, diese Art der körperlichen Kampfkunst zum Lebensideal und Lebensziel zu erhöhen, diesen Hintergrund und Urgrund vermittelt der Film nicht. Aber er taugt dazu, sich vorzustellen, wie diszipliniert und verantwortlich ein solcher Meister leben und arbeiten muß, um mit seinem Können und seiner Erfahrung verantwortlich umzugehen. Dies – das betonen Wong Kar Wai und sein Hauptdarsteller Tony Leung Chiu Wai sehr eindrücklich - sei eine der Botschaften des Films.

 

Die Geschichte wird anhand der historischen Figur Yip Man erzählt, der noch Ende des 19. Jahrhunderts geboren, die verschiedenen Kampfkunststile erlernte und in einer Form – Wing Chun – vereinigte, woraus Kung Fu wurde. Im Film spielen verschiedene historische Bezüge eine Rolle, die der Nichtchinese nicht kennt, die man aber grob als konkurrierende Landesteile Nord und Süd versteht, was den Film über eine Rolle spielt, denn im Norden war der berühmte Gong der omnipotente Großmeister, der keinen Nachfolger, sondern einen Usurpater hatte, während ein in seiner Tochter die eigentliche Nachfolger hat. Dies ist Gong Er, im Film hinreißend verkörpert von Zhang Ziyi . Überhaupt ist dieser Film so nebenbei auch ein Augenfest. Selten hat man so schöne Frauen in Großaufnahme gesehen, die tief in sich zu ruhen scheinen, bei Tochter Gong Er kommt die perfekte Beherrschung der Kampfkunst hinzu, die mit höchst eleganten schlangenbeschwörerischen Gesten so gegen Schluß auch den erledigt und tatsächlich zu Boden zwingt, der sich die Herrschaft eines Großmeisters anmaßte.

 

Das ist nun einer der überraschendsten Momente des Films, denn es widerspricht unserem kulturellen Verständnis, daß im Kampf eine Frau überhaupt gegen einen Mann antritt und dann auch noch siegt. Das gibt es bei uns nur in den Mythen, wie den gefürchteten Amazonen. Bei uns dürfen historisch Töchter erben und dann auch große Firmen leiten, Königinnen für ihre Kinder den Staat führen, sich Frauen auch durch Bettgeschichten hocharbeiten, aber eine solche Szene wie die dramatische Sequenz, in der Gong Er im Bahnhof ihren Gegner mit den berühmten 64 Händen zu Tode bringt, ist einfach nicht vorstellbar – aber sie ist nicht nur im Film folgerichtig, sondern auch lebensphilosophisch, denn es zeigt die neue Zeit an. Das wiederum hat die kapitalistische Hollywoodproduktion sofort verstanden, dort dürfen speziell in Martial Arts Frauen jetzt haufenweise Männer flachlegen oder aus der Bahn werfen.

 

In der Pressekonferenz nach der Vorstellung des Films für die Journalisten berichtete der Regisseur, daß er schon1999 die Idee zu diesem Film hatte, als er nämlich einen Film über Bruce Lee sah, der drei Tage vor seinem Tod entstand. Dort führte der über 70 Jährige im Schlafanzug vor, wie die klassischen Kampfkunstbewegungen gehen, mitten drinnen hört er auf, worauf sich Wong Kar Wai fragte, ob der Meister nicht mehr wisse, wie es weitergehe oder ob die Kraft fehle und er einfach müde sei. Und in diesem Moment habe er gewußt, daß er darüber einen Film machen wolle.

 

Uns nämlich ist Bruce Lee, der schon 1973 mit 32 Jahren starb, als Ikone der chinesischen Kampfkunst bekannt. Dieser lernte aber jahrelang bei eben diesem Yip Man, der heute für die Chinesen als die eigentliche Ikone des Kung Fu gilt. Dem Film geht es um den Geist, der hinter den Bewegungen steckt. Ein guter Kämpfer ist nicht automatisch ein Großmeister, denn es geht darum, daß dieser sein Können, seine Kraft und seine Erfahrung dahinein legt, das Richtige zur richtigen Zeit tun. Dies kann man im Film am Handeln des Hauptdarstellers sehr gut nachvollziehen. Von daher ist dieser Film inhaltlich spannend. Und dennoch: es bleibt ein Dennoch. Denn irgendetwas fehlt dem Film, der auch zeitlich hin und her springt. Schwierig, dies näher zu benennen.

 

Sagen wir lieber noch etwas zur Gewalt der Bilder, die Gewalt wie ein ein impressionistisches bis futuristisches Gemälde erscheinen lassen, einfach schön, bizarr und von tiefer poetischer Kraft. Blut und einen blauen Fleck sieht man nur kurz am Schluß, ansonsten sind die Kampfszenen bei aller Dramatik – es nutzt sich ein wenig ab, daß die Unterlegenen reihenweise durch Fenster, Brüstungen, Wände und Gitter fliegen, das heißt diese dauernd durch Körper durchbrochen werden – einfach von hinreißender Schönheit und Eleganz. Die Kamera leistet erstaunliches und die eingesetzten Wasserspiele auch. Allein unter dem Schauaspekt ist dies ein hochkünstlerischer Film.

 

Ein Wort noch zur Musik. Immer, wenn Gefühle besonders intensiv ausgelebt werden, die Gesichter jedoch beherrscht bleiben – richtig, dann sind immer Frauen im Bild -, immer dann ertönt nicht als zarter Hintergrund, sondern geradezu schwelgerisch europäische klassische Musik, die romantische des 19. Jahrhunderts. Dies unterstreicht die Meinung des Regisseurs, daß er hier keinen binnenchinesischen Film hat drehen wollen, sondern die globale Sicht auf solche menschlichen Situationen und Erfahrungen, wo es um Ehre der Familie und Ehre generell gehe und wie Menschen human miteinander umgehen.