Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. September 2018, Teil 28
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Eva Mittmann

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Dichtes Gedränge im Eingangsbereich und Foyer des Cinema, der einfach zu klein ist, um allen denen Raum zu geben, die kulturell hochwertige Filme zu schätzen wissen. Der Film „Tokat“ der beiden Frauen Andrea Stevens (Regie) und Cornelia Schendel (Kamera & Co-Regie) gehört dazu – und zwar heute in Anwesenheit der Filmemacherinnen sowie stellvertretend einer der drei Hauptprotagonisten des Films: Kerem, der mit seiner Ehefrau Sibeha erschienen ist.
P1080769Lange haben die beiden Filmemacherinnen nach Darstellern für ihren Film gesucht, die bereit waren, sich ihrer kriminellen Vergangenheit zu stellen. Letztlich waren nur drei der circa 30 Bandenmitglieder aus der damaligen Zeit der 90er-Jahre bereit Zeugnis abzule-gen. Die meisten waren nämlich nicht bereit, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen, die ein Eingeständnis ihrer kriminellen Vergangenheit umfassen würde. Sie  wollten vielmehr ihre Vergangenheit vor ihrer Familie, Frau und Kindern verbergen.

P1080760Nach den einleitenden Worten von Ralph Förg, dem geschäftsführenden Direktor des Filmhauses Frankfurt, richtet sich Sylvia Weber, Bildungsdezernentin und Schirmherrin des Films, an das Publikum. Sie erklärt sich als Filmfan, insbeson-dere für gesellschaftskritische Filme und Filme über Frankfurter Gesichter und Geschichten.
Der Film „Tokat“, der das Thema der Jugend- und Bandenkriminalität behandelt, sei ein Film, der gleichzeitigP1080773 verstört als auch Hoffnung gebe. Sie sagt, jeder Mensch habe eine zweite Chance verdient und lobt das persönliche Engagement des Hauptprotagonisten des Films, Kerem Cen. Sie fragt: „Was hat das mit uns zu tun?“, und er erklärt: „Geschichten sind einzigartig und dennoch stellvertretend für viele andere Schicksale." Mehr Teilhabe führe auch zu mehr Auseinandersetzung und zu der Frage: „Wie wollen wir zusammenleben?“ Gesellschaftskritische Reflexion sei notwendig, um Orientierung in der Gesellschaft zu suchen – Verständnis und Nähe das beste Mittel gegen Ausgrenzung.
Verständnis und Nähe weckt der anschließend gezeigte Film unbedingt: Tief berührt uns die Aussichtslosigkeit, in der sich die zwei in die Türkei abgeschobenen Protagonisten Hakan und Dönmez befinden: Der eine ohne Pass und deshalb ohne Chance, einen lukrativen Job zu finden, geschweige denn reisen zu können. Der andere als Familienvater mit Frau und Kind, der vergeblich davon träumt, mit Frau und Kind nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, um sich und seiner Familie bessere Zukunftschancen bieten zu können.

P1080770Kerem Cen, befragt nach seinen Gefühlen beim Anschauen des Films sagt nur eines: „Traurig.“ Es mache ihn sehr traurig, seine Freunde von damals so unglücklich zu sehen. Insbesondere die Äußerungen von Hakan berührten ihn tief, wenn dieser in einer der Schluss-Szenen des Films davon spricht, sein Leben vertan zu haben. So, dass es mit fast vierzig schon zu Ende zu sein scheint, ohne Aussicht auf eine zufriedenstellende Arbeit, Frau und Kinder.
Während der Diskussionsrunde im Anschluss an den Film zeigt sich, dass das Publikum tief beeindruckt ist von der Authentizität und Offenheit, mit der Kerem und seine Ehefrau Sibeha Rede und Antwort stehen.

Geplant sind weitere Filmvorführungen für Schulklassen mit pädagogischem Begleitmaterial, das zur persönlichen Auseinandersetzung und Reflexion beitragen soll. Kerem sagt dazu: „Die Schüler sollten mal nicht so auf die Rapper hören, die gar nicht wissen, wovon sie eigentlich rappen und lieber aufpassen, dass sie sich nicht ihre Zukunft verbauen - nur, weil sie ‚cool‘ sein wollen.“


Fotos:
© Eva Mittmann

Info:
Der Film „Tokat“ feiert Premiere, 13.09.2018, Cinema Frankfurt