Niederländische Künstlerin zu Hause im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main
Siegrid Püschel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit „Rineke Dijkstra. The Krazy House“ präsentiert vom 23.2. bis 26.5.2013 das MMK in Frankfurt am Main die bisher umfassendste Ausstellung der niederländischen Künstlerin in Deutschland. Dijkstra, die heute weltweit zu den bekanntesten Foto- und Videokünstlerinnen zählt, versammelt im MMK alle ihre Videoinstallationen.
Ergänzt werden diese durch fotografische Werkgruppen, in deren Mittelpunkt das Heranwachsen junger Menschen in einer von Konventionen und Codes geprägten Gesellschaft steht. Erstmals in einer Ausstellung zu sehen sind die beiden Weltpremieren „Dress Rehearsal“ (2006) und „The Power House“ (2007/08). Die Aufnahmen für letztere Arbeit entstanden 2007 in der ehemaligen Power House Gallery in Memphis und zeigen die jungen Tänzerinnen Monica und Maneka, wie sie während der Tanzsequenzen immer wieder die Konzentration verlieren und die Aufnahmen unterbrechen. Durch den neutralen weißen Hintergrund im Bild und die Präsentation in vier kleinen, dicht aneinander gereihten Rück-Projektionen wirken die Videosequenzen wie Skizzen oder animierte Zeichnungen auf Papier.
Die ersten Videoarbeiten der Künstlerin, „The Buzz Club/Mystery World“ und „Annemiek (I wanna be with you)“, entstanden 1996/97 in Großbritannien und den Niederlanden. Sie zeigen junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden beeinflusst von der Pop- und Jugendkultur ihrer Zeit. Für „The Buzz Club“ nahm Dijkstra junge Clubgänger im gleichnamigen Liverpooler Club sowie in der Diskothek „Mystery World“ im niederländischen Zaandam auf. Die zu einer Doppelprojektion montierten Aufnahmen entstanden vor provisorischer weißer Studiokulisse während des laufenden Clubbetriebes.
Nach zehn Jahren ausschließlich fotografischen Schaffens kehrt Dijkstra erst 2007 wieder zur Arbeit mit dem Bewegtbild zurück. Daraus gehen eine Reihe neuer Videoinstallationen hervor, die sich mit dem Akt des Betrachtens und dem Prozess der Identitätsfindung in der heutigen Gesellschaft auseinandersetzen. So gelingt es Dijkstra, individuelle Persönlichkeiten in ihrer körperlichen wie sozialen Entwicklung in eindrucksvollen Bildern einzufangen, die – so sehr sie in unserer Gegenwart verankert sind – immer wieder überraschende Bezüge zu Werken der älteren und neueren Kunstgeschichte aufweisen. Höhepunkt der Ausstellung ist die raumgreifende 4-Kanal-Videoprojektion „The Krazyhouse“, die 2009 in dem gleichnamigen Liverpooler Club aufgezeichnet wurde: ein ebenso bewegtes wie bewegendes Portrait junger Menschen und ihrer tänzerischen Ausdrucksweisen.
Die fünf Protagonisten der Videoninstallation, die Dijkstra auf nächtlichen Streifzügen durch die Liverpooler Clubszene entdeckte, tanzen alleine vor strahlend weißem Hintergrund zu ihrer Lieblingsmusik. Die fünf Sequenzen sind hintereinander und rotierend auf die vier Wände des Ausstellungsraumes projiziert. Durch ihre Tanz- und Musikstile, ihre Expressivität und ihr Befinden vor der Kamera heben sich die Jugendlichen voneinander ab.
Neben den Fotografien, die in Zusammenhang mit den Videoinstallationen entstanden sind, zeigt das MMK weitere Foto-Serien der Künstlerin, wie beispielsweise „Almerisa“, bestehend aus 11 Einzelporträts. Dijkstra begann im Jahr 1994 das damals fünfjährige bosnische Flüchtlingskind in der niederländischen Stadt Leiden zu porträtieren. Die in unregelmäßigen Abständen entstandenen Fotografien folgen über 15 Jahre Almerisas persönlicher Entwicklung von einem schüchternen Mädchen bis zu einer jungen selbstbewussten Mutter. Die äußerlichen Veränderungen in Kleidung und Einrichtung dokumentieren gleichzeitig das Hineinwachsen Almerisas in eine moderne, niederländische Gesellschaft.
Die Porträts der auf einem Stuhl sitzenden Almerisa reihen sich im MMK um die „Umgekippten Möbel“ von Reiner Ruthenbeck aus der Sammlung des Museums und bilden damit einen exemplarischen Raum für das Konzept der Ausstellung. Denn Dijkstra wählte für die Präsentation rund 100 Werke von Künstlern aus der Sammlung des MMK aus, die sie in Dialog mit ihren eigenen Arbeiten setzte. Sie geht darin sowohl inhaltlichen Korrespondenzen als auch formalen Analogien nach und knüpft thematische, konzeptionelle, erzählerische und politische Bezüge.
„Damit stellt Dijkstra ihr Werk ganz bewusst in den Kontext der Kunstproduktion seit den 1960er Jahren und wirft gleichzeitig einen persönlich geprägten Blick auf die Sammlung des MMK. So eröffnen sich auch für uns neue Sichtweisen auf vertraute Klassiker unserer Museumssammlung“, sagt Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin des MMK. Neben Werken von Andy Warhol, Douglas Gordon, Isa Genzken, Tobias Rehberger, Thomas Bayrle, Bruce Nauman, On Kawara und vielen mehr ist auf Wunsch der Künstlerin auch ein Werk von Pablo Picasso zu sehen: Das berühmte Gemälde „Weinende Frau“, eine Leihgabe der Tate Sammlung, ist Inspirationsquelle für zwei der jüngsten Videoarbeiten Dijkstras. In der 3-Kanal-Videoarbeit „I See a Woman Crying (Weeping Woman)“ beschreibt und interpretiert eine Liverpooler Schulklasse Picassos berühmtes Gemälde. Während der Bildbetrachtung gleiten drei Kameras über die Gesichter der Kinder, ohne je das beschriebene Bild einzufangen. „Nach und nach beginnen die Kinder, geprägt durch ihre eigenen Lebenserfahrungen das Schicksal der ‚weinenden Frau’ zu deuten. Aus der Bildbetrachtung entsteht ein Selbstbildnis der Gruppe“, so Ausstellungskurator Peter Gorschlüter.
Auch die Videoinstallation „Ruth Drawing Picasso“ bezieht sich auf Picassos Gemälde. Zu erkennen ist das in Schuluniform gekleidete Mädchen Ruth beim Zeichnen des Werkes „Weinende Frau“. Bedingt durch die Kameraposition wirken die Aufnahmen, als würde Ruth, während sie konzentriert das Werk studiert, in den Betrachterraum schauen und ihr Gegenüber anblicken.
INFO:
Katalog
Zur Ausstellung erscheint bei Idea Books eine Publikation mit einem ausführlichen Gespräch zwischen Rineke Dijkstra, Peter Gorschlüter und Hans den Hartog Jager sowie zahlreichen Abbildungen der Werke der Künstlerin und der Sammlung des MMK.
Der Katalog ist im Handel für 23,50 Euro und an der Museumskasse des MMK für 19,50 Euro erhältlich.
MMK App
Mit der neuen App des MMK können sich Kunstinteressierte ab sofort noch mehr Informationen bequem auf das eigene Smartphone laden. Die über den App Store, Samsung oder Play Store erhältliche Anwendung erweitert die Internetseite des Museums um eine mobile Version, macht Informationen schnell und übersichtlich verfügbar und schafft zusätzliche Angebote, wie Einblicke in neue Ausstellungen.
Die kostenlose App wird zur Ausstellung veröffentlicht und vermittelt über einen Rundgang Informationen und spannende Hintergründe zu sämtlichen Werken. Mit der neuen App können sich Interessierte von Zuhause über Ausstellungen und Veranstaltungen informieren; für die Museumsbesucher stehen kostenlose Leihgeräte vor Ort zur Verfügung, mit denen Werke von Rineke Dijkstra und aus der MMK Sammlung erkundet werden können.
Die Eröffnung in Anwesenheit der Künstlerin ist am Freitag, den 22. Februar um 20 Uhr