Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 19/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Es gibt Filme, von denen man wenig erwartet – ein Remake, zwei Männer über Wochen im Wald bei Straßenarbeiten – und dann staunend ein kleines Kunstwerk erlebt. Das hat David Gordon Green als Regisseur mit zwei antagonistischen Charakteren geschafft, zu denen der Prototyp des ländlichen Amerika hinzukommt: ein hemdsärmeliger Lastwagenfahrer, der gerne einen ausgibt.

 

 

Es kommt und geht eine ältere Frau im Film - der 1988 spielt, was an allen Requisiten zu erkennen ist - wie eine Erscheinung, eine Waldfee, deren Haus bei den Waldbränden mitverbrannte und die seit sechs Monaten in der Asche nach Relikten ihres Lebens sucht und vor allem nach ihrer Pilotenlizenz und dem Logbuch. Das hat nicht nur surreale Bezüge, wenn Alvin (Paul Rudd) sich sehr einfühlsam mit ihr unterhält, sondern zeigt auch die tieferen, sehr sensiblen Züge dieses Mannes, der sich nach außen so diszipliniert und wohlorganisiert zeigt.

 

Diese Frau erlebt auch der jüngere Lance (Emile Hirsch), allerdings in einer anderen Funktion. Er sieht sie nämlich aus dem Wagen des älteren Lastwagenfahrers (Lance Legault) aussteigen und davongehen. Als er diesen befragt, hat der aber noch nie von ihr gehört. Am Schluß sehen Alvin und Lance diese Frau den LKW wieder besteigen und führen mit dem LKW- Fahrer ein Gespräch in der Möglichkeitsform über deren Anwesenheit und den Zusammenhang mit dem Fahrer. Das ist rätselhaft und so richtig schön schräg, denn in einem Roadmovie muß nicht alles stringent sein.

 

Die eigentliche individuelle und gemeinsame Entwicklung gehen Alvin und Lance an. Alvin ist der Ältere und durchdachte Kumpel, der die Fahrbahnmarkierungen auf Landstraßen mit neuen gelben Strichen erneuern soll. Er hat den Jüngeren mitgenommen, um seiner Freundin einen Gefallen zu tun: diese ist nämlich die ältere Schwester. Die beiden Männer sind grundverschieden, was nicht nur mit dem Alter zu tun hat, sondern mit ihren Charakteren. Der Film beginnt mit einer witzigen Sequenz, die sich wiederholt. Alvin möchte nämlich mit Lances Schwester Madeleine nach Deutschland gehen, weshalb er per Kassette Deutsch lernt.

 

Wir sehen den Kampf der beiden gegeneinander, wobei es Reibereien sind, Eifersüchteleien und ein gegenseitiges Unverständnis, das aber immer wieder in Harmonie endet, denn der Streit gehört irgendwie längst zu den beiden wie bei einem alten Ehepaar. Dann aber erhalten beide Blessuren. Lance, der sich in der Stadt am Wochenende austoben will, kriegt von den Damen eine auf den Deckel, und Alvin wird von seiner Liebsten sogar per Brief abserviert. Für ihn bricht eine Welt zusammen, was er so umsetzt, daß er jetzt die Welt auseinanderbrechen läßt. Dazu ist ein großes Besäufnis fällig, das beide Männer zusammenschweißt.

 

Was als Geschichte so ein wenig dürftig erscheint, gerät im Film durch das herrliche Zusammenspiel beider Schauspieler zu witzigen Dialogen und überhaupt einem Situationswitz, der nie derb, sondern geradezu intellektuell brillant ist. Es kommt etwas anderes hinzu: der Wald. So schlimm die Zerstörungen sind, kommt doch bei den vielfachen Großaufnahmen die Natur wieder zu Regeneration. Aus den dunklen Brandlöchern kriechen wieder Würmer und Käfer hervor. Der Film vermittelt das Motto: die Erde ist zwar sehr alt und die Menschheit auch, aber immer wird aus Abgestorbenem wieder neues Leben geboren. Und in jeder Lebensphase eines Menschen kann dasselbe passieren. Davon können sich Lance und insbesondere Alvin eine Scheibe abschneiden und tun es auch.

 

 

Aus der Pressekonferenz:

 

Es wird nach der Kameraarbeit gefragt, die sehr zufällig erscheint, was bejaht wird, weil oft die Totale genommen wurde, die Kamera also nicht auf die Personen ausgerichtet war, sondern diese in den Blickwinkel der Kamera gerieten. Das auch deshalb, weil die Natur, dieser Wald eine eigenständige Rolle spiele. Der Regisseur David Gordon Green hat den Vorbildfilm 2011 im letzten Jahr gesehen und wollte ihn sofort selbst neu drehen, weil es dort die verbrannten Wälder seiner eigenen Heimat gab.

 

Zur Funktion des Deutschlernens macht der betroffene Alvin interessante Aussagen: „Mir hat die Idee gefallen, daß meine Rolle Deutsch lernen mußte, das paßte nämlich gut zu diesem Alvin, der immer woanders leben möchte, er ist doch eigentlich auf der Flucht. Auch vor sich selbst. Das ist so einer, der, wäre er in Deutschland, sicher Französisch lernen wollte und nach Paris gehen. Er ist noch nicht bei sich angekommen.“

 

Der Regisseur bekräftigt, daß es keine Probleme, ja überhaupt keine Probleme beim Drehen gegeben habe, obwohl so viele Leute beteiligt waren. „Wenn ich anfange, kommt zuerst der Titel, dann das Drehbuch und diesmal hatte ich die kreative Erfahrung der Freude.“ Er hat schon große Filme mit teuren Millionen gemacht. Das ist Hollywood mitsamt seiner Extravaganz. „Hier war es intim und alles hat sich ineinander verschränkt. Es war eine große Einfachheit.“, fährt er fort.

 

Es wird nach den Waldbränden gefragt wie sich das beim Drehen auswirkte. Diese Geschichte mit der Frau im Wald, die in der Asche ihres Hauses herumsucht, ob sie etwas Übriggebliebenes, etwas was überlebte, findet, kam erst während des Drehens hinzu, weil eine wirkliche, dort im Wald aufgefundene Frau in dieser Situation rekonstruiert wird.

 

Der Film wurde hauptsächlich in einem Naturpark gedreht, wohin die Zerstörung durch Brand auch gelangt war, aber noch erträglich war. Green hatte Lance Legault als absoluten Haudegen kennengelernt. Er hat die Rolle für den Lastwagenfahrer deshalb auf diesen Typen zugeschnitten, der aber leider nach den Dreharbeiten verstarb. Er kannte ihn von einem Werbefilm, wo er dabei war, und bestellte ihn zum Casting,wo ihm der Schauspieler sagte, vorsprechen möchte er eigentlich nicht, stattdessen ein Lied sang und sich auf der Gitarre begleitete.

 

Er hatte 60 Seiten Drehbuch und hat sehr viel weniger Improvisation als in anderen Filmen. Paul Rudd spricht über seinen Charakter, der reduziert und sehr wortkarg redet, weshalb es schwierig geworden wäre, dies spontan zu tun. Nur eine Szene ist definitiv herausgeschnitten worden. Das war Lance als Hexe beim Breakdance. Mit der Musik im Film sei er aufgewachsen und finde diese viel schöner als alles, was es heute gäbe.