Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Oktober 2018, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie aus der Zeit gefallen, kommen einem erst einmal die Aufnahmen von den Protesten gegen die Kandidatur von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten vor. Das war 1985/86 und erstens kommen einem die Aufnahmen von den JA und Nein-Brüllern aus Wien wie eine gelungene Inszenierung vor, zweitens denkt man sich, das gibt es heute auch hier und drittens konstatiert man einen geradezu irren Widerspruch: die Proteste waren erfolgreich, obwohl Waldheim gewählt wurde.

Daß man zunehmend diese Meinung einnimmt, hat mit der klugen Bildregie und den so zurückhaltenden wie politisch klaren Kommentierungen der Filmemacherin Ruth Beckermann zu tun. Sie hat eine interessante Mischung von originalen Aufnahmen zusammengestellt. Grundlage sind erst einmal ihre eigenen Aufnahmen von den Protesten, die sie aber nicht als Filmemacherin unternahm, sondern als eine der Aktivistinnen, die ihren eigenen Protest festhalten wollte. Sie hatte das alles auf VHS überspielt und für die Zukunft verfügbar gemacht. Sie erweitert dies durch gezielte Fernsehaufnahmen von anderen, die schon mit dem Blick auf Veröffentlichung gedreht wurden, in erster Linie die Bilder der Protagonisten vom Jüdischen Weltkongreß, der – man kann von heute her wirklich sagen: stellvertretend, weil sich österreichischer Widerstand erst einmal nicht pointiert und lautstark artikulieren konnte – die Attacke gegen Waldheim ritt. Gottseidank, muß man von heute her sagen.

Wer das miterlebte, geniert sich fast, wiederzukäuen, um was es geht. Der 1918 geborene Kurt Waldheim stellte sich als unbeschriebenes Blatt dar, der nichts von den Schandtaten, ach was, den Menschheitsverbrechen der Nazis mitbekommen hat, für die er als Soldat „seine Pflicht“ tat und „diente“. Er war Offizier der Wehrmacht, hatte dies aber nach dem Krieg verschwiegen. Heute weiß man, daß seine abwehrenden Sprüche alle gelogen waren, daß er wohl informiert war und sogar in den geheimen Kommandozentralen wohl gelitten war, einer der Geheimnisträger der Nazis.

Die Aufnahmen von denen, die WALDMANN NEIN skandieren und denen, die dann WALDMANN JA zurückbrüllen, sind hinreißend choreographiert, d.h. geschnitten, wenn Letztere im NEIN untergehen. Das sind filmische Mittel, die Vergnügen in einem Film machen, der einem deutlich macht, wie sehr sich auch die Protestkultur, bzw. -unkultur verändert hat, gewalttätiger, brutaler, gemeiner, haßerfüllter geworden ist.

Heute ist auch in Österreich deren Lebenslüge, sie seien das erste Opfer der Expansionspolitik der Nazis gewesen und nicht, wie es seit dem Einmarsch und Anschluß im März 1938 in Wirklichkeit war, ein Mittäter, aufgeflogen. Mit unterschiedlicher Durchschlagskraft und auch abhängig vom Alter. Das sieht man in den hektischen, durchaus laienhaften Aufnahmen – die Wackelaufnahmen wirken von daher umso authentischer - der bürgerlichen Protestierer, die gegen den Protest gegen Waldheim, zurückprotestieren und viele ältere Frauen zeigen, mit typisch damenhaften Attitüden, die damals ‚ihren‘ Waldheim verteidigen.

Die Jugend von damals , also 1986, ist heute längst die mittlere und ältere Generation der Österreicher, die fast einen Politiker der FPÖ zum Bundespräsidenten gemacht hätten. Diese Kontinuität erschreckt dann schon, wenngleich wir vielleicht vorschnell die damaligen Verteidiger des Biedermanns Waldheim – wie ein Herrenreiter kommt er einem bei den Filmaufnahmen vor, Typ des vormaligen Josef Neckermann, geschniegelt und gestriegelt – wenn wir also vorschnell seine Verteidiger für die Befürworter der heutigen FPÖ halten. Wir können nicht anders, obwohl die Unterschiede, nämlich Waldheims Basis des Christentums, der Kirche und des christlichen Wählers, des typisch Konservaten nicht unterschlagen werden dürfen.