Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 22/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Und die weiße Oberschicht kommt dann doch noch - wie immer - mit dem Leben davon. Und der junge, verwirrte und verwitwete Halbindianer und sein ihn beschützender Hund müssen daran glauben. Wir begleiten ein gut situiertes Ehepaar aus Hollywood, das sich in der Wüste ein schönes Wochenende gönnen will, das bei Boy endet, der von River Phoenix dargestellt ist, der zehn Tage vor dem Ende der Dreharbeiten mit 23 Jahren starb.

 

 

Das war 1993 und die Vorgänge um den Film müssen zuerst erzählt werden, weil sie filmreif sind und man daraus tatsächlich einen Film machen sollte. Schließlich hatte River Phoenix erst seinen Filmtod abgeliefert und starb dann unmittelbar darauf – an Drogen? - auch im wirklichen Leben. George Sluizer, der Regisseur, hatte Dreiviertel der Arbeiten im Kasten, der Film konnte durch den Tod des Hauptdarstellers nicht weitergedreht werden und die Versicherung, die in solchem Fall für die Kosten aufkommen muß, nahm das Filmmaterial an sich. Als das 1999 vernichtet werden sollte, konnte Sluizer rankommen und es sichern, aber es gehörte ihm nicht und gehört auch heute einer ominösen Gruppe, die nur Großinvestitionen macht und mit Film nichts am Hut hat.

 

Der Regisseur war dauernd mit anderen Arbeiten beschäftigt und erst als er 2007 ein Aneurysma hatte, eine lebensgefährliche Gehirnblutung, entschied er sich, vor seinem Tode diesen Film fertigzustellen, was er 2012 in die Tat umsetzte und die fehlenden Stellen als Erzählung aus dem Drehbuch bei stehender Leinwand spricht, was ästhetisch und filmisch sehr gut rüberkommt. Daß der Film im Festival aufgeführt werden konnte, ist nicht das Problem. Das tritt erst ein, wenn er in die Öffentlichkeit in die Kinos kommen soll. Dazu müssen die Rechteinhaber Sluizers Filmfirma die Genehmigung geben, was derzeit völlig offen ist. Kommen wir zum Film.

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Das Horror-Wochenende beginnt mit dem Ehepaar aus Hollywood im Bentley, einem Wagen der Sonderklasse, den sich Harry leisten will. Die ersten Gespräche beim Fahren ergeben den typischen Beziehungswortwechsel, den Ehefrau Buffy steuert. Und dann stolpert der Motor und der Vergaser streikt. Vorne und hinten nur Sand und oben nur heiße Sonne. Wie man später erfährt, kommen hier wöchentlich ein-zwei Autos vorbei. Die beiden machen sich zu Fuß in der sengenden Sonne auf den Weg und treffen erschöpft auf die Hütte von Boy, diesem jungen verwirrten Mann, der in der verstrahlten Wüste voller Weltenende und Weltuntergangsängste lebt.

 

Dazu hat er durchaus Grund. Denn auf diesem Grund, eigentlich ein Reservat der Indianer, hatte die US-Regierung Atomversuche, sprich todgefährliche Nuklearversuche durchgeführt, deren Folge ist, daß alles verstrahlt wurde und Menschen und Tiere zu Tode kamen. Auch deshalb lebt Boy in einer Umgebung, die ihn vor der Gefahr schützen soll: eine riesige Ansammlung von Voodoo-Puppen garantieren ihm Schutz. Hauptsächlich aber braucht er eine Frau, mit der er ins andere Reich, das Schattenreich überwechseln kann. Das soll nun Buffy sein, auf dem seine Hoffnung ruht.

 

Die nun wiederum ist von dem jungen romantischen Kerl durchaus angezogen,will aber keine Konsequenzen ziehen, erst recht, nachdem er sie in seine Kapelle, eine unterirdische Höhle voll dieser Puppen und Holzschnitzereien, die alle apotropäische Bedeutung haben. Harry verfolgt die Annäherungen Boys an seine Frau mit Eifersucht, läuft zwischendurch hinaus in die Wüste, wo er nichts findet, aber Boy ihn zurückholt und ihn einsperrt, damit er freies Feld mit Buffy hat. Ihm zur Seite sein treuer Hund, der bedingungslos und hingebungsvoll die Rolle spielt,die Menschen den Hunden als treuer Diener ihrer Herrn zumessen.

 

Die Situation verschärft sich, Boy wird Harry -der sich auch schon länger nicht mehr gentlemeanlike verhält, der Lack blättert ab - gegenüber gemeingefährlich und, weil Frauen immer fixer sind, gelingt es Buffy, die Situation umzukehren und ihrerseits Boy im Holzverschlag einzusperren und davon zu laufen. Aber so gehen keine großen Hollywoodproduktionen zu Ende. Und außerdem ist da noch der Hund. Der nämlich buddelt so lange unter dem verschlossenen Tor den Sand nach vorne, bis er durchkriechen kann und das verschlossene Tor so lange untertunnelt, bis auch Boy darunter durchkriechen kann.

