Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 21/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Dies ist der erste kasachische Beitrag auf einer Berlinale. Wir erleben eine filmische Studie über die Verfaßtheit des Menschen, hier, wie einer zum Mörder wird. Es ist der 13jähriger Aslan, der von den Mitschülern gequält und gedemütigt wird und wie nach dem psychoanalytischen Lehrbuch seine Unterwertigkeitsgefühle durch Quälen und Töten von Tieren und dann auch durch Morde an Menschen auslebt.

 

 

Mit dem Töten des Schafes fängt es an, was Fleischesser Schlachten nennen und Tierschützer Mord. Sicher nicht zufällig stellt sich das Schaf als intelligentes und lebenslustiges Tier vor, das immer wieder versucht, dem Mörder zu entkommen, dem 13jährigen (Timur Aidarbekov), der es dann aber fängt und fesselt und durch einen gezielten Schnitt in den Hals ausbluten läßt. Wie wichtig diese Szene ist, erfährt man erst zum Schluß, als der 13jährige sich selbst – mit Absicht an einer ungefährlichen Stelle – in den Hals sticht, als er mit seinem Freund Mirsain (Mukhtar Andassov) wegen des ersten Mordes inhaftiert ist und diesen als zweiten Mord mit dieser Methode auch umbringt.

 

In Haft waren die beiden, weil ein gemeingefährlicher und erfolgreicher Erpresser und Gewalttäter Bolat (Aslan Anarbayev) ermordet worden war. Durch Stich in den Hals mit einem Stift, der dem Mitschüler gehörte, weshalb er der Hauptverdächtige ist. Den ganzen Film über sehen wir Gewalt und Erpressung innerhalb der Schüler, die in einem System von oben nach unten durchgeführt werden, weil jeder lokaler Boß einen höheren über sich hat und der wieder einen, eine Hierarchie von Kriminalität, der ein einzelner Schüler hilflos ausgeliefert ist. Die Botschaft des Films ist eindeutig. Gewalt produziert Gewalt.

 

Für den 13jährigen Aslan allerdings liegt eine besondere Problematik vor. Er lebt bei der Großmutter, die merkt, daß mit ihm etwas nicht stimmt. Wir sehen einen Zwangscharakter, der sich ständig unsauber fühlt, sich darum ständig waschen muß, der aber auch andere Zwänge wie Zählen kennt. Er ist ein Kontrollfreak, wie das neudeutsch heißt, und er kann die Kreatur nicht leben lassen, erst recht nicht die Kakerlaken, die herumwimmeln und machen, was sie wollen.

 

Allerdings ist es von einem Zwangscharakter und auch noch einem Sadisten doch ein weiter Weg zum Mörder. Dabei kann uns der Film nicht helfen, der eine hoffnungslose Welt der Schule und gemeiner Mitschüler vor unsere Augen bringt. Lernen findet in Formen von Vorgestern statt, es wird wie im Trichter Wissen über die Schüler ausgegossen. In den Pausen werden die Schüler dann von dieser Erpresser- und Schutzgeld-Gang um Geld und Wertsachen erleichtert, ein regemäßiger Vorgang, von dem die Lehrer nichts wissen und die Eltern nicht Einspruch einlegen. Wildwechsel an kasachischen Schulen.

 

Nur der aus der Stadt gekommene Mirsain setzt sich freiwillig neben Aslan, der laut Diktat von Bolat von niemandem angesprochen werden darf, und befreundet sich mit ihm. Dieser Junge ist eigentlich die einzig positive Figur im Film, der sich wehrt und anderen helfen will, der aber unter Folter im Gefängnis und unter dem Versprechen, wenn er unterschreibt, daß Aslan der Mörder ist, er sofort in Freiheit kommt, ihn tatsächlich als Mörder verrät. Zu diesem Zeitpunkt weiß das Publikum aber noch nicht, daß er damit ungewollt die Wahrheit spricht. Hat Aslan etwa seinen Verrat geahnt? Denn als Mirsain, nun ein Verräter, in die Zelle zurückkommt, wird er von Aslan ermordet.

 

Ein hoffnungsloser Film, der keinen Ausweg zeigt. Es ist ein Film voller Männer und Knaben, denn die Frauen spielen kaum eine Rolle. Ausgerechnet ein Mädchen mit Kopftuch sagt ihre Meinung, wir erleben auch eine dominante Schulleiterin , eine hilflose Mutter und eine orientierungslose Großmutter. Die männlichen Wesen sind entweder kriminell oder Versager.

 

Aus der Pressekonferenz:

 

Frage an den jungen Regisseur und Drehbuchschreiber Emir Magazin, weshalb der Film und seine Drehorte so stilisiert und sterilisiert wirken. Sicher meinte der Kollege 'steril', denn die Bildwelten haben etwas Klinisches, Laborhaftes an sich, aber das war dann ein gelungener Freudscher Versprecher, denn um Sterilisation geht es insofern auch, als alle Gefühle nach und nach eliminiert, abgeschnitten werden. Eine weitere Frage gilt den im Film hörbaren Sprachen: Russisch und Kasachisch. Im Film sprechen nur die Ärzte Russisch. Das hat aber keine überhöht Bedeutung, sondern zeigt, wie es in Kasachstan zugeht, wo man regional Kasachisch spricht, kommt man in die Stadt, Russisch.

 

Die Frage nach den Folterszenen im Film, die an den zwei Buben exerziert wird, ob dies im Lande wirklich so stattfindet, wird bejaht, aber mit einer anderen Zielrichtung als erwartet. Dies sei doch nur die Sprache der Mörder, meinte der Regisseur, die müßten sich schon darauf einrichten, daß mit ihren Mitteln von der Polizei zurückgeschlagen wird. Obwohl der fragende Kollege insistiert, was denn mit den unschuldig Verhafteten sei, die ja auch gefoltert würden, beließ es der Regisseur bei seiner Aussage, die einen sprachlos machte.

 

Gleichzeitig sprach Emir Magazin eine deutliche Sprache: „Der erste Mord ist der Mord an dem Schaf. Der Film soll sagen, wie kommt der Gedanke, einen Menschen zu ermorden, in die Welt.“ Für die immer noch geschockten Zuhörer fügt er hinzu, daß das zu Beginn überdeutlich und in einer langen Sequenz gezeigte 'ermordete' Schaf, nicht wirklich starb, da der Kameramann Vegetarier. sei Dagegen sind dann die beiden Morde an den Menschen nicht mehr im Bild zu sehen. „Wir sind alle Mörder“, ist die Aussage, die dem Regisseur wichtig ist.

 

Timur Aidarbekov, der den Aslan gibt, beantwortet die Frage, ob ihm diese sadistische Rolle schwer gefallen sei, mit 'nein'. Man weiß im Film nichts über den Jungen und erfährt auch nichts. Hat er Eltern? Das hat der Regisseur mit Absicht so offen gelassen. Der ebenfalls junge Aziz Zhambakiyev hatte die Kamera geführt und fühlte sich in allen Belangen in Übereinstimmung mit dem Regisseur. Gefragt nach der Rolle der Religion will der Regisseur nicht antworten, weil dies ein vermintes Gebiet ist. Es soll im Film eine religiöse Linie da sein, aber die soll nicht dekonstruiert und dechiffriert werden.

 

Anely Adilbekova spielt die junge Schülerin, die gegen den Widerstand der Schule ihr Kopftuch trägt und eigentlich die einzige ist, die aufbegehrt. Auch die Rolle des Bösewichts Bolat, den Aslan Anarby verkörpert, ist diesem nicht schwergefallen. Die Hauptfrage gilt dem Land selbst, ob nämlich diese Darstellung wirklichkeitsnah sei und so vorkomme, was bejaht wird, dennman hat im ganzen Land ein kriminelles System. Der Filmmacher spricht, daß er insbesondere die Provinz habe zeigen wollen,wo derartige Zustände herrschten.“Es gibt keine Hoffnung und jeden Morgen wacht der Mensch auf mit Schmerz und Hoffnung. Die Existenz ist nicht sicher. Man muß jeden Tag nehmen, wie er kommt. Erfahrung ist das Wichtigste.“, lauteten die sybillinischen Aussagen des Regisseurs.

 

Die Schauspieler hat er wie von alleine gefunden. Es gab Casting, aber das ging ganz schnell. Seine Leute sind in Schulen gefahren und haben Interviews gemacht, er hat entschieden.