Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 3/26
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Der erste eigentliche Wettbewerbsfilm kommt aus Polen und fährt gleich mit scharfem Geschütz auf. Es geht um einen sehr sympathisch dargestellten Priester, der, tief gläubig, nicht mit dem Verbot körperlicher Liebe, dem Zölibat, zurechtkommt, von daher ständig auf der Flucht vor seinen Sehnsüchten die Orte wechselt, bis er – endlich, denkt der Zuschauer – seinen Gefühlen nachgibt.
Adam (Andrzej Chyra) heißt er, dieser Priester, der mit straffälligen Jugendlichen arbeitet und in einem kleinen Dorf im Nirgendwo der polnischen Provinz mehr als seine Pflicht erfüllt. Denn er reagiert empathisch auf die Nöte der Jugendlichen, weist sie aber sofort zurecht, wenn sie diese stellvertretend an Schwächeren auslassen. Auch Frauen begegnet er zulassend und mit Mitgefühl und weist Ewa (Maja Ostaszewska), als sie sich ihm an den Hals wirft, mit der leisen, aber durchschlagenden Antwort zurück, er sei schon vergeben. An Gott, setzen Ewa und der Zuschauer fort und man versteht zunehmend, daß seine körperlichen Ertüchtigungen – er läuft und läuft durch sanft vernebelte Wälder – dem abhelfen soll, was früher mit kalten Duschen begegnet wurde. Die gibt es auch im Film. Man kann also nicht sagen, daß der Priester gegen seine Anwandlungen nichts täte.
Er selbst erzählt seiner Gemeinde von der Kanzel, daß er erst mit 21 Jahren die Berufung zum Priester plötzlich fühlte. Erst spät im Film erweist sich, was der Zuschauer antizipiert, daß nicht Frauen den Priester erotisch anziehen, sondern Männer. Das aber nicht generell, sondern verbunden mit fühlvollem Begehren gegenüber einem sehr jungen Mann, der im Film immer wieder als ein guter Mensch erscheint, seinen dementen Bruder schützt und auch sonst für Schwächere eintritt – und den Zuschauer frappant an die in der Bildgeschichte festgelegte Figur Jesus Christus erinnert, ein schmaler Körper, ein sanftes Gesicht und auf die Schultern fallende Haare mit Mittelscheitel.
Wenn wir sagten, der Film spielt im Nirgendwo, soll das heißten, daß es eine einsame Gegend ist, mit viel Steinen, einsamen Feldern und Wäldern. Der Film konzentriert sich auf das Leben der Jugendlichen, die als Einzelfiguren gut getroffen sind, weil sie in einer Hierarchie leben – wia im richtigen Leben also – wo es Bestimmer gibt, denen man besser folgt und die sich brutal und mit Vergewaltigungen durchsetzen. Die Handlung orientiert sich an der inneren Verfassung des Priesters, der durch diesen jungen Burschen angezogen ist, der sich ihm nähert, aber irgendwie unschuldig nähert, ebenfalls getrieben von großer Anziehungskraft, die der Priester auf ihn ausübt. Dabei gibt es eine besonders phantasievolle Szene, die wie Balzrufen im mannshohen Maisfeld abläuft, wo Lukasz (Mateusz Kosciukiewicz) hineinläuft und Laute ausstößt, die Adam mit zunehmender Lust an der Situation durch Brunstschreie erwidert. Wie das ausgeht, erfahren wir nicht, wie immer wieder der Film so geschnitten ist, daß wir uns unsere eigenen Gedanken um die Fortsetzung einer Szene machen müssen.
Von einem Erwachsenen, demLehrer Michael (Lukasz Simlat) und für die Jugendlichen in diesem Camp verantwortlich, was er gerne durchaus autoritär ausübt, erfahren wir im Filmm außer daß wir sein Verhalten verfolgen, fast nichts, bis auf die Tatsache, daß er nach einem Jahr Priesterseminar seine Berufung aufgab. Der Liebe wegen, heißt es irgendwann. Er spielt eine seltsame Rolle, die man nicht ganz versteht, was nichts macht, denn es wäre ein dummer Anspruch, daß ein guter Film immer alles auserzählen muß. Auf jeden Fall bewirkt er durch sein Anschwärzen bei der Kirchenbehörde, daß Adam versetzt wird und dadurch seinem Glück näherkommt, weil Lukasz die Sache in die Hand nimmt und einfach den verzogenen Priester aufspürt und ihm in die Arme fällt. Zum Schluß hat sich die Regisseurin noch eine Pointe ausgedacht: Man sieht den jungen Geliebten als Zögling im Priesterseminar. Das ist zusagen ein offenen Ende, denn man weiß nicht, ob wieder Entsagung eine Rolle spielte, oder sich so die beiden näher kommen. Ende gut und noch nicht alles gut; aber das ist ja erst der Anfang von etwas Neuem, was auf die Kirche generell und Polen speziell zukommt.
Aus der Pressekonferenz:
Regisseurin Malgóska Szumowska erzählt, daß eine Zeitungsnotiz sie auf das Thema brachte, wie einsam nämlich ein Priester sei. Daraus entstand ihr Buch, das sie zum Film machte mit all den Problemen, die so ein Thema in einem so katholischen Land wie Polen hervorrufen muß. Sie habe von Anfang an vorgehabt, dieses sensible Thema der Liebe, Sexualität und Einsamkeit nicht brutal oder als harten Film zu bringen, sondern mit der Zärtlichkeit und Sanftheit, die sich auch in den Gefühlen der Personen wiederfinden. Der Kameramann hat das Drehbuch mitgestaltet und daraus resultieren die sehr speziellen Bilder im Film, die – nachdem die Kameras alles perfekt aufnehmen kann – sie wieder einen Schritt zurückdreht und Großaufnahmen bringt, die verwackelt und verwaschen sind oder alle sich im Kreise dreht, was jeweils eine inhaltliche Übereinstimmung hat. Es sind hier alle Hauptdarsteller anwesend.
Lukasz Simlat sitzt auf dem Podium als Fortsetzung seiner Rolle im Film, in dem er einen undurchsichtigen Typen spielt, der einerseits den Priester anschwärzt, andererseits ihn vielleicht selbst liebt. Auch für den Schauspieler trägt seine dargestellte Person ein Geheimnis, von dem er selbst nichts weiß. Zentral sind die Fragen um den Zölibat, ein Tabu, das durch schwule Liebe noch gesteigert wird und von Schwulen in Polen für ihre Bewegung ge- und benutzt wird, Schwule ins Parlament zu bringen und eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften möglich zu machen. Die Regisseurin lehnt die Einvernahme ihres Films für politische Zwecke ab. Sie möchte allen Seiten gerecht werden und klar und deutlich die Probleme schildert. Das dies der erste Wettbewerbsbeitrag ist, kann man schlecht über seine Chancen als Gewinner des Goldenen Bären sprechen. Man kann aber sagen, daß dies ein intelligenter, zeitgemäßer und gut gemachter Film ist.