 

Wir müssen zum Ende kommen. Boy holt die beiden zurück. Harry kommt an ein Beil heran und schlägt damit Boy nieder. Als der Hund daraufhin über ihm steht und ihn angreifen will, tötet er auch diesen mit dem Beil. Der Zuschauer hatte zuvor gesehen, was Boy den beiden sagt, die ihm aber nicht glauben wollten, daß nämlich gerade sein Wagen, der Bentley, fahrtüchtig gebracht wird. Mit Polizeieskorte, die nach dem Rechten sehen will. Der Totschlag von Hund und Boy, der am Schlag stirbt, wäre also nicht nötig gewesen. Der Sheriff läßt die beiden Weißen laufen und von der Polizei wird die Hütte des jungen Halbindianers mitsamt beiden Leichen angezündet. So endet der Film als brennendes Fanal und läßt einen in einer schwer zu definierenden Trauer zurück, die dem Halbindianer, seinem Hund und dem Schauspieler River Phoenix gilt.

 

 

Aus der Pressekonferenz:

 

Gekommen ist Jonathan Pryce, der weiße Ehemann, der im Film überlebt und nun – um 20 Jahre gealtert – nach der Persönlichkeit von River befragt wird. Insbesondere wird nach dem angeblichen Drogenmißbrauch gefragt, was unmittelbar in den Dreharbeiten zu seinem Todes führte, im Alter von 23 Jahren. Er und auch Regisseur George Sluizer betonen, wie liebevoll und anteilnehmend River Phoenix sich grundsätzlich ihnen gegenüber verhielt. Beide denken gerne an ihn zurück und haben nie irgendetwas mit Drogen wahrgenommen und ihre gehörige Zweifel.

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Sind am Drehbuch Veränderungen vorgenommen, nach 20 Jahren? Es sind keine grundsätzlichen Änderungen passiert worden. Wenige, aufgrund des fehlenden und noch vorhandenen Materials. Seit 2009 wollte Sluizer den Film fertigstellen, 15 Jahre danach. 25 Prozent der Geschichte fehlte. Das Material war sehr unterschiedlich, mal ohne Ton und es fehlten einige der fertig gedrehten Teile. „Also mußte ich mit dem Material noch einmal die Geschichte überprüfen, was der Zuschauer noch als Geschichte erkennen kann.“

 

Die Musik entspricht dem Gehalt des Films, sehr mystisch also, sagt Florence di Concilio, die auch die Zeit, in der der Film entstand, musikalisch reflektiert. Die Musik mußte Tiefe haben, aber auch esoterisch sein, also die Wirklichkeit überhöhen.

 

Der Film spielt auf einem Territorium, das den Indianer gehört. Das ist ein Gebiet, wo die Atomversuche völlig ohne Rücksicht auf die Indianerbevölkerung durchgeführt wurden. Auf der anderen Seite gibt es im Film das rituelle Moment des Voodoo mitsamt den Puppen. Am 19.10.93 – 12 Tage vor seinem Tod - hatte ein anwesender Journalist mit River Phoenix ein Interview geführt, in dem sich dieser sehr positiv über die Dreharbeiten mit George Sluizer aussprach. Sluizer nun wiederum hatte sich in der Rollenbesetzung für Phoenix ausgesprochen, weil er ein sensitiver Mensch war, der auch im täglichen Leben sich abseits des Normalen aufgehalten habe und diese, dem Spirituellen verpflichtete Rolle so wunderbar ausfüllen konnte.

 

Edward Lachman ist der damalige Kameramann und spricht von dem letzten Drehtag mit River Phoenix, die in dem Tunnel mit dem Voodoo-Zauber stattfand, wo er mit Duffy seine Diskussion hat. Die Kamera lief nach Drehschluß versehentlich weiter und zeigte als Aufnahme dann, wie Phoenix auf sie zuging, bis er sie voll ausfüllte. Das war im Nachhinein spirituell, denn er erscheint im Bild wie ein Geist. Aber auch diese Aufnahmen sind verloren gegangen wie so viele andere.

 

Was die Rechte angeht, gibt es noch keine rechtlich zwingende Übereinkunft zwischen den Besitzern der Rechte und Sluizers Filmfirma, damit der Film wirklich in den Kinos gezeigt werden kann. Sluizers Motivation war erst einmal, das Material zu bewahren, zu retten, also aus dem Lager, wo es vernichtet werden sollte, herauszuholen, was gelang. „Ich selbst hatte andere Arbeiten zu tun und als ich 2007 ein Aneurysma hatte und wenig Lebenschancen, da wußte ich, bevor ich sterbe, will ich diesen Film beenden.“ Das war sicher die berührendste Pressekonferenz auf der ganzen Berlinale.