SEESTÜCK

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. September 2018, Teil 31

Hanno Lustig

Köln (Weltexpresso) – Das Stücken SEESTÜCK hat sich Volker Koepp geleistet, der als Dokumentarfilmer auch schon 2016 im LANDSTÜCK zeigte, wie man durch harmlos scheinende Fragen echte Antworten erhält, mit einem Wort, bei seiner Suche im Ostseeraum geht es hauptsächlich um Menschen, deren Leben unter den Bedingungen der See und Fragen, wie es der Mensch heute mit dem Schutz des Wassers hält.

Natürlich fällt dem Kunsthistoriker auf, daß man zwar Landschaften sagt, wenn es um Bilder von Wald, Stadt, Natur geht. Aber seit jeher wurden die, traditionell in Seenationen hängenden Gemälde in der guten Stube, SEESTÜCK genannt, weil sie die See zeigen, das Meer, das überschäumende Wasser, den endlosen Horizont, Regen, Sturm, untergehende Schiffe, Überlebende.

Nein, so dramatisch geht es im filmischen SEESTÜCK von Volker Koepp nicht zu. Dafür raffiniert, denn wie erwähnt, fängt es harmlos an. Ehrlich gesagt, fand ich die Fragen des regieführenden Autors tatsächlich zu zurückhaltend, zu wenig zugespitzt, so allgemein. Aber, so muß ich nachträglich sagen, der Regisseur tut gut daran, denn die Ergebnisse sprechen für sich: er bringt die Leute zum Reden. Denn den Film über wird sehr viel geredet und das Filmpersonal ist zahlreich, Männer und Frauen in verschiedenen an die Ostsee grenzenden Länder, in verschiedenen Berufen, mit ganz unterschiedlichen Ansichten. Das wird richtig spannend.

Man könnte noch mal differenzieren zwischen den Menschen, die am Meer leben, an den Küsten und denen, die aufs Meer fahren, wie die Fischer, aber auch wie die Seeleute auf ihren heutigen Riesendampfern, die ja Kleinstädten entsprechen – so kommt es einem vor. Sie alle befragt der weise Filmemacher, wobei er in den Fragen eben eventuelle Antworten nicht vorgibt, sondern so offen formuliert, daß man den Menschen geradezu zusehen kann, wie sie die Fragen im Kopf hin- und herwälzen und ihre Antworten langsam und dann immer konzentrierter mit sich selbst in Übereinstimmung bringen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Geschichte rund um die Ostsee. Die hat es in sich. Denn es gibt eine friedliche Handelsgeschichte und eine kriegerische. Nicht nur die Schweden spielen da eine große Rolle, die Polen und die Deutschen, das Baltikum. Und auf einmal sind wir sogar in der alten Tschechoslowakei, wo das verschwundene k. und k. österreich-ungarische Galizien nahe ist, ja auf einmal sind wir am Schwarzen Meer. Aber zurück im Ostseeraum, zu dem ja auch Rußland gehört, und vor allem die Ukraine, wo in Poltawa die Auseinandersetzung mit den Schweden siegreich bestanden wurde. Aber schon die jüngsten Ereignisse sind Geschichte geworden. Denn gerade erst gab es den Eisernen Vorhang und im Film sind die Folgen, insbesondere die Unsicherheiten für die baltischen Staaten virulent, was sich auf die Nato-Manöver genauso bezieht wie auf russisches Militär.

Es zeichnet diesen Film aus, daß er einen zwingt, genau zuzusehen und zuzuhören, denn die Personen, die Koepp ausgewählt hat, sind einerseits ganz normale Zeitgenossen, dann aber handelt es sich auch um Experten in spezifischen Fragen der Ökologie oder Meeresforschung, wo wir Konzentration und Sachverstand brauchen, um zu folgen, und so nebenbei sind die insgesamt 12 Protagonisten im SEESTÜCK auch noch 6 Frauen und 6 Männer und es ist nicht so, daß die Männer die Experten sind und die Frauen die ‚normalen‘ Seebewohner, sondern gemischt.

Die Frage der Vermüllung der Ostsee, insbesondere durch Plastikmüll steht im Mittelpunkt, wie auch die Gifte, die insbesondere durch die Landwirtschaft ins Wasser geraten, so daß der Fischbestand auch deshalb zurückgeht, was dann wiederum vor allem die Kleinen angeht, die Familienbetriebe, die generationslang von der Ostsee lebten. Die Ungewißheit mit den Röhren, den Riesenröhren kommt hinzu. Die Pipelines fürs Gas laufen ja durchs Meer, weit unten. Was passiert, wenn sie beschädigt werden. Und wieviel Kreuzfahrschiffe erträgt die Ostsee?

Aber es geht auch um Dichter, um Maler, insbesondere Caspar David Friedrich, um Philosophen und das alles von Usedom aus, über die Ostsee rüber an die Schärenküste Schwedens, über Lettland nach Estland, zurück nach Warnemünde und nach Swinemünde, heute ein polnischer Badeort Swinoujscie. Rügen, Bornholm, Kurische Nehrung und zurück.

Tja, welche Stücke gibt es noch für Volker Koepp. Unter Land, über der Erde. Schau‘n wir mal.