Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Oktober 2018, Teil 10
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Der Weg einer Primaballerina ist bekanntlich ein steiniger, gepflastert von körperlicher Schinderei, Ausdauer und Leidensbereitschaft. Aber nicht unter dieser Last bricht die 15-jährige Lara, von der Lukas Dhont in seinem preisgekrönten Erstlingswerk erzählt, eines Tages zusammen. Sie leidet vielmehr unter ihrem männlichen Körper. Zwar lebt sie schon wie ein Mädchen, aber die herbei gesehnte operative Geschlechtsangleichung steht noch bevor. Das Training an einer renommierten Ballettakademie, die ihr eine Chance gegeben hat, gestaltet sich mithin für Lara um ein Vielfaches schmerzreicher als für andere Tänzerinnen: Sie versteckt ihren Penis unter eng geschnürten Bandagen und muss den Rückstand zu ihren Mitschülerinnen aufholen.
Leise, unaufgeregt und berührend erzählt „Girl“ von Anderssein, Selbstfindung und Identität.
Im Gegensatz zu anderen Transgender-Filmen wie „Danish Girl“ oder „Eine fantastische Frau“ vermeidet dieser Beitrag altbekannte Konflikte wie gesellschaftliche Ausgrenzung. Es geht vielmehr um das belastete Innenleben einer jungen Frau in der ohnehin schwierigen Phase der Pubertät, Tag für Tag damit konfrontiert, dass sie noch nicht die ist, die sie unbedingt sein möchte.
Der alleinerziehende, verständnisvolle Vater tut alles, um seine Tochter zu unterstützen, ihre Kameradinnen, die sie nur in einer schwer erträglichen Szene drängen, sich zu entblößen, nehmen sie in ihrer Mitte auf. Den größten Druck macht sich die Heldin selbst, angefacht von ihrer Leidenschaft für den Spitzentanz und dem damit etablierten Weiblichkeitsideal.
Er vermittelt sich überwiegend non-verbal über virtuose Sprünge, Drehungen, Schweißausbrüche, brutale Stürze und blutige Füße. Großartig wie Victor Polster, selbst kein Transsexueller aber in der äußeren Erscheinung sehr feminin, die inneren Kämpfe seiner Figur auslotet, angefangen von der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper über erste verwirrende sexuelle Erfahrungen bis hin zu einer schockierenden Verzweiflungstat. Auf die Weise weckt der belgische Regisseur Empathie für eine Außenseiterin, von deren Schwierigkeit die meisten vermutlich keine Ahnung haben.
Foto:
© Universum Film
Info:
Girl (Belgien, Niederlande 2018)
Originaltitel: Girl
Genre: Drama
Filmlänge: 105 Minuten
Regie: Lukas Dhont
Drehbuch: Lukas Dhont, Angelo Tijssens
Darsteller: Victor Polster, Arieh Worthalter, Oliver Bodart, Tijmen Govaerts, Katelijne Damen, Valentijn Dhaenens u.a.
Verleih: Universum Film
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 18.10.2